Unsere Wirtschaft wird von der Kurzsichtigkeit der Kostenminimierung angetrieben, was auch die prognostizierten 846 Millionen Euro Bürokratiekosten der CSRD-Richtlinie erklärt (The Pioneer – Das Briefing, 26.07.2024). Die Angst vor zunehmender Bürokratie resultiert vor allem daraus, dass Fragebögen als Hauptwerkzeug zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen festgelegt wurden. Dabei geht es jedoch nicht darum, möglichst viele Fragen zu stellen, sondern die richtigen – und diese nur an die Lieferanten, die in den Lieferketten relevant sind, um ökologische und soziale Risiken zu minimieren. Ein KI-Tool, das seine Informationen aus sozialen Medien oder lokalen Berichterstattungen bezieht, kann keine verlässlichen Antworten liefern. Sie müssen selbst die Initiative ergreifen und gezielt nach den relevanten Fragen suchen, auf Basis der Risikobewertung relevanter Warengruppen, um passende Strategien zu entwickeln.
Stefan Schleicher betont in seinem Werk „Wirtschaft neu denken“ (2024) treffend: „Besser als schnelle Antworten ist in der Wirtschaft die lange Suche nach den relevanten Fragen.“ Diese Suche ist der Schlüssel zur nachhaltigen Transformation in Lieferketten. Es ist an der Zeit, dass sich der strategische Einkauf auf diesen Weg begibt und dabei vom Top-Management unterstützt wird.
Alle Nachhaltigkeitsgesetze sind eng miteinander verflochten und erfordern die sorgfältige Bearbeitung durch den strategischen Einkauf. Jedes Unternehmen muss zumindest einen klaren Überblick über die Warengruppen/Lieferanten mit dem größten Beschaffungsvolumina haben und diese mit den relevanten ökologischen und sozialen Risiken verknüpfen. Ohne das Fachwissen des strategischen Einkaufs kann dieser entscheidende erste Schritt nicht bewältigt werden.
Um dies zu verdeutlichen, möchte ich zwei konkrete Standards aus der CSRD-Richtlinie heranziehen. Der Standard SBM-2 (aus ESRS 2) konzentriert sich auf den Stakeholder-Dialog und schafft ein Verständnis dafür, wie die Interessen und Ansichten der Stakeholder die Strategie und das Geschäftsmodell des Unternehmens beeinflussen. Spricht man mit Beschaffungsverantwortlichen, ist das am häufigsten adressierte Problem, dass wichtige Lieferanten zu viel Macht haben und sie als Einkauf keine Möglichkeit sehen, relevante Informationen zu erheben. Denken wir dieses Thema weiter im Standard G1-2: Lieferantenmanagement. Unternehmen müssen Informationen zum Management ihrer Lieferantenbeziehungen sowie den damit verbundenen Auswirkungen auf ihre Lieferkette vorlegen.
Beide Standards befähigen Unternehmen, ihre Lieferanten partnerschaftlich zu managen und den Zugriff auf relevante Informationen zu erleichtern. Es geht nicht um endlose Fragebögen oder irrelevante KI-generierte Informationen, sondern darum, gemeinsam die richtigen Fragen zu stellen, um aus diesen Reportingpflichten einen unternehmerischen Mehrwert sowohl für das Unternehmen als auch für seine Lieferanten zu heben. Und wenn ich noch eine Bemerkung hinzufügen darf: Wo liegt hier der Nutzen von KI-Tools? Sie können sicherlich unterstützen, aber die echte Veränderung kommt aus der menschlichen Initiative und dem Aufbau partnerschaftlicher Beziehungen.
Diesmal schließe ich mit einem Zitat von André Kostolany, das genau diese Verbundenheit innerhalb globaler Lieferketten zum Ausdruck bringt: „Alle sitzen in einem Boot. Wenn einer ins Wasser fällt, fallen alle ins Wasser.“ Das ist das Herzstück der Zusammenarbeit und der gemeinsamen Verantwortung im strategischen Einkauf. Es geht nicht nur darum, die Anforderungen der Lieferkettengesetze zu erfüllen, sondern gemeinsam mit strategischen Lieferanten eine zukunftsfähige Lieferkette zu sichern.