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Der Verkäufer darf nicht alles

Freizeichnung der Rügepflicht in AGB meist unwirksam
Der Verkäufer darf nicht alles

Der Verkäufer darf nicht alles
Justita. Aktuelle Rechtsprechung für den Einkauf und Logistik. Bild: olegdudko /123rf
Einkäufer haben das Recht und die Pflicht zur unverzüglichen Untersuchung und Rüge einer gekauften Sache. Das nehmen sie meist ziemlich genau. Folglich würden Verkäufer diese Rechte gerne in ihren AGB einschränken. Doch da sieht der Gesetzgeber wesentliche Grundgedanken des Rechts verletzt.

Ist der Kauf für beide Vertragspartner ein Handelsgeschäft, so hat der Käufer die Ware unverzüglich nach der Ablieferung durch den Verkäufer, soweit dies branchenüblich ist, zu untersuchen und, wenn sich ein offener Mangel zeigt, dem Verkäufer unverzüglich Anzeige zu machen (vgl. § 377 Abs.1 HGB). Unterlässt der Käufer die Mängelanzeige, so gilt die Ware als genehmigt.
Dies bedeutet, dass der Käufer so gestellt wird, wie wenn er einwandfreie Ware bekommen hätte. Er kann also keine Rechte aus einem Sachmangel ableiten und deshalb weder Nacherfüllung (Nachbesserung, Neulieferung) verlangen noch vom Kaufvertrag zurücktreten oder den Kaufpreis mindern.
Diese rigorose Konsequenz bei unterlassener bzw. verspäteter Mängelrüge gilt nur dann nicht, wenn es sich um einen Mangel handelt, der bei der Eingangsuntersuchung nicht erkennbar war; wenn es sich also um einen verdeckten Mangel handelt (§ 377 Abs. 2 HGB). Verdeckte Mängel müssen jedoch unverzüglich nach ihrer Entdeckung gerügt werden (§ 377 Abs. 3 HGB): „Zeigt sich später ein solcher Mangel, so muss die Anzeige unverzüglich nach der Entdeckung gemacht werden; andernfalls gilt die Ware auch in Ansehung dieses Mangels als genehmigt.“
Vertragspartner müssen Kaufleute sein
„Verdeckter“ Mangel ist wohl die allein richtige Bezeichnung. Der nicht selten verwendete Ausdruck „versteckter“ Mangel ist falsch, schließlich hat ihn der Lieferant nicht absichtlich versteckt. Der Mangel konnte eben nur nicht bei der ordnungsgemäßen Eingangsuntersuchung „entdeckt“ werden.
Was nicht immer bekannt ist: Tritt ein verdeckter Mangel „später“ hervor, so hat die spätere Mängelrüge nur dann noch Erfolg, wenn die Gewährleistungsrechte zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt sind. Finden BGB/HGB Anwendung, so muss also auch der verdeckte Mangel bei beweglichen Sachen innerhalb von 24 Monaten nach Ablieferung gerügt werden (§ 438 BGB). Bei einer vereinbarten Gewährleistungs- oder Garantiefrist muss der verdeckte Mangel innerhalb dieser Frist angezeigt werden.
Nur wenn ein beiderseitiges Handelsgeschäft vorliegt, muss § 377 HGB beachtet werden. Beide Vertragspartner müssen also Kaufleute im Sinne von §§ 1 ff. HGB sein bzw. einen Kaufmann mit entsprechender Vollmacht vertreten. Kaufmann im Sinne des Handelsgesetzbuches ist, wer ein Handelsgewerbe betreibt (§ 1 Abs. 1 HGB). Handelsgewerbe ist jeder Gewerbebetrieb, es sei denn, dass das Unternehmen nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb nicht erfordert (§ 1 Abs. 2 HGB).
Beide Kaufleute müssen im Einzelfall außerdem ein Handelsgeschäft betreiben. Nach § 343 HGB sind Handelsgeschäfte alle Geschäfte eines Kaufmanns, die zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehören. Es gilt folgende Vermutung: Die von einem Kaufmann vorgenommenen Rechtsgeschäfte gelten im Zweifel als zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehörig (§ 344 Abs. 1 HGB).
„Unverzüglich“ bedeutet „ohne schuldhaftes Zögern“ (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Käufer muss also nicht sofort untersuchen. Nur wenn dem Käufer ein Schuldvorwurf gemacht werden kann, er habe nicht rechtzeitig untersucht und gerügt, ist die Untersuchung bzw. Mängelrüge verspätet. Sie ist verspätet, wenn sie der Käufer durch fahrlässiges, also schuldhaftes Verhalten hinauszögert: „Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt“.
Bei einem beiderseitigen Handelsgeschäft haben beide Vertragsseiten, also auch der Käufer, für die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns einzustehen. Damit verliert die hier zu beachtende Sorgfaltspflicht ihren ausschließlich subjektiven Charakter. Es ist demnach nicht entscheidend, wie schnell ein einzelner Kaufmann die Untersuchung normalerweise abzuwickeln pflegt, ausschlaggebend ist vielmehr, was von einem ordentlichen, durchschnittlichen Kaufmann in einer solchen Situation verlangt werden muss. Mit anderen Worten: Wie schnell untersucht in dieser Branche ein ordentlicher Kaufmann eine bestimmte Warenart?
Einkäufer können bei der Industrie- und Handelskammer Auskünfte einholen. Auch die jeweiligen Fachverbände stehen für Auskünfte zur Verfügung. Auf diese Weise kann dann festgestellt werden, ob sich in einer Branche ein Handelsbrauch gebildet hat bzw. wie und wie schnell hier geprüft und gerügt werden muss.
Die Ware fachgerecht untersuchen
Die vom Käufer vorzunehmende Untersuchung muss erfolgen, „soweit dies nach ordnungsmäßigem Geschäftsgang tunlich ist“. „Tunlich“ ist das, was der branchenspezifischen Übung entspricht. Die Untersuchung ist fachgerecht, d. h. nach dem in der Branche geübten technischen Stand durchzuführen.
Also auch hier gilt: Nicht die subjektive (persönliche) Auffassung und Qualifikation des Auftraggebers sind für die Beantwortung der Frage entscheidend, ob die Untersuchung ordnungsgemäß war, sondern objektive Kriterien, d. h. was nach allgemeiner Verkehrsauffassung – so die Gerichte – für die Mängeluntersuchung in einem Unternehmen dieser Art und Größe geboten erscheint. Es kommt dabei ganz wesentlich auf die Art und Menge der jeweiligen Ware, auf den Aufwand der Untersuchung, auf die Fachkompetenz des Käufers und auch – sehr bedeutsam – auf die Gefahr von Mangelfolgeschäden an.
Es wäre dabei nicht ausreichend, wenn der Käufer nur nach bestimmten, von ihm subjektiv als wichtig erachteten Fehlern suchen würde. Er muss vielmehr seine Untersuchung so einrichten, dass alle Fehler von Belang gefunden werden können, die üblicherweise bei dieser Ware auftreten können. Die Untersuchung muss auch dann mit branchenüblicher Sorgfalt erfolgen, wenn über einen längeren Zeitraum hinweg die Ware eines bestimmten Lieferanten zu keinerlei Beanstandungen Anlass gegeben hat.
Gewährleistungsansprüche auch nach Weiterverarbeitung
„Verdeckt“ ist folglich ein Mangel, der auch bei einer fachmännisch und mit angemessener und zumutbarer Sorgfalt durchgeführten Eingangsprüfung nicht erkannt werden kann. Dagegen liegt ein offener Mangel vor, wenn er bei Anwendung einer angemessenen Prüfmethode hätte festgestellt werden können. Hieraus ist zu schließen, dass der bei einer geeigneten Stichprobenprüfung auftretende verfahrensbedingte Durchschlupf ein verdeckter Mangel ist, und zwar unabhängig davon, um welches Qualitätsmerkmal es sich handelt. Demnach stehen dem Käufer auch bei späterer Entdeckung von verdeckten Mängeln, zum Beispiel bei der Weiterverarbeitung oder beim späteren Gebrauch der Ware, jedoch immer innerhalb der Gewährleistungszeit, alle Gewährleistungsansprüche gegen den Verkäufer zur Verfügung.
  • Nach der BGH-Rechtsprechung hat der Empfänger einer Maschine diese in Betrieb zu nehmen und erste Teile unter ähnlichen Bedingungen wie bei einer serienmäßigen Produktion herzustellen bzw. zu bearbeiten. Mängel, die bei einer solchen Testproduktion nicht festgestellt werden können, sondern sich erst nach Aufnahme der Serienproduktion zeigen, sind verdeckte Mängel der Maschine, die dann unverzüglich nach ihrer Entdeckung gerügt werden müssen.
  • Nach einer Entscheidung des Kammergerichts ist der sofortige Einbau von gelieferten Bierfilterplatten in eine Filteranlage oder die Simulation der Produktion nicht erforderlich, sofern die sofortige, sachkundige Untersuchung durch Augenschein ausreicht, um festzustellen, ob die Platten nach ihrer äußeren Beschaffenheit mangelfrei sind.
Hat sich bei der Untersuchung ein Mangel „gezeigt“, ist der Besteller verpflichtet, den festgestellten Mangel dem Lieferanten umgehend mitzuteilen. Ein Mangel „zeigt“ sich dann, wenn er zur Gewissheit des Empfängers feststeht. Werden mehrere Mängel bei der Untersuchung gefunden, ist jeder einzelne Mangel für sich zu rügen.
Die Rüge soll die wesentlichen Erscheinungsformen des Mangels nennen, so dass sich der Lieferant von der Reklamation ein möglichst genaues Bild machen kann; doch ist der Empfänger nicht verpflichtet, eine in alle Einzelheiten gehende, genaue und fachlich richtig bezeichnete Rüge zu erheben. Es ist insbesondere nicht erforderlich, die Ursache des Mangels ausfindig zu machen und mitzuteilen. Es ist auch keine ungefähre Fehleranalyse nötig.
Hat der Lieferant die Sache im Rahmen seiner Pflicht zur Nacherfüllung nachgebessert und weist die reparierte Sache neue oder wieder dieselben Mängel auf, löst auch dies wieder eine Rügepflicht aus. Ein Fehlschlagen der Nachbesserung kann daher im Regelfall nur nach erneuter Rüge festgestellt werden. Das Gleiche gilt bei Ersatzlieferungen. Bei echten Teillieferungen muss grundsätzlich bei jeder Sendung eine Untersuchung im Sinne von § 377 HGB vorgenommen werden. Wird ein entdeckter Mangel bei der Rüge vergessen, gilt die Ware insoweit als genehmigt.
§ 377 HGB ist dispositives, also nachgiebiges Recht. Die unverzügliche Untersuchungs- und Rügepflicht kann daher in Individual- bzw. Einzelverträgen vom Käufer ausgeschlossen werden. Beispiele:
  • „Der Verkäufer/Lieferant wird den Einwand der verspäteten Mängelrüge nicht erheben.“
  • „Der Auftragnehmer verzichtet auf den Einwand der verspäteten Anzeige festgestellter Mängel.“
Dies klingt einfacher als es tatsächlich ist, da die Gerichte sehr hohe Anforderungen an das Vorliegen von Einzelverträgen stellen. Liegt jedoch unbestritten ein Einzelvertrag vor, kann eine Freizeichnung in jedem Vertrag, auch im Rahmen einer Qualitätssicherungsvereinbarung, erfolgen.
Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19.06.1991 ist dagegen das formularmäßige Abbedingen der unverzüglichen Untersuchungs- und Rügepflicht bei offenen Mängeln mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung unvereinbar und damit wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG ( jetzt 307 Abs. 1 Nr. 1 BGB) unwirksam.
Man kann jedoch die vom Gesetz verlangte „Unverzüglichkeit“ in Allgemeinen Einkaufsbedingungen etwas „verlängern“. Graf von Westphalen (Allgemeine Einkaufsbedingungen nach neuem Recht, 2002) hält in seinem Muster für Allgemeine Einkaufsbedingungen (Seiten 3, 85ff) eine Frist von fünf Arbeitstagen für zulässig:
„Wir sind verpflichtet, die Ware innerhalb angemessener Frist auf etwaige Qualitäts- oder Quantitätsabweichungen zu prüfen; die Rüge ist rechtzeitig, sofern sie innerhalb einer Frist von fünf Arbeitstagen, gerechnet ab Wareneingang oder bei versteckten Mängeln ab Entdeckung, beim Lieferanten eingeht.“
Auf Seite 95 schreibt der Verfasser: Gleichwohl wird man sagen müssen, dass eine Frist von 8 Tagen, gerechnet von dem Zeitpunkt an, in welchem sich der Mangel „gezeigt“ hat, regelmäßig nicht mehr als „unverzüglich“ im Sinne von § 377 HGB gilt … In der Praxis wird man – abhängig von dem jeweiligen Produkt – eine Rügefrist von zwei bis drei Arbeitstagen für vertretbar ansehen können (S. 95) … Das Formular geht von einer Frist von fünf Arbeitstagen aus. Das kann zu lang sein.“ (S. 97).
Der Bundesgerichtshof und die Instanzgerichte stellen bei der Frage der Unverzüglichkeit stets auf die Situation im konkreten Einzelfall ab. Deshalb kann kaum mit einer allgemein gültigen höchstrichterlichen Entscheidung zur Rügefrist gerechnet werden.
Der Bundesgerichtshof hat sogar entschieden, dass die Mängelrüge bei einem Werbefilm „spätestens innerhalb von 24 Stunden nach Erhalt des Films“ erfolgen müsse! Auch in den Urteilen der Oberlandesgerichte werden dem Käufer immer nur wenige Tage zur Untersuchung und Rüge eingeräumt. Andererseits wurden vom Bundesgerichtshof acht Tage in Farbdruck-AGB anerkannt (BB 1977 S. 14).
Rügefristen gehören nur in Einzelverträge
Hieraus wird ersichtlich, wie schwierig es ist, eine solche Frist in Allgemeinen Einkaufsbedingungen festzulegen. Eigentlich ist es sogar unmöglich, eine Frist in AEB zu bestimmen, die für alle Güter gelten soll, die von einem Unternehmen eingekauft werden. Solche Untersuchungs- und Rügefristen gehören richtigerweise in den Einzelvertrag. Deshalb: Nennt man in den AEB eine Rügefrist, zum Beispiel acht Arbeitstage, so sollte man beim Einkauf bestimmter Güter, etwa leicht verderblicher Ware, immer daran denken, dass im Streitfall nur eine kürzere Frist vor den Augen der Richter Bestand haben wird und deshalb im Einzelvertrag eine kürzere Frist vereinbaren. Keinesfalls sollte man sich in AEB längere Rügefristen einräumen. Fristen von mehr als acht Arbeitstagen sind mit großer Wahrscheinlichkeit wegen Verstoßes gegen § 307 BGB unzulässig.
Keinesfalls ist es eine unbedingte Notwendigkeit, die unverzügliche Untersuchungs- und Rügefrist in AEB zu regeln. Viele Einkäufer vermeiden dies, um nicht beim Vertragspartner „schlafende Hunde zu wecken“. Diese Ansicht ist nicht abwegig. Man hat aber dann die Möglichkeit versäumt, die unverzügliche Untersuchungs- und Rügefrist auf eine einigermaßen praxisgerechte Frist von acht Arbeitstagen – oder besser weniger – auszudehnen.
Der Autor: Prof. Dr. Karlheinz Schmid
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