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THG-Emissionen senken, heißt Kosten vermeiden

Ergebnisse einer empirischen Studie zur Erfassung des Footprints
THG-Emissionen senken, heißt Kosten vermeiden!

THG-Emissionen senken, heißt Kosten vermeiden!
Der Rat und das Europäische Parlament haben Mitte Dezember 2023 eine vorläufige Einigung zur Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) erzielt: „Ziel der Richtlinie ist es, Umwelt und Menschenrechte in der EU und weltweit zu schützen.“ Bild: Mikhail Ognev/stock.adobe.com
Die Restmenge an Treibhausgasen (THG) für klimaverträgliches Handeln ist knapp. Im Fit-for-55-Programm setzt die EU Regulierungen durch, die bereits viele Firmen betreffen. Auch diejenigen, die bisher nicht unter die Vorschriften fallen, werden tangiert, da ihre Abnehmer konkrete Umweltdaten von Lieferanten einfordern. Die gesamte Wertschöpfungskette ist involviert. Handeln ist dringend geboten.

Die noch verfügbare Menge an Treibhausgasen (THG), die wir emittieren und bei denen wir trotzdem das Klima noch „retten“ können, ist kritisch gering. Es ist Eile geboten, geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Im Zuge des Fit-for-55-Programms hat die EU entsprechende Regulierungen vorangebracht, die bereits heute sehr viele direkt Unternehmen betreffen. Aber auch die Firmen, die noch nicht unter die Regulierungen fallen, sind „betroffen“, denn ihre Abnehmer müssen zur Erfüllung ihre Nachhaltigkeitsverpflichtungen und ihrer eigenen ökologischen Ziele konkrete Daten von ihren Lieferanten einfordern. So sind mehr oder weniger alle entlang der Wertschöpfungskette mit im Boot.

Bekanntermaßen gilt für zahlreiche Unternehmen das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und nunmehr auch das deutlich schärfer gefasst und hinsichtlich ökologischer Aspekte weitreichendere europäische „Lieferkettengesetz“, genauer die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Hierzu gibt es seit Mitte Dezember 2023 eine Einigung zwischen EU-Rat und EU-Parlament, so dass ein förmlicher Beschluss zeitnah erwartet werden kann.

Bewertung der Performance

Die seitens der Finanzmärkte, der Regierungen und weiterer Stakeholder gegebene hohe Relevanz ökologischer und sozialer Aspekte bei der Bewertung der Performance von Unternehmen findet in der zwingenden Vorgabe einer standardisierten und zu testierenden nachhaltigkeitsbezogenen Berichterstattung seinen Niederschlag: konkret bei uns durch die European Corporate Sustainability Reporting Standards (ESRS), die über die EU Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) beschlossen wurden. Auch wer hierüber (bisher) nicht verpflichtend berichten muss, wird davon betroffen, sofern die Geschäftskunden dies bereits sind. Es ist zudem wichtig zu erkennen, dass die ESRS sich im Rahmen der geplanten Weiterentwicklungen zusätzlich zu den heute bereits adressierten Treibhausgasemissionen auch auf Bereiche wie den Schutz von Wasser und Meeren, der Biodiversität und der Kreislaufwirtschaft beziehen soll. Berichtspflichtige Unternehmen nehmen dies zunehmend sehr ernst, da allein ungünstigere Finanzierungsbedingungen an den Kapitalmärkten aufgrund einer schlechteren Nachhaltigkeitsperformance sehr teuer werden können. Demgemäß wird die Führungsebene entsprechende Daten von den „nachgelagerten“ Unternehmensfunktionen – und dazu gehört der Einkauf zumeist nach wie vor – einfordern. Abwarten ist hier also keine gute Strategie!

Preise von Treibhausgasemissionen

Direkt kostenwirksam ist die Bepreisung von Treibhausgasemissionen (Kohlenstoffdioxid, Methan, Distickstoffoxid/Lachgas, fluorierte THGs) beispielsweise mittels Besteuerung oder dem Zwang zum Erwerb von THG-Zertifikaten über das European Trading System (ETS 1). Eine Flucht in außereuropäische Produktionen (Carbon Leakage) soll der EU-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism – CBAM) vermeiden helfen. Nach der bereits laufenden „Transitionsperiode“ verpflichtet dieser Unternehmen zum Erwerb von ETS-Emissions-Zertifikaten gemäß des CO2-Fußabdrucks der in die EU importierten Produkte (Product Carbon Footprint – PCF). Mit der „Scharfschaltung“ der CBAM-Regeln ab 2026 und damit der Pflicht, in entsprechendem Umfang Emissionszertifikate zu erwerben, kann es also für einige Nicht-EU-Produkte teuer, zumindest teurer werden. Parallel sollen die kostenlosen Zuteilungen von Zertifikaten bis voraussichtlich (spätestens) 2035 auf null reduziert werden. – Die Welt wird teurer für CO2-intensive Güter, unabhängig davon, ob diese innerhalb oder außerhalb der EU hergestellt wurden. Tatsächlich aber drücken dann die Preise etwas besser die „wahren“ Kosten aus, einschließlich eines Teils der Kosten, die bisher der Allgemeinheit aufgebürdet wurden.

Kapazitäten schaffen

Mit all diesen Themen muss man sich eingehender beschäftigen, wenn man sein Unternehmen und auch den Einkauf zukunftssicher aufstellen will. Dass man hierfür gut ausgebildete MitarbeiterInnen benötigt, die bekanntermaßen knapp sind und wohl auch bleiben, und diese angemessen bezahlen und ihnen attraktive Arbeitsbedingungen bieten muss, ist kein Geheimnis. Dies gilt genauso für den zwingend notwendigen Einsatz moderner Softwarelösungen. Wenn Unternehmen sich diesbezüglich nicht gut aufstellen, dürfte das alsbald zu massiven Problemen führen.

Zwar sind all die genannten Regulierungen recht neu, aber das bedeutet nicht, dass man sich zu viel Zeit bei der Durchführung geeigneter Maßnahmen nehmen sollte. Der erste Schritt muss hier die Schaffung von Transparenz sein. Dies wird ja auch bereits – vor allem hinsichtlich sozialer Aspekte – durch das LkSG eingefordert. CSDDD, CSRD und CBAM gehen aber viel weiter und kaum ein international agierendes Unternehmen wird umhinkommen, zumindest schnell seine THG-Emissionen entlang der Lieferkette zu erfassen.

Abschätzung von Kostenrisiken

Die nachfolgende Bewertung hilft bei der fundierten Abschätzung von Kostenrisiken im Zeitverlauf angesichts steigender Preise für die verursachten THG-Emissionen. Hieraus können sehr unterschiedliche Strategien und Maßnahmen abzuleiten sein, von Preisverhandlungen mit Lieferanten, in denen THGs explizit einbezogen werden, über gemeinsame THG-Senkungsprojekte bis hin zu einem Lieferantenwechsel und den damit verbundenen, teilweise sehr aufwendigen Aktivitäten. Dass diese Dinge oft viel Zeit, teilweise einige Jahr dauern, dürfte jedem klar sein, so dass die Eilbedürftigkeit der Beschäftigung mit der Materie auf der Hand liegen sollte.

Ergebnisse der CO2-Studie

Wo stehen nun die Unternehmen aktuell hinsichtlich dieser Herausforderungen? Jasmin Möller (Mitarbeiterin an der Universität Würzburg), Prof. Dr. Holger Müller (HTWK Leipzig) und Prof. Dt. Ronald Bogaschewsky (Universität Würzburg) haben im letzten Quartal 2023 eine anonymisierte Online-Befragung durchgeführt, an der sich 71 VertreterInnen von Industrieunternehmen beteiligt haben.

Bei fast der Hälfte der Unternehmen liegt die Hauptverantwortung für das Nachhaltigkeitsthema bei einer eigenen Nachhaltigkeitsabteilung bzw. der/dem Chief Sustainability Officer (CSO), in rund 11 Prozent der Fälle beim CPO bzw. im Einkauf und gut 28 Prozent verfolgen diesbezüglich einen cross-funktionalen Ansatz. Da die THG-Emissionen entlang der Lieferkette nicht selten 80 Prozent und mehr des gesamten PCF (Product Carbon Foot) ausmachen, kann man sich vorstellen, dass der Einkauf häufiger eine Führungsrolle haben sollte. Zu bedenken ist allerdings, dass die Frage der Nachhaltigkeitsperformance alle wesentlichen Funktionen des Unternehmens betrifft, was wiederum einer effektiven Koordination bedarf.

Eine systematische Anwendung von Normen wie der UN-Menschenrechtskonvention und den ILO-Kernarbeitsnormen nehmen gut die Hälfte, respektive gut 28 Prozent für sich in Anspruch. All diese Unternehmen müssten damit die Anforderungen des LkSG eher leicht erfüllen können. Auch dem UN Global Compact und den Sustainable Development Goals (SDGs) wird nicht selten (40,8 Prozent bzw. 45,1 Prozent) systematisch gefolgt. Auch wenn dies freiwillige Initiativen sind, wäre eine systematische Einbeziehung der entsprechenden Ziele sehr weitreichend und die entsprechenden Aktivitäten würden wohl die gesamten EU-Regulierungen quasi nebenbei erfüllen, so dass an diesem Ergebnis gewisse Zweifel angebracht sind.

Scope 1, Scope 2und Scope 3

Knapp die Hälfte der Unternehmen erfasst die eigenen Scope-1-Emissionen, also die der eigenen Produktion, nahezu komplett, weitere 22 Prozent weitgehend. Somit hinken rund 30 Prozent hier noch hinterher. Die für die zugekaufte Energie anfallenden Scope-2-Emissionen werden zu 44 Prozent nahezu komplett und zu 24 Prozent weitgehend erfasst. Da dies in den meisten Fällen eine vergleichsweise leicht zu bewältigende Aufgabe darstellt, verwundert es ein wenig, dass diese Werte nicht höher ausfallen. THG-Emissionen bei der Distribution bzw. Scope-3-downstream erfassen lediglich gut ein Fünftel weitgehend oder sogar komplett.

Bevor wir zu den lieferkettenbezogenen THG-Emissionen (Scope-3-upstream) kommen, ist es interessant zu betrachten, inwiefern die Reduktion dieser Emissionen bereits als Zielsetzung formuliert wurde. 44 Prozent geben an, bereits verbindliche Reduktionsziele sowohl intern als auch extern öffentlich zu machen, 17 Prozent haben verbindliche interne Ziele. Damit haben rund 40 Prozent unverbindliche oder gar keine diesbezüglichen Ziele, was der Dringlichkeit des Themas nicht gerecht werden dürfte. Bei denen, die Ziele formuliert haben, ist lediglich in rund 40 Prozent der Fälle die Zielgewichtung hoch oder sehr hoch. Damit nehmen insgesamt scheinbar nicht einmal ein Viertel der Unternehmen dieses Thema wirklich ernst, was ernüchternd sein dürfte. Immerhin haben zwei Drittel der Unternehmen, die sich mit der Thematik beschäftigen, dies auch in die interne Erfolgsmessung aufgenommen.

Einflussmöglichkeiten des Einkaufs

Hinsichtlich der lieferkettenbezogenen THG-Emissionen sehen lediglich 47 Prozent eine (eher) starke Einflussmöglichkeit des Einkaufs, bei 35 Prozent wird eine mittlere Einflussmöglichkeit gesehen. Dies dürfte teilweise daraus resultieren, dass die Möglichkeiten zur Änderung technischer Spezifikationen für die eingekauften Produkte sowie für deren Herstellung limitiert sein dürften. Bisher verlangen rund die Hälfte der Unternehmen Daten zum THG-Fußabdruck der direkten Lieferanten, wobei sich 11 Prozent auf die Scope-1- und Scope-2-Werte beschränken. Dabei werden zu 61 Prozent nur Näherungswerte und zu weiteren 8 Prozent lediglich grobe unverbindliche Werte eingefordert, die zudem zu rund 90 Prozent per Selbstermittlung generiert werden dürfen. Wird der komplette THG-Fußabdruck (inklusive Scope 3) eingefordert, begnügen sich 68 Prozent mit Näherungswerten und 11 Prozent wollen es genau wissen, wobei auch hier eine Selbstermittlung seitens des Lieferanten akzeptiert wird. Insgesamt scheint es also um eine „erste Orientierung“ zu gehen, die mit testatfähigen Nachweisen in den meisten Fällen noch nicht viel zu tun hat. So verwundert es nicht, dass 93,4 Prozent angeben, in Lieferantengesprächen aktuell nur eine allgemeine Sensibilisierung für das Thema anzustreben. Ähnliches gilt auch für die Berücksichtigung der Auswirkungen des CBAM bei der Auswahl von bestehenden und neuen Lieferanten, was erst rund ein Fünftel der Unternehmen aktiv tut.

Abschließend bleibt festzustellen, dass die Befragten sehr deutlich die Vorteile einer Nachhaltigkeitsberichterstattung für die eigene Wettbewerbsfähigkeit erkennen, dass sie eine Vorbildfunktion der EU-Unternehmen einfordern, dass sie eine Verschlechterung der relativen Kostensituation für Unternehmen, die nicht nachhaltig handeln, sehen und dass eine gute Nachhaltigkeitsperformance sich positiv auf die Attraktivität als Arbeitgeber auswirkt. Demgegenüber werden die Ausnutzung von Umgehungsstrategien und die negativen Folgen des Mehraufwands erheblich geringer in den Antworten gewichtet. Insgesamt kann also festgestellt werden, dass man sich an das Themenfeld erst einmal „herantastet“ sowie eher positive als negative Effekte sieht.


Würzburger Nachhaltigkeitstag

Die oben angesprochenen Fragestellungen werden durch und mit Beiträgen aus der Praxis im Rahmen des 3. Würzburger Nachhaltigkeitstags am 7. Mai 2024 am Weltkulturerbe Würzburger Residenz mit zahlreichen CPOs und weiteren Experten aus der Praxis diskutiert. Sie sind herzlich eingeladen.
Informationen und Anmeldungen (Frühbucherrabatt bis 5.4.) unter:

https://wuerzburger-nachhaltigkeitstag.de/


Der Autor:

Prof. Dr. Ronald Bogaschewsky

Lehrstuhl BWL und Industriebetriebslehre
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Bild: Uni Würzburg


Glossar

  • THG: Treibhausgas
  • LkSG: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
  • CSDDD: Corporate Sustainability Due Diligence Directive; europäisches Lieferkettengesetz
  • ESRS: European Corporate Sustainability Reporting Standards; nachhaltigkeitsbezogenen Berichterstattung
  • CSRD: EU Corporate Sustainability Reporting Directive; Die Richtlinie ist am 5. Januar 2023 in Kraft getreten. Die Vorschriften müssen 18 Monate später von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden.
  • CBAM: Carbon Border Adjustment Mechanism; europäisches CO2-Grenzausgleichssystem. Der Grenzausgleich soll in bestimmten Wirtschaftssektoren, die vom EU-Emissionshandel umfasst sind, die Verlagerung von Treibhausgasemissionen in Nicht-EU-Länder verhindern.
  • PCF: Product Carbon Footprint
  • ILO: International Labour Organization; Internationale Arbeitsorganisation ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen und damit beauftragt, soziale Gerechtigkeit sowie Menschen- und Arbeitsrechte zu fördern.
  • SDGs: Sustainable Development Goals; Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung sind politische Zielsetzungen der UN, die weltweit der Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene dienen sollen.
  • Scope-1-Emissionen: Emissionen aus Quellen, die direkt von Unternehmen verantwortet oder kontrolliert werden. Dazu gehören Emissionen aus Energieträgern an dem Standort des Unternehmens, wie Erdgas und Brennstoffe, Kühlmittel, sowie Emissionen durch den Betrieb von Heizkesseln und Öfen. Sie werden von Unternehmen verantwortet oder kontrolliert. Darunter fallen auch Emissionen des eigenen Fuhrparks.
  • Scope-2-Emissionen: Indirekte Emissionen aus eingekaufter Energie, wie Strom, Wasserdampf, Fernwärme oder -kälte, die außerhalb der eigenen Systemgrenzen von Unternehmen erzeugt aber von ihnen verbraucht wird.
  • Scope-3-Emissionen: Indirekte Emissionen, die in der Wertschöpfungskette eines Unternehmens anfallen, und zwar sowohl in vor- als auch in nachgelagerten Bereichen. Die vorgelagerten (upstream) Emissionen stammen aus der Herstellung der Produkte oder Dienstleistungen eines Unternehmens, während die nachgelagerten (downstream) Emissionen aus deren Nutzung und Entsorgung stammen.

Quellen: UN Compact, ClimatePartner, UN Compact, Wikipedia


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