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Nio ET7: Potenter Rivale für Tesla und Mercedes EQE

Testbericht Nio ET7
Nio ET7: Potenter Rivale für Tesla und Mercedes EQE

Nio ET7: Potenter Rivale für Tesla und Mercedes EQE
Der ET7 zieht mit seinem eleganten sowie sportlichen Äußeren die Blicke vieler Autofahrer während der Fahrt auf sich. Am Schnelllader lädt der ET7 mit bis zu 130 kW. Bild: Alexander Gölz
Reichlich Technik und Sensorik verbaut, eine rasante Beschleunigung bei einer stattlichen Größe: das ist der ET7 des chinesischen Elektroautoherstellers Nio. Wir sind das E-Auto im April zwei Wochen ausgiebig Probe gefahren.

Alexander Gölz, Chefredakteur Beschaffung aktuell

Chinesische Autobauer drängen mit großem Tempo auf den deutschen Markt, darunter sind Konzerne wie BYD, Great Wall und SAIC, die im Reich der Mitte längst etabliert sind – und auch der Hersteller des ET7, der zum Test auf den Verlagsparkplatz rollt. Das Unternehmen aus Shanghai (gegründet 2014) lieferte 2022 rund 120.000 Autos aus, die allermeisten davon auf dem Heimatmarkt.

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Durch unzählige Sensoren und Kameras hat der Nio ET7 den Verkehr sowie Fußgänger und Radfahrer stets im „Blick“.
Bild: Alexander Gölz

In Deutschland hat Nio Ende 2022 mit dem Verkauf der Elektro-Limousine ET7 begonnen, deren zwei E-Maschinen zusammen 480 kW (653 PS) leisten. Der Kaufpreis inklusive 100 kWh-Litium-Ionen-Batterie liegt bei 90.900 Euro (75 kWh: 84.400 Euro). Als Alternative zum Kauf bietet Nio auch ein Abo-Modell an, welches monatlich kündbar ist. Wer die Batterie mietet, statt das E-Auto als Ganzes zu kaufen, ist ab 69.900 Euro dabei. Dafür fallen Kosten in Höhe von 169 (75 kWh) oder 289 Euro (100 kWh) im Monat an. Mit dem Fleet Management Tool für Nio-Geschäftskunden haben Flottenmanager einen Überblick über ihre Fahrzeuge, Fahrer und Rechnungen und können alle Nio-Abonnements verwalten.

Ich war mit dem Nio ET7 (100 kWh-Variante) zwei Wochen lang täglich unterwegs. Die längste Fahrstrecke war Stuttgart-Berlin und wieder zurück. Doch beginnen wir von vorne: dem Äußeren und der qualitativen Anmutung des Fahrzeugs. Der ET7 misst satte 5101 mm Länge, 1987 mm Breite und hat einen Radstand von 3060 mm. Vorne dominiert eine markant gestaltete Front mit zweigeteilten LED-Scheinwerfern und schmalem Tagfahrlicht. Hinten breitet sich ein LED-Band über das gesamte Heck aus, eingefasst von abgedunkeltem Glas. Die äußeren Spaltmaße sowie die Innenraum-Verarbeitung sind tadellos. Der Gang zum Auto ist bereits ein Erlebnis. Nähert man sich dem ET7 mit dem Schlüssel bei sich, wird die Heckleuchte aktiviert und die Griffe fahren aus den Türen. Beim Einsteigen öffnet sich die Tür automatisch ein Stück, sobald die Hand den Griff berührt. Nach dem Einsteigen schließt das System die Tür mit einem sanften Ziehen. Beim Verlassen öffnet sich die Tür automatisch mit nur einem Klick.

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Elegante Erscheinung: Die Türen sind rahmenlos, die Türgriffe versenkt, sodass die Seitenansicht sehr harmonisch ausfällt.
Bild: Alexander Gölz

Sitzt man im ET7, ist man zunächst überwältigt vom Platzangebot. Sowohl vorne als auch im Fond. Die schwebenden Displays, das zweifarbige Lenkrad im Zweispeichen-Design und die unsichtbaren intelligenten Lüftungsdüsen schaffen eine elegante, angenehme Atmosphäre. Auf Wunsch kann der Innenraum auch mit Düften belüftet werden. Startet man seine Fahrt, sorgt der Allradantrieb für eine zügige Beschleunigung bis 200 km/h, in schnellen Kurven schiebt der 2,5 Tonnen schwere Wagen etwas über die Vorderräder. Die Rekuperation lässt sich zwar einstellen, reicht aber auch in stärkster Einstellung nicht für One-Pedal-Driving oder einen nennenswerten Zuwachs der Reichweite. Diese beträgt im Test mit dem 91-kWh-Akku (netto) maximal 405 Kilometer (Werksangabe 580 km nach WLTP).

Nomi: Der erste Sprachassistent, der Ihnen schöne Augen macht

Nio hat in allen Fahrzeugen serienmäßig die intelligente Sprachassistentin „Nomi“ an Bord. Diese „sieht“ einen beim Einstieg an, „blinzelt“ kurz und begrüßt je nach Tageszeit unterschiedlich. Sie erfüllt während der Fahrt nahezu jeden Wunsch per Sprachbefehl. Ist man während der Fahrt zu sehr in das gestochen scharfe 12,8-Zoll-AMOLED-Center-Display vertieft, ermahnt sie mit „bleiben Sie wachsam“. Ein weiterer Clou, Nomi erkennt, woher im Auto ein Sprachbefehl kommt und aktiviert so beispielsweise hinten links die Massagefunktion in dem der Passagier hinten links lediglich sagt: „Nomi, bitte massiere mich.“

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Sprachassistentin Nomi (oberhalb des Zentraldisplays) hat die Insassen während der Fahrt im Blick und reagiert prompt auf Wünsche aller Art.
Bild: Yannick Schwab

An der Nutzung von Nomi führt während der Fahrt kaum ein Weg vorbei. Schließlich orientiert sich Nio beim Bediensystem stark an Tesla und integriert sehr viele Funktionen in den Zentralbildschirm. So gibt es neben den beiden Bedienfeldern am Lenkrad kaum Tasten oder Schalter. Selbst das Einklappen der Außenspiegel geht nur über das Infotainmentsystem.

Anders als beim Tesla Model 3 oder Y, verfügt der Nio ET7 neben dem Head-up-Display (Serienausstattung) noch über ein recht großes Fahrerdisplay hinter dem Lenkrad. Doch dieses geizt mit wichtigen Informationen, die man als Elektroautofahrer gerne aufrufen würde. Dazu zählen beispielsweise die gefahrenen Tageskilometer oder der Tages- bzw. Streckenverbrauch. Die Tageskilometer lassen sich nur sehr umständlich durch mehrmaliges Klicken und Herunterscrollen auf dem Zentralbildschirm finden. Selbst Nomi hat die Zahl auf Nachfrage nicht gefunden.

Sensorik und teil-autonomes Fahren

Im ET7 sind über 33 Sensoreinheiten verbaut. Darunter ein hochauflösendes LiDAR, sieben hochauflösende 8-MP-Kameras, vier lichtempfindliche 3-MP-Kameras, ein Fahrerüberwachungssystem, 5-Millimeterwellen-Radare, zwölf Ultraschallsensoren, redundante hochpräzise Lokalisierungseinheiten und eine HOD (Hands Off Detection). Hier sind ein paar Kritikpunkte zu nennen: Die teil-autonome Fahrt im Nio funktionierte im Testwagen nicht so geschmeidig wie in Autos aus Sindelfingen, München oder Ingolstadt und verursachte teils abrupte Bremsvorgänge. Das gilt auch für die Fahrassistenzsysteme. Die Verkehrszeichenerkennung erinnert eher an einen Zufallsgenerator. Vermutlich wurde die Bilderkennung noch nicht ausgiebig mit europäischen Verkehrszeichen trainiert.

Es überraschte mich, dass auf Autobahnstrecken ohne Tempolimit plötzlich eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 70 km/h erkannt wurde. Da dies vor allem beim Überholen von LKW passierte, wurde mir klar: Das System hat entsprechende Aufkleber am Heck als Verkehrszeichen interpretiert. Das zeigt zumindest, was die 8-MP-Kamera leisten kann. Ebenfalls weniger gut, hat das Navi funktioniert. Zwar versteht die Sprachassistentin Nomi das gewünschte Ziel, doch das Navigationssystem findet die Straße nicht. Bisweilen half es, das Ziel per Tastatur einzugeben. Hier wird Nio sicherlich per Over-the-air-Update (OTA) nachbessern.

Akkuwechsel in unter fünf Minuten

Wie in China, setzt Nio auch in Europa auf Batterie-Wechselstationen: Innerhalb von rund fünf Minuten können die Kunden dort eine leere Batterie gegen eine volle auswechseln lassen – vollkommen automatisiert. Aktuell sind in Deutschland drei Wechselstationen in Betrieb. Nio will künftig zusammen mit der EnBW 20 weitere Stationen in Deutschland errichten. In meinem Test hat der Vorgang, der ebenso futuristisch wie imposant ist, super funktioniert: Die Station wird im Navi ausgewählt, die Anzeige verrät, wie viele verfügbare Batterien vorrätig sind und welchen Akkustand sie haben. Ich suche mir eine aus und sie wird reserviert.

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An den Nio Battery Swap Stations erfolgt ein voll automatisierter Akkutausch in weniger als fünf Minuten (im Bild die Station in Zusmarshausen).
Bild: Alexander Gölz

An der Station, die wie eine Doppelgarage aussieht, angekommen, manövriert das Auto autonom rückwärts in die Box. Während die Insassen im Auto bleiben, wird unter dem Fahrzeug die Verschraubung zwischen der Batterie und der Karosserie automatisch gelöst. Der entnommene, leere Akku wird zum Wiederaufladen gebracht, während ein neuer, voll aufgeladener eingepasst und befestigt wird. Bei meinen zwei Versuchen war der Akku jeweils in rund viereinhalb Minuten getauscht und ich konnte mit „frischer“ Reichweite weiterfahren. Nach dem Wechsel verbleibt die leere Batterie vor Ort, wo sie langsam und schonend für den nächsten Kunden geladen wird. Rund ein Dutzend Akkus sind im Vorrat, pro Stunde sollen bis zu zwölf Wechsel vorgenommen werden können.

Ein wichtiger Punkt beim Wechselkonzept: Es funktioniert grundsätzlich nur mit Mietbatterien. Für viele Autofahrer in Deutschland dürfte solch ein Ansatz ungewohnt sein. Er bietet aber auch Vorteile: So müssen sich E-Autobesitzer nicht um die Lebensdauer des Akkus sorgen. Auch eventuelle Schäden gehen nicht zu ihren Lasten.

Was sind die Vorteile für Kunden?

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Der ET7 überzeugt durch ein tolles Raumgefühl, bequeme Sitze und modernes Ambiete.
Bild: Alexander Gölz

Hauptvorteil des Wechsel-Modells sind die kürzeren Standzeiten. So dauert das „Nachtanken“ von hunderten Kilometern Reichweite dann nur rund fünf Minuten. Ein vergleichbares Aufladen an der Schnellladesäule nimmt im besten Fall rund fünf Mal so viel Zeit in Anspruch. Und es gibt weitere Vorteile: Zum einen die Flexibilität bei der Akku-Wahl. Prinzipiell halten Wechselstationen Speicher in unterschiedlichen Kapazitäten vor. Wer im Alltag mit geringer Reichweite klar kommt und daher mit einer günstigen und leichten Mini-Batterie fährt, kann beispielsweise für die Urlaubstour in der Wechselstation gegen Gebühr zeitweise auf eine größere Batterie umsteigen. Bei Nio sind das 75 kWh oder 100 kWh (Testwagen).

Kommen wir zum Verbrauch. Bei moderaten Geschwindigkeiten von 100 bis 110 km/h auf der Testfahrt Stuttgart-Berlin genehmigte sich der Nio zwischen 20 und 21 kWh Strom. Wenn es mal etwas zügiger sein soll – er beschleunigt in 3,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h – geht der Wert schnell Richtung 30 kWh und höher.

Fazit

Insgesamt ist der ET7 durchaus eine schicke Reiselimousine mit vielen Komfortfunktionen und einer hochwertigen Innenausstattung. Die tolle Geräuschdämmung und die satte Beschleunigung machen Langstrecken zum Erlebnis. So war die Fahrt nach Berlin im ET7 äußerst angenehm, auch wenn die Routenplanung für Ladestopps verbesserungswürdig ist. Als E-Autofahrer muss man generell seine Fahrgewohnheiten umstellen und mehr Zeit einplanen. Ich nutzte die 30- bis 40-minütigen Ladestopps zum Frischluft schnappen, E-Mails bearbeiten und telefonieren. Das ein oder andere Gespräch an der Ladesäule mit anderen E-Autofahrern oder Interessierten ist einem mit dem ET7 auch sicher. Durch die serienmäßige dynamische Fahrwerksanpassung erkennt das Auto anhand der Navigation und Sensoren die Straßenbedingungen im Voraus und passt die Federung aktiv an. Darüber hinaus sind die Sitze in Sachen Verstellbarkeit, Heizung und Massagefunktion auf Oberklasseniveau.

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Manko am Nio wie auch bei vielen deutschen Herstellern: Es steht kein Frunk (Kofferraum in der Fahrzeugfront) zur Verfügung.
Bild: Alexander Gölz

Dennoch gab es auch einige Schwachstellen: So war die Pilot-Funktion sowie die Verkehrszeichen-Erkennung oft unzuverlässig und es gab kuriose Lenkeingriffe. Außerdem wird der Batterieverbrauch auf der Langstrecke nach einem Stopp resettet. Was es etwas schwierig macht, die Gesamtwerte für eine lange Fahrt im Blick zu behalten. Der Kofferraum ist mit 363 Litern recht klein für ein Auto dieser Größe und die Rücksitze sind nicht umklappbar. Einen Extra-Stauraum für das Ladekabel sucht man leider vergebens. Außerdem bringt das Infotainment-System den Fahrer oftmals zur Verzweiflung, da das gekoppelte Smartphone nach einem Stopp wieder neu ausgewählt werden muss. Die Software-technischen Schwachstellen (Softwarestand im Testwagen war April 2023), beispielsweise in der Fahrerassistenz, wird Nio sicherlich mit OTA-Updates ausbügeln.

Unter dem Strich hatte ich mit dem ET7 einen komfortablen Begleiter und er würde für mich als Dienstwagen in die engere Auswahl kommen. Mit Nomi habe ich mich auch gut verstanden.

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