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Blicken Sie hinter die Maske

Mit Behavioral Economics besser verhandeln, Teil 1
Blicken Sie hinter die Maske

Blicken Sie hinter die Maske
Das Erkennen der Verhaltensmuster des Gegenübers und das Unterdrücken der eigenen Verhandlungsmuster machen den entscheidenden Unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten Verhandler aus. Bild: tookitook/stock.adobe.com
Erfolgreich geführte Verhandlungen sind die Basis für Ihren Geschäftserfolg. Aber was macht den Unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten Verhandler aus? Behavioral Economics hilft Ihnen dabei Ihren Gegenüber einen Tick besser zu verstehen, um so erfolgreicher zu verhandeln. In dieser neuen Serie stellen wir Ihnen Behavioral Economics und häufige Verhaltensmuster vor.

Treffen Einkäufer und Vertriebler am Verhandlungstisch aufeinander, gibt es, auch wenn die Illusion eines gutes Verhandlungsergebnisses beide Seiten ihr Gesicht wahren lässt, meist einen Gewinner. Natürlich sind Ergebnisse einzelner Verhandlungen von vielen verschiedenen Faktoren abhängig. Gewinnt jedoch eine Person einen überwiegenden Teil der Verhandlungen, kann sie durchaus als besserer Verhandler bezeichnet werden. Diese Menschen zeichnen vor allem zwei Dinge aus. Zum einen sind sie in Bezug auf ihr Gegenüber sehr wachsam, achten auf Versprecher, Gestik und Mimik, wissen diese zu interpretieren und auszunutzen. Zum anderen haben sie ein hohes Maß an Selbstkontrolle, geben nur gewollte Informationen frei und sind in der Lage eigene Schwächen für die Dauer der Verhandlung zu unterdrücken. Vor allem der letzte Punkt stellt für viele Menschen eine große Herausforderung dar. Die gute Nachricht: Diese Eigenschaften können erlernt und trainiert werden. Hilfe bietet dabei die Wissenschaft, genauer gesagt Behavioral Economics.

Was ist Behavioral Economics?

Behavioral Economics ist ein Teilbereich der Volkswirtschaftslehre, der sich – nah am Rand der Psychologie – mit menschlichem Verhalten und dessen Auswirkung auf ökonomische Situationen beschäftigt. Im Fokus steht dabei die Abweichung von der klassischen Annahme, alle Menschen verhielten sich immer rational.

Wir alle wissen aus unserem Privatleben, dass eine solche Annahme nur zu oft verletzt wird. Denken Sie an Probe-Abos, die uns langfristig gegen unseren eigentlichen Willen binden, an All-You-Can-Eat Restaurants, in denen wir noch immer zu viel essen, obwohl wir es schon lange besser wissen sollten, an Produkte im Supermarkt, die auf Augenhöhe hochwertiger erscheinen und an die mittlere Portion Popcorn im Kino, die die große Portion viel besser wirken lässt.

Wie hilft mir Behavioral Economics?

Ökonomen und Psychologen haben bis heute über hundert Verhaltensmuster identifiziert, die unsere Entscheidungen maßgeblich beeinflussen. Während solche Verhaltensmuster im Privatleben recht amüsant sind, haben sie einen erheblichen wirtschaftlichen Einfluss auf das unternehmerische Ergebnis.

Stellen Sie sich vor, Sie würden als Einkäufer bei einer Neuausschreibung einen Bestandslieferenten aufgrund der guten bisherigen Zusammenarbeit überschätzen und ihn gegenüber einem genauso guten, jedoch deutlich günstigeren Lieferanten bevorzugen. Oder, dass man das Wechseln eines Bestandslieferanten grundsätzlich ablehnt, weil die anfängliche Mehrarbeit durch die Umstellung abschreckt. In beiden Fällen würden Sie wertvolles Einsparpotenzial verschwenden.

Das Erkennen der Verhaltensmuster des Gegenübers und das Unterdrücken der eigenen Verhandlungsmuster machen den entscheidenden Unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten Verhandler aus.

Gegen jedes dieser hundert Verhaltensmuster können Sie sich schützen – und es gleichzeitig gegenüber Ihrem Verhandlungspartner nutzen. In jeder Verhandlungen bestehen somit durch Behavioral Economics bis zu 200 Möglichkeiten das Verhandlungsergebnis zu verbessern. In dieser Serie erläutern wir häufig vorkommende Verhaltensmuster, die Verhandler besonders schmerzhaft treffen können und ermutigen dazu, diese in der nächsten Verhandlung stattdessen selbst zum eigenen Vorteil anzuwenden.

Ankereffekt: Eines der bekanntesten und etabliertesten Tools eines guten Verhandlers hat seinen Ursprung in Behavioral Economics: der Ankereffekt. In nahezu jedem Verhandlungsbuch wird gepredigt, dass das Platzieren einer extremen Forderung (zum Beispiel 20 Prozent Preisnachlass) vor Beginn der eigentlichen Verhandlung das Verhandlungsergebnis zu den eigenen Gunsten verändert. Wenn der Ankereffekt jedoch in der Welt der Verhandlungen so etabliert ist, dass beide Parteien über die Auswirkungen Bescheid wissen, wieso wird er dann dennoch genutzt?

Die Antwort auf diese Frage untermauert die unglaubliche Kraft, mit der Verhaltensmuster unsere Wahrnehmung beeinflussen: Weil er trotzdem wirkt. Selbst wenn man weiß, dass man es mit einem Anker zu tun hat, ist es immer noch schwierig auf eine Forderung nach 20 Prozent Preisnachlass mit einer Forderung nach 20 Prozent Preiserhöhung zu antworten. Glücklicherweise gibt es viele weitere Verhaltensmuster, gegen die man sich leichter wehren kann.

Status-Quo-Bias: Das aus dem Change Management bekannte Problem „Das war schon immer so, das ist gut“ tritt nur zu oft auch in Verhandlungen auf. Die finanziell schmerzhafteste Form ist wohl die systematische Überschätzung von Bestandslieferanten. Die größte Verhandlungsmacht eines Einkäufers kommt über den Wettbewerb. Ob Ausschreibungen als einfache Variante, oder beliebig komplexe Auktionsdesigns – die Ergebnisse von Wettbewerbsverhandlungen stellen die von 1-gegen-1 Verhandlungen in den Schatten. Das zentrale Element hierbei ist die Ergebnisoffenheit. Doch genau das ist oftmals ein Problem. Vor allem Fachabteilungen und der operative Einkauf, der Angst davor hat Fehler zu machen, haben eine Tendenz dazu, Bestandslieferanten zu überschätzen und einen fairen Wettbewerb zu verhindern. Während die Einschätzung, welcher Lieferant grundsätzlich der qualitativ beste ist, eine sehr wertvolle Information darstellt, lohnt sich bei einem zweistelligen prozentualen Einsparpotenzial vielleicht ja doch der Blick über den Tellerrand.


Die Autoren:

Dr. Marvin M. Müller, Kerkhoff Consulting

Dr. Marvin M. Müller studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Dortmund und promovierte in Economics an der Ruhr Graduate School in Economics mit Schwerpunkten in Spieltheorie, Verhandlungstheorie und Behavioral Economics.


Fabian Spühler, Kerkhoff Consulting

Fabian Spühler studierte Volkswirtschaftslehre in Düsseldorf, Paris und Heidelberg mit Schwerpunkten im Bereich Spieltheorie, Industrieökonomik und Behavioral Economics.

 

Dr. Marvin M. Müller und Fabian Spühler sind ausgewiesene Experten für Spieltheorie, Verhandlungstheorie und Behavioral Economics. Sie begleiten im Namen der Düsseldorfer Unternehmensberatung Kerkhoff Consulting branchenübergreifende Kunden in herausfordernden Verhandlungen.

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