Der Industriestandort Deutschland steht unter Druck. Ein Belastungsfaktor sind die im internationalen Vergleich anhaltend zu hohen Energiekosten. Im zweiten Halbjahr 2022 mussten die Unternehmen in Deutschland laut Verband der Chemischen Industrie im Schnitt rund 20 Cent für eine Kilowattstunde Strom zahlen und damit 40 Prozent mehr als in Frankreich und etwa dreimal soviel wie in den USA. Diese Preise sind für die energieintensiven Unternehmen ein strategischer Nachteil des Standortes Deutschland. Dieser ist nicht betriebswirtschaftlich bedingt sondern eine Folge politischer Entscheidungen.
Die Konsequenz: Bei Neuinvestitionen gehen die Unternehmen lieber in die USA und nach China. Zur Sicherung der heimischen industriellen Basis, zu der unverzichtbar auch energieintensive Industrien gehören, muss daher von der Politik mehr getan werden, bevor es zu spät ist. Gleichwohl argumentieren Ökonomen, dass es gar nicht so dramatisch wäre, wenn beispielsweise die Basischemie oder auch die Stahlindustrie aus Deutschland abwandert. Dies ist blauäugig: 95 Prozent der Industrieprodukte basieren auf Basischemikalien. Für die Energie- und Mobilitätswende sind diese unverzichtbar. Ähnliches gilt für Stahl. Die Aufgabe der energieintensiven Industrien würde in eine riskante Abhängigkeit führen. Es gehört nicht viel Fantasie zu der Annahme, dass China die Welt so lange mit billigem Stahl überfluten wird, bis die Unternehmen in anderen Ländern aufgegeben haben.
Eine zurzeit kontrovers diskutierte Maßnahme zur Standortsicherung ist die Einführung eines staatlich subventionierten Industriestrompreises. In Rede steht ein zeitlich befristeter „Brückenstrompreis“ von 6 Cent pro Kilowattstunde. Dieser soll gelten bis zu dem Zeitpunkt, zu dem unsere Industrie vom günstigen Strom aus erneuerbaren Energien profitieren kann.
Hierfür kann man durchaus Sympathie entwickeln, denn ein Industriestrompreis würde von der Politik induzierte Preisverzerrungen korrigieren. Die Politik hat Entscheidungen getroffen, die das Stromangebot verknappt und verteuert haben. Dazu zählen der Kohle- und Atomausstieg. Und auch nach dem Wegfall der Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im vergangenen Jahr belasten weiterhin diverse Aufschläge den Strompreis. Allein die Netzentgelte sind oft höher als die reinen Stromgestehungskosten. Die hohen Kosten des Netzausbaus sind direkte Folge der politischen Entscheidungen zur Energiewende (s. hierzu Handelsblatt vom 27. Juli 2023).
Sicherlich: Für viele der genannten Kostenfaktoren gibt es gerade für große Verbraucher (leider zu wenig für den Mittelstand!) Entlastungen und Sonderregeln. Allerdings müssen viele Erleichterungen Jahr für Jahr neu erkämpft und beantragt werden. Dies ist eine schlechte Voraussetzung für Investitionen in Anlagen, die Jahrzehnte laufen sollen.
Für unsere energieintensiven Unternehmen sind die hohen Strompreise eine schwere Hypothek. Sinken sie nicht bald, drohen Abwanderung, Pleiten, Betriebsaufgaben. Die Politik muss mit einem „Brückenstrompreis“ ihren Beitrag dazu leisten, dass der Exodus gestoppt wird.