Kein Geringerer als Bundeskanzler Olaf Scholz lässt in jüngster Zeit landauf landab kaum eine Gelegenheit aus, um für Deutschland ein grünes Wirtschaftswunder mit Wachstumsraten wie in den Sechzigerjahren in Aussicht zu stellen. Dazu gehört viel Optimismus, denn damals wurden beim Bruttoinlandsprodukt Wachstumsraten von rund 8 Prozent erreicht. Angesichts der zurzeit mäßigen Konjunkturaussichten, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit im zweiten Halbjahr sogar noch weiter eintrüben werden, kann man heute von solchen Zahlen wohl nur träumen. Der Bundeskanzler, der natürlich Optimismus ausstrahlen muss, schaut mit seinem Teleskop offenbar viel weiter in eine verklärte Zukunft. Nach seiner Überzeugung wird der in der ganzen Welt anstehende Transformation zur Klimaneutralität für eine neue wirtschaftliche Dynamik sorgen. Von dieser wird – so die Überzeugung des Kanzlers – insbesondere Deutschland als Land, dessen findige Ingenieure die weltweit benötigten grünen Technologien entscheidend mit entwickelt haben, massiv profitieren. Also mehr Wertschöpfung in Deutschland – oder doch nicht?
Es wäre zu schön um wahr zu sein, wenn Olaf Scholz Recht behielte. Führende Wirtschaftswissenschaftler halten die optimistische Prognose des Bundeskanzlers indessen für Wunschdenken. So erwartet Ifo-Präsident Clemens Fuest (F.A.Z. vom 27. April 2023) für die mittelfristige Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft eher Schweiß und Tränen als einen großen Boom. Er hat erkannt, dass anders als in den längst vergangenen Wirtschaftswunderzeiten nicht damit zu rechnen ist, dass im Zuge der grünen Transformation keine oder nur in sehr überschaubarem Maße neue Produktionskapazitäten am Standort Deutschland geschaffen werden. Bestenfalls würde ein alter Kapitalstock durch einen neuen ersetzt.
Wenn man die aktuelle Diskussion um den spektakulären Verkauf weiter Teile des Heizungsunternehmens Viessmann analysiert, muss man dem Ifo-Präsidenten Recht geben. Hier passiert genau dies. Der Wärmepumpenboom – in Europa wuchs der Markt für Luft-Wasser-Wärmepumpen in 2022 um 50% – sorgt in der Tat für Großinvestitionen der Hersteller. Dabei setzen die entwicklungsstarken deutschen Akteure auf eine Produktion in Ländern östlich von Deutschland, die geringere Lohnkosten aufweisen. In Deutschland werden die Produktionskapazitäten hingegen nur in geringerem Maße ausgebaut. Dieser Trend wird sich nicht mehr umkehren, denn die asiatische Billigkonkurrenz steht bereits vor der Tür. Der Weg zu einem Massenmarkt mit heftigem Preiswettbewerb ist vorgezeichnet. Dies ist gut für die privaten Haushalte und schlecht für die hiesigen Hersteller. Ein Beitrag zu dem vom Bundeskanzler sehnlich gewünschten Wachstumsboom ist von dieser Entwicklung nicht zu erwarten. Wiederholt sich hier die Geschichte der deutschen Photovoltaikhersteller vor zwanzig Jahren? Verpasst deutsche Schlüsseltechnologie einmal wieder eine Riesenchance? Verbleiben in Deutschland nur die Entwicklung und die Koordination der Wertschöpfungskette, während die Wertschöpfung woanders stattfindet?