Die Lieferketten werden durch den Fachkräftemangel in unserem Lande schwer belastet. Dieser hat den Grund, dass Jahr für Jahr mehr ältere Beschäftigte in Rente gehen, als Jüngere ins Berufsleben eintreten. Die demographische Lücke wird sich in naher Zukunft noch deutlich vergrößern, weil die Babyboomer allmählich aus dem Berufsleben ausscheiden. So könnte die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte in unserem Lande bis 2035 um bis zu sieben Millionen Menschen schrumpfen, rechnet die Bundesagentur für Arbeit.
Gibt es keine Lösungen? Das Tübinger Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) meint nein und hat hierzu Ende September 2024 eine viel beachtete Studie vorgelegt. Ergebnis: Deutschland sitzt auf einem wahren Schatz an ungenutzten Arbeitskräftepotenzialen. Der größte Hebel zu deren Freisetzung liegt in der Erhöhung der Arbeitszeit pro Kopf (unpopulär aber notwendig!) und nicht primär in der Erhöhung der Zahl der Erwerbstätigen (Stichwort Migrationsabkommen).
Das IAW hebt hervor, dass große Reserven noch bei der Erwerbsbeteiligung der über 50– bis 70-Jährigen und den in Deutschland lebenden Zugewanderten existieren. Darüber hinaus gibt es bei den teilzeitbeschäftigten Frauen ohne betreuungspflichtige Kinder besonders viel Potenzial. Wenn zum Beispiel in der letztgenannten Gruppe nur 50 Prozent so viel arbeiten würden wie die Männer der entsprechenden Altersgruppen, stünden dem Arbeitsmarkt rechnerisch 1,7 Millionen zusätzliche Vollzeitkräfte zur Verfügung! Mit zielgerichteten Anreizen könnten Behörden, Wirtschaft und Politik die durchschnittliche Arbeitszeit pro Kopf steigern und mehr Beschäftigung schaffen.
Um den Beschäftigungsumfang von teilzeitbeschäftigten Frauen ohne betreuungspflichtige Kinder zu erhöhen, empfehlen die Forscher vor allem Änderungen bei den steuerlichen und sozialrechtlichen Rahmenbedingungen. Zur Schaffung von mehr regulären Beschäftigungsverhältnissen, sollten die Regelungen für Minijobs eingeschränkt werden. Vor allem aber müssten sich die steuerlichen Vorteile für verheiratete Paare ändern. Dadurch würde es für viele Frauen attraktiver, mehr Stunden zu arbeiten. Konkret geht es hier vor allem um die schon seit vielen Jahren immer wieder diskutierte grundlegende Reform (bis hin zu dessen Abschaffung) des Ehegattensplittings, für die sich aber in der deutschen Politik bisher keine Mehrheit fand.
Beim Ehegattensplitting wird das gemeinsame Einkommen eines Paares rechnerisch halbiert, die darauf entfallende Einkommensteuer berechnet und die Steuerschuld anschließend verdoppelt. Davon profitieren vor allem Paare, bei denen einer viel und der andere wenig verdient. Das Splitting ist ein starker (Fehl)Anreiz für Frauen in Gutverdiener-Ehen, nicht oder sehr wenig zu arbeiten.
Der anhaltende Fachkräftemangel ist eine große Chance für Frauen. 50 Prozent der erwerbstätigen Frauen arbeiten in Teilzeit, 66 Prozent der erwerbstätigen Mütter. Bei den Männern sind dies nur ca. 13 Prozent. Viele Frauen wollen mehr arbeiten. Natürlich brauchen Frauen und Männer unterschiedliche Gestaltungsmodelle, bei der Arbeitszeit und insbesondere der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. In Anbetracht der Personalengpässe sind die Arbeitgeber mittlerweile wesentlich flexibler bei der Arbeitsorganisation als noch vor wenigen Jahren. Und noch etwas sollten Arbeitgeber erkennen: Frauen gehören nach meinen langjährigen Erfahrungen speziell im Einkauf zu den Top Performern.