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Neustrukturierung der Warengruppen

Analyse, Steuerung und Performance-Booster
Wie die EVN AG ihre Warengruppen strukturiert

Die österreichische EVN AG hat ihr strategisches Warengruppenmanagement neu aufgestellt. Für dieses Projekt gab es im Oktober den „Austrian Supply Excellence & Digital Procurement Award“ des BMÖ. Was können andere Unternehmen lernen? Wir stellen Ihnen wesentliche Schritte und Ergebnisse vor.

Sabine Ursel, Fachjournalistin, Wiesbaden

Implementierung eines Warengruppenmanagements im Rahmen des strategischen Lieferantenmanagements im Beschaffungswesen des EVN Konzerns – so lautet der etwas sperrige Titel eines interessanten beispielgebenden Maßnahmenpakets, das der Versorger der BMÖ-Jury vorgestellt hatte. Mit Erfolg! „Damit wurde ein wesentlicher Schritt zur Digitalisierung von Prozessschritten gesetzt und auch ein Fundament für diverse ESG-Vorgaben geschaffen“, befand Prof. Dr. Helmut Zsifkovits von der Montanuniversität Leoben im Namen der „Gutachter“. Auch beim BME war das Konzept für den Procurement Excellence Award (Großunternehmen) nominiert.

Im Rahmen des Projekts „Strategisches Lieferantenmanagement“ (SLM) hat EVN eine große Anzahl Arbeitspakete umgesetzt. Im Folgenden wird das Paket „Warengruppenmanagement“ (WGM) beschrieben.

Ausgangslage bei der EVN

Globale Folgeeffekte kritischer Ereignisse (wie Covid, Suez-Kanal-Blockade, Ukraine-Krieg) wirken sich bekanntermaßen problematisch auf den Beschaffungsprozess aus. Auch bei EVN kam es zu Materialengpässen, Preissteigerungen und Lieferverzögerungen. Nach dem Projektstart im Sommer 2021 verschärften sich die Herausforderungen hinsichtlich Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit. Zudem hat man sich an neuen gesetzlichen Anforderungen auszurichten, sowohl national als auch international. Stichworte: österreichisches NIS-Gesetz; Pflichten zur nicht finanziellen Berichterstattung entsprechend der Global Reporting Initiative (GRI-Standards); Lieferkettengesetze und Bestrebungen von Nachbarstaaten und EU (CSRD, CSDDD); EU-Taxonomie-Verordnung; Sanktionsvorgaben etc. Hinzu kommt: Als Versorger muss EVN stets einen möglichen Blackout im Blick behalten.

Herausforderung

Die Mannschaft um Projektleiter Oliver Augustin hatte die gesamte äußerst komplexe Gemengelage zeitnah unter Berücksichtigung bzw. Zielsetzung hinsichtlich erhöhter Qualitätsanforderungen, Reduktion der Fertigungstiefe und Erweiterung sowie Aufbau langfristiger und sicherer Lieferantenbeziehung zu managen. Das SLM sollte folgende Herausforderungen angehen:

  • steigende Kosten
  • Gefahr für die Versorgungssicherheit durch Materialengpässe
  • Pönale aufgrund Nichteinhaltung gesetzlicher Vorgaben
  • Risiko eines Reputationsverlustes
  • erweiterte (auch tiefergehende) nicht-finanzielle Berichtspflichten (GRI Reporting)
  • erweiterte Sorgfaltspflichten in Bezug auf Lieferanten (EU-Taxonomie)

Ziel/Vorgehen

Hauptziel des WGM war, Einkäufern und Bedarfsträgern je Warengruppe ein Analyse- und Lenkungstool zur Verfügung zu stellen. Das sollte eine einheitliche standardisierte Methodik für die Analyse, Bewertung und Performanceverbesserung gewährleisten und das Wissen über die Lieferketten verdichten bzw. vertiefen. Um konzernweite Akzeptanz zu schaffen, setzte sich das Projektteam neben der Konzernfunktion „Beschaffung und Einkauf“ aus Mitarbeitern der Bereiche INU (Innovation, Nachhaltigkeit, Umweltschutz), Technik, IT, IT-Security, Finanzwesen und CCM (Corporate Compliance Management) zusammen.

Für das WGM und das gesamte Projekt SLM wurden zwei Steuerungsansätze verfolgt: der PDCA-Zyklus (= Plan, Do, Check, Act; universelles Modell zur Optimierung des Qualitätsmanagements) sowie die EVN Group-Strategie 2030. Der Zeitplan: 4. Quartal 2021 bis 1. Quartal 2023.

Die Analysephase ergab, dass es in der EVN-Gruppe kein strategisches WGM gab. Eine Zielvorgabe war, pro Warengruppe einen „Score“ zu ermitteln und diese dann konzernweit in Beziehung zu setzen. Das erfolgte in drei Schritten: (1) Bewertung der Haupt- und Unterkriterien durch den jeweiligen Einkaufsexperten und Fachbereichsverantwortlichen, (2) Gewichtung durch Führungskräfte und (3) Bildung des finalen Scores pro Warengruppe mit Abbildung im WGM.

Mit einzelnen Projektteammitgliedern und konzernweit repräsentativen Stakeholdern des Beschaffungsprozesses führte man jeweils Workshops zu „Kriterien für die Klassifikation von Warengruppen“ durch. Gemeinsam wurden 23 Kriterien zur Beurteilung formuliert, die man schließlich – zur besseren Handhabung im Daily Business – zu vier Hauptkategorien zusammenführte: Markt, ESG, rechtliche Anforderungen, Versorgungssicherheit. In der zweiten Phase wurde mittels einer internen Online-Befragung des Top-Managements die Gewichtung der vier Kategorie konzernweit ermittelt.

Arbeitspakete

In der Evaluierungsphase wurden die Arbeitspakete „Warengruppenstrukturierung“, „Digitalisierung“ und „Warengruppenklassifikation“ definiert. Dabei stellte sich auch heraus, dass das CPV-System bereits alle Anforderungen der EVN-Gruppe erfüllt – im Gegensatz zu zwei anderen evaluierten Systemen: E-Class und NACE/CPA. Die bestehende Source-to-Contract-Softwarelösung QAD-SRM erwies sich zur Abbildung des WGM im Echtbetrieb als geeignet; noch fehlende Funktionen lassen sich in Microsoft Excel mittels Power BI erfüllen. Für das Wissensmanagement und die Unterstützung des Change-Management-Prozesses wählte man das Tool „Confluence“ (Atlassian).

In der zweiten Analysephase wurde eine Handlungsanleitung zur Klassifikation der Warengruppen erstellt und erneut mittels „Do“, „Check“ und schließlich „Act“ konzernweit für die österreichischen Gesellschaften verbindlich vorgegeben. Daraus folgt zum Beispiel: Die Evaluierung der Warengruppenwerte findet künftig einmal pro Jahr durch den jeweiligen Einkaufsexperten und Fachbereichsverantwortlichen statt. Bei einem Warengruppen-Score „größer als 20“ findet alle sechs Monate eine Bewertung statt.

Ergebnisse

„Bereits während des laufenden Projekts haben wir eine kontinuierliche Optimierung und Verbesserung des Beschaffungsprozesses erzielt, und das unter Beibehaltung der Personalressourcen“, berichtet Projektleiter Oliver Augustin. Der gewonnene Mehrwert vor allem im Bereich Beschaffung und Einkauf lassen sich mit konkreten Zahlen belegen:

  • Anteil „nachhaltiger“ Ausschreibungen: von 0% auf 33,4% gesteigert
  • Beschaffungsvolumen: pro Jahr um über die Hälfte gesteigert
  • Verhandlungserfolg: im Schnitt auf 10,0% gesteigert

Weitere Erfolge

  • Kompensation der dynamischen Beschaffungsmärkte
  • erweiterte bzw. sicherere Gestaltung der Lieferantenbeziehungen
  • Einhaltung aller rechtlichen Vorgaben
  • Bereitstellung wirtschaftlicher Auswahlkriterien: (Preis, Qualität, Lieferzeit etc.) sowie Sozial-, Umwelt- und Unternehmensführungskriterien (ESG)
  • Sammlung von Lieferantendaten diverser Quellen direkt im Supplier Management des Beschaffungsportals der Gruppe

„Das strategische Lieferantenmanagement schafft im Zuge des WGM eine EU-standardisierte Warengruppenstruktur. Aus den Ergebnissen der Bewertung können wir Maßnahmen zur Risikoreduktion ableiten und Chancen in konkrete Verbesserungen umwandeln“, so Projektleiter Augustin. Als weitere Schritte sind u. a. geplant:

  • internationale Einführung des WGM;
  • Level 2 der BME-Zertifizierung für nachhaltige Beschaffung (Q4/2023);
  • Schnittstellen-Implementierung zwischen Source-to-Contract-Tool QAD und SAP S/4 HANA (Ende Q4/2024) sowie
  • Schaffung von Change-Management-Awareness für nachhaltige Beschaffung im Konzern via E-Learning.

EVN AG

Die börsennotierte EVN AG (Energieversorgung Niederösterreich) ist der größte Strom-, Gas- und Wärmeversorger in Niederösterreich und bedeutender Stromversorger in Mazedonien und Bulgarien mit Hauptsitz in Maria Enzersdorf. Die Abteilung Beschaffung und Einkauf ist ab einer definierten Wertgrenze für alle Beschaffungsfälle der 14 Gesellschaften zuständig (ausgenommen Primärenergie). Mitarbeiter: rund 7450.

EVN-Beschaffungsportal: www.evn.at/home/beschaffung

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