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Wie die deutsche Wirtschaft unabhängiger werden kann

Strategien zur Reduzierung der Abhängigkeit
Wie die deutsche Wirtschaft unabhängiger werden kann

Wie die deutsche Wirtschaft unabhängiger werden kann
Die chinesische Rohstoffdominanz lässt sich nicht kurzfristig beseitigen. Dennoch gibt es Möglichkeiten, die Abhängigkeit zu verringern. Bild: vchalup – stock.adobe.com
Das Konfliktpotential zwischen China und der westlichen Welt steigt und damit die Sorge schädlicher Wettbewerbsbedingungen. Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von Rohstoff- und Halbleiterimporten, insbesondere aus Asien, birgt erhebliche Risiken. Angesichts globaler Unsicherheiten und geopolitischer Spannungen könnte sie zu einer ernsthaften Bedrohung werden. Dazu kommen politisch motivierte Exportbeschränkungen auf kritische Rohstoffe. Ein Kommentar von Dr. Christian Frank, Partner & Mitglied des Executive Boards bei Atreus.

Nun baut sich ein weiteres Szenario auf: Es gibt eine klare Tendenz asiatischer und insbesondere chinesischer Hersteller, wegen der lokalen Konsum- und Investitionsflaute auf den europäischen und amerikanischen Markt zu streben. Zum Teil in Verbindung mit einer lokalen Fertigung – gegebenenfalls mit Partnern. Damit umgehen sie Zollbeschränkungen für wichtige Materialien, reduzieren die Transportkosten und drängen auf die angestammten Kernmärkte des deutschen Mittelstandes.

Es gibt hierfür nahezu in allen Branchen greifbare Beispiele, ob in der Photovoltaik- oder Automobilindustrie. Oder auch vermehrt im Maschinenbau, wo chinesische Anbieter mit hochsubventionierten Produkten in Europa und konkret auch in Deutschland den angestammten Herstellern das Leben zunehmend schwer machen. So fallen zum Beispiel chinesische Roboterhersteller auf, die in der Regel 20 bis 30 Prozent günstiger sind als europäische Anbieter und damit den Wettbewerbsdruck auf die ansässigen Unternehmen erhöhen.

Wo Europa verletzlich ist

Die Empfehlung ist eindeutig: Deutschland beziehungsweise die Unternehmen müssen umsteuern, um sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien. Insbesondere die genannten Entwicklungen in China sollten Abnehmer im Westen dazu animieren, sich künftig nicht mehr nur auf Zulieferer aus China zu verlassen. Aber die Rohstoffdominanz des Landes ist nicht kurzfristig zu beseitigen. Hier ist Europa am verletzlichsten.

Auch wenn nun unter anderem auch die USA im großen Stil in die Gewinnung von Rohstoffen eintritt, so ist von einer Zeitspanne zwischen fünf und zehn Jahren auszugehen, bis die Abhängigkeit von China spürbar sinkt. Das wird dazu führen müssen, dass die von den entsprechenden Rohstoffen abhängigen Unternehmen, allen voran die Halbleiterindustrie, ihre Lieferantenbasis diversifizieren.

Muss Entkoppelung gelingen? Ja, aber …

Die Suche nach neuen Partnern, neuen Lieferantenquellen, das Design eines „Nearshoring“ oder angepassten Manufacturing Footprint geht nicht über Nacht. Erst müssen diese Partner identifiziert und auch das Marktvolumen, das China heute bietet, in anderen Regionen gefunden werden. Damit wird ein vollständiger Rückzug aus China nicht unmittelbar machbar sein.

Europäische Unternehmen müssen angesichts der Erfahrungen mit der Ukraine-Krise geopolitische Entwicklungen in ihre Risiko-Management einbeziehen und unverzüglich damit beginnen, ihr Klumpenrisiko herunterzufahren sowie Marktanteile in anderen Märkten auszubauen.

Gleichwohl ist China nach wie vor ein attraktiver Beschaffungs- und Produktionsstandort, verfügt über qualifiziertes Personal mit hoher Leistungsbereitschaft und Arbeitsethik sowie günstige Energie. Allerdings positionieren sich auch andere asiatische Länder als alternative Standorte und werden und immer interessanter.

Die Verbindungen und Beziehungen zu China dürfen nicht abreißen. China ist der größte Handelspartner Deutschlands. Daher ist es sicherlich empfehlenswert, die Beziehungen nicht aufzugeben, sich gleichzeitig allerdings auch andere Länder und Märkte anzusehen und sich breiter aufzustellen.

Worauf es nun ankommt

  • Um im Fall der Fälle Engpässe zu vermeiden, könnten fehlenden Rohstoffe aus China durch Importe aus anderen Ländern ersetzt werden. Auch wenn dies mit Mehrkosten einhergeht.
  • Mittel- bis langfristig müssen breiter angelegte Strategien erarbeitet werden, um anhaltende Engpässe zu vermeiden. So könnten Rohstoffvorkommen in anderen Ländern erschlossen und Produktionskapazitäten aufgebaut werden. Auch die Verwendung alternativer Materialien zur Herstellung eines Produkts, kann eine mittelfristige Lösung sein.
  • Bei einer Rückverlagerung der Produktion sollte die gesamte Lieferkette berücksichtigt werden. Kommen in der EU verarbeitete Rohstoffe nach wie vor aus China, verschiebt sich die Abhängigkeit lediglich in der Wertschöpfungsstufe. Der Nachteil einer Verlagerung der Produktion nach Europa ist zudem, dass die Vorteile internationaler Arbeitsteilung verloren gehen. Zwar können neue Kapazitäten geschaffen werden, um Rohstoffe in Europa zu verarbeiten, allerdings dürfte das mit höheren Kosten einhergehen. Daher sind im Falle von Rückverlagerungen konsequent die Optionen von Nearshoring einzubeziehen.
  • Eine weitere Möglichkeit, die Rohstoffabhängigkeit zu verringern, ist Diversifizierung, also der Bezug kritischer Rohstoffe aus mehr als nur einem Land bzw. einer Region. Fällt ein Gebiet aus politischen oder anderen Gründen aus, können Zulieferer aus anderen Regionen dies zumindest teilweise kompensieren.
  • Auch die Politik ist gefordert. Um die Attraktivität potenzieller Exportländer zu erhöhen, können zum Beispiel Handelskosten mit diesen Ländern gesenkt werden. Dies kann mithilfe von Freihandelsabkommen erreicht werden, da mit diesen sowohl Zölle als auch sogenannte nicht-tarifäre Handelshemmnisse abgebaut werden können. Ein Freihandelsabkommen mit Australien würde beispielsweise Europas Versorgung mit Kobalt, Magnesium und Seltenen Erden verbessern. Die Verhandlungen über ein solches Abkommen liegen aktuell auf Eis. Brasilien verfügt über 18 Prozent der globalen Reserven an Seltenen Erden, zählt aktuell aber nicht zu den größten Exporteuren. Der Abschluss eines EU-Freihandelsabkommens mit den sogenannten Mercosur Ländern, zu denen auch Brasilien gehört, könnte so dazu beitragen, dies zu ändern.
  • Recycling ist eine weitere Möglichkeit, Rohstoffabhängigkeiten zu reduzieren. Bestärkt wird diese Initiative durch den im März 2024 verabschiedeten „Critical Raw Material Act“, unter anderem mit dem Ziel der Stärkung der Kreislauffähigkeit. So sieht der Critical Raw Materials Act eine Recyclingquote von 25 Prozent für bestimmte Stoffe vor. Auch eine Steigerung der Materialeffizienz, also die Reduzierung des benötigten Rohstoffinputs, könnte Abhängigkeiten reduzieren und wäre gleichzeitig ressourcenschonend.

Fazit

Die Unternehmen brauchen mehr Resilienz in der Lieferkette. Optionen hierfür liegen auf dem Tisch. Wirtschaft wie Politik müssen nun allerdings ihre Hausaufgaben machen. Die verschiedenen weltweiten Turbulenzen der letzten Jahre haben gezeigt, wie gefährlich Abhängigkeiten für Unternehmen und die die gesamte Wirtschaft sein können.

Ein Abbau dieser Abhängigkeiten durch eine Kombination aus Diversifizierung, Produktionsverlagerung und technischen Lösungen wie einer verbesserten Kreislaufwirtschaft ist möglich, benötigt jedoch Zeit. Umso wichtiger ist es daher, entsprechende Maßnahmen so bald wie möglich einzuleiten, um die Widerstandsfähigkeit und Unabhängigkeit der Wirtschaft langfristig zu sichern.


Bild: Atreus

Dr. Christian Frank

ist Partner & Mitglied des Executive Boards sowie Leiter der Solution Group Maschinen- und Anlagenbau bei der Münchner Managementberatung Atreus.

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