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Die Goldgräberstimmung im Vertrieb stoppen

Preissteigerungen abfedern
Die Goldgräberstimmung im Vertrieb stoppen

Die Goldgräberstimmung im Vertrieb stoppen
Der Schlüssel für die Bekämpfung der nächsten Kostenwelle liegt im systematischen Warengruppenmanagement. Bild: Blue Planet Studio/Stock.adobe.com
Inflation und Kostensprünge: Warum der Einkauf jetzt ein systematisches Warengruppenmanagement braucht und wie Sie damit überzogene Preisforderungen abwehren.

(Nicht nur) die deutschen Unternehmen wollen in großem Umfang ihre Preise erhöhen, so eine aktuelle Umfrage des ifo-Instituts aus dem Spätsommer. Preisstrategen raten Anbietern und Lieferanten sogar, ihre neuen Verkaufspreise gleich über die Inflationsrate zu setzen. Um weitere Kostensprünge vorwegzunehmen.

Damit hat der Einkauf, der auf der anderen Seite des Tisches sitzt, für 2023 ein dickes Brett zu bohren. Um in der aktuellen Stimmung überzogene Preiserhöhungen abzuwehren, muss man tief in die einkäuferische Methodenkiste und Systematik greifen. Verhandlungstaktik allein hilft kaum weiter. Beziehungsmanagement auch nicht. Gefragt ist ein exzellentes Know-how zu Kostenstrukturen und Materialgruppen. Denn der Schlüssel für die Bekämpfung der nächsten Kostenwelle liegt im systematischen Warengruppenmanagement.

Ist die Preiserhöhung gerechtfertigt?

So rechtfertigt bei weitem nicht jede Warengruppe die enormen Preiserhöhungen, die gerade „mit der Gießkanne“ eingefordert werden. Zumal sich die Materialknappheit im Spätsommer sogar etwas entspannt hat. Energieintensive Warengruppen sind außerdem mit deutlich größeren Veränderungen konfrontiert als zum Beispiel Dienstleitungen oder Software. Trotzdem macht sich im Vertrieb Goldgräberstimmung breit. Das Motto lautet: „Wann, wenn nicht jetzt, die Preise erhöhen…“

Welchen Anteil haben Kostensteigerungen wirklich?

Was also tun? Um den genauen Anteil zum Beispiel der Energiekosten oder bestimmter kritischer Rohstoffe für eine Materialgruppe zu kennen, muss sich der Einkauf im Detail mit den Kostenstrukturen der einzelnen Warengruppen beschäftigen. Leider haben längst nicht alle Unternehmen eine Warengruppen-Expertise, die diese Bezeichnung auch verdient. Selbst Firmen mit beträchtlichen Einkaufsvolumina unterteilen ihre Fremdmaterialien oft erstaunlich grob und verfolgen mit der Aufteilung nicht wirklich eine mit individuellen Zielen hinterlegte Einkaufsstrategie. Das ist in Zeiten von Inflation und nie dagewesenen Preissprüngen ein großer Fehler. Machen Sie sich folgendes bewusst:

  • Durch die Inflation wird die Warengruppen-Expertise im Einkauf so wichtig wie nie zuvor.
  • Das Warengruppenmanagement wird zum Rückgrat des Einkaufs 2023. Alles andere (etwa taktische Erwägungen) kommt on top.
  • Schon durch die Krisenjahre 2020 bis 2022 kamen jene Einkaufsorganisationen mit einem systematischen Warengruppenmanagement deutlich besser als solche, die allein taktisch und operativ aufgestellt waren. Auch weil sie die Risiken zur Versorgungssicherheit konsequenter und besser abfedern konnten.

Warum das Warengruppenmanagement so entscheidend ist

Dazu zwei Punkte vorab:

1. Das strategische Warengruppenmanagement ist die zentrale Übersetzungsleistung des Einkaufs.

2. Mit dieser Transferleistung bringt der Einkauf das Knowhow der verschiedenen Materialgruppen und Beschaffungsmärkte in die Unternehmen. Dazu gehört – neben technologischer und Markt-Expertise – ein tiefer Einblick in die Kostenstrukturen der zu beschaffenden Materialien.

Die Verhandlungspraxis zeigt immer wieder: Einkäufer und Einkäuferinnen mit einer ausgearbeiteten Warengruppenstrategie sind auf Preisgespräche besser vorbereitet und können nicht realistischen Preiserhöhungen argumentativ sehr viel besser begegnen. Das gilt umso mehr, je geringer die eigene Verhandlungsmacht ist bzw. ein partnerschaftlicher Ansatz gesucht wird und Druck-Methoden wie Cost-Break-Downs durch Lieferanten keinen Sinn machen oder nicht gewünscht sind.

Balance of Power in Negotiations
Betrachtungen wie diese zeigen, welche Verhandlungsspielräume bei einzelnen Warengruppen auch in Krisenzeiten vorhanden sind.
Bild: amc-Group

Auf Preisverhandlungen vorbereiten

Wer seine Märkte, die Kostenentwicklung und die dahinterliegenden Strukturen gut kennt, kann mit strategischen Lieferanten auf partnerschaftlicher Ebene sehr viel bessere Lösungsmodelle für die aktuelle Preisentwicklung suchen. Eine Idee kann dann zum Beispiel sein – etwa für den volatilen Transportsektor – gemeinsam mit Lieferanten eine Preisformel zu entwickeln, in die die tatsächliche Kostenentwicklung (über die Dieselgleitklausel hinaus) genauso einfließt, wie die jeweilige Marktsituation und die Werte regelmäßig über neutrale Index-Werte anzupassen – ohne dass Verträge ständig neu ausgeschrieben werden müssen.

Strategie mit Fachbereichen abstimmen

Aufgrund der rasante Marktentwicklung (Kosten, Versorgung) muss das Warengruppenmanagement allerdings deutlich agiler werden. Das bedeutet, Sie müssen die Strategien intern sehr viel kurzfristiger gemeinsam mit Ihren Stakeholdern überprüfen und anpassen.

Überhaupt ist ein erfolgreiches Warengruppenmanagement nie allein Sache des Einkaufs. Trotzdem werden Warengruppenstrategien noch viel zu oft vom Einkauf isoliert entwickelt und die Ziele (Kostenreduktion, Nachhaltigkeit, Versorgung) mit den Fachbereichen nicht richtig synchronisiert. In einem Umfeld angespannter Versorgung und einer derart rapiden Preisentwicklung ist das ein absolutes No-Go. Warengruppenstrategie brauchen immer auch einen intensiven crossfunktionalen Austausch.

Ändern sich Versorgungs- oder Kostensituation, bedeutet das zudem, nicht nur die Beschaffungs- und/oder Lager-Strategien zu überdenken. Sie sollten dann auch personelle Kapazitäten im Einkauf auf plötzlich kritische Warengruppen flexibel verschieben – und zwar nicht nur, um operativ Brände zu löschen, sondern auch für die Strategie-Arbeit!

Das ist Ihre Warengruppen-Toolbox

Oft fehlen schon die Stammdaten, um auf Knopfdruck zu ermitteln, was wo im Unternehmen bestellt wird. Im schlimmsten Fall müssen Einkäufer dann die Bestell- und Rechnungsdaten für die Basis-Analysen händisch auswerten. Längst gibt es jedoch erschwingliche BI-Lösungen, die dem Einkauf diese Arbeit abnehmen und die vorhandenen Datenstrukturen sinnvoll und replizierbar verknüpfen. Damit lassen sich dann genau die Daten, die für eine spezielle Warengruppe interessant sind, herausfiltern.

Zu einer schlanken Warengruppen-Toolbox gehören weiterhin:

  • die Spend- und Bedarfsanalyse sowie (Lieferanten-)Markteinschätzung,
  • ein regelmäßiges Monitoring von Trends, Markt- und Kostenindizes sowie Innovationen
  • Elemente der Strategieentwicklung (zum Beispiel Porter, Portfolio-Darstellungen, SWOT)
Umsetzung des Warengruppenmanagements
Warengruppenmanagement ist keine Rocket-Science, aber es erfordert ein konsequentes, systematisches Vorgehen. Die Grafik zeigt den grundsätzlichen Ablauf.
Bild: amc-Group

So kommen Sie in die Umsetzung

Unser Tipp: Legen Sie sich Excel- oder PowerPoint-Templates an, in die Sie Ihre Analyse- und Strategiedaten einheitlich einarbeiten. amc stellt diese auch zur Verfügung – dann müssen Sie die Templates einfach nur befüllen. Mittlerweile gibt es auch erste „fertige“ digitale Tools mit einem geführten Prozess, teilweise mit hinterlegten Expertensystemen, die passende Aufgabenstellungen empfehlen.

Liegen die Auswertungen vor, können Sie priorisieren. Dann sehen Sie, welche Potenziale sich schnell heben lassen und worauf es sich mittel- und langfristig lohnt zu konzentrieren. Klar wird auch, wo der taktische Aufwand im Verhältnis zum erwartbaren Ergebnis zu groß wird, um eine Initiative zu starten.

Standing des Einkaufs jetzt nutzen

Ob in Unternehmen ein modernes Warengruppenmanagement implementiert ist, hängt sehr oft mit dem Standing des Einkaufs im Unternehmen zusammen – das ist die Beobachtung, die wir sehr oft machen. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Je wichtiger die Beschaffung für die Wettbewerbsfähigkeit, ja das Überleben von Unternehmen wird, desto leichter sollte es dem Einkauf fallen, die erforderliche Neuaufstellung vorzunehmen und auch personell die entsprechenden Kapazitäten einzufordern.

Gehen Sie das Thema an: Es gibt aktuell nirgendwo mehr Potenzial zu holen! Auch für die Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien ist ein systematisch aufgesetztes und konsequent angewandtes Warengruppenmanagement der Schlüssel für eine erfolgreiche Umsetzung. Doch dazu mehr in unserem Folgebeitrag.


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Bild: amc

Der Autor:
Georg Rinkens

Partner der amc Group

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