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Was ist dran an der Folterkammer von BMW?

Verhandlungen zwischen Automobilindustrie und Zulieferern
Was ist dran an der Folterkammer von BMW?

Was ist dran an der Folterkammer von BMW?
Quelle: So rabiat wird in BMWs „Folterkammer“ verhandelt, WeltN24 online, erschienen am 24.10.2016
Und wohin führt es die Automobilindustrie, wenn Zulieferer immer mehr in die Enge getrieben werden? Einkaufsexpertin Tanja Dammann-Götsch ist davon überzeugt, dass beide auf eine Lose-lose-Situation zusteuern.

Die Automobilbranche kommt nicht aus den Negativschlagzeilen. So steht BMW am „Einkäuferpranger“. Denn durch die Presse geisterte im Oktober 2016 Tage ein Artikel, der mit drastischsten Worten die Verhandlungspraxis zwischen Zulieferern und Automobilindustrie in den Räumlichkeiten von BMW schildert. Von der „Folterkammer“ ist hier die Rede, von stundenlangen zermürbenden Meetings ohne Tageslicht, ohne einen Schluck Wasser, grausam zu nennenden Verhandlungsmethoden, die den Verhandlungspartner immer weiter in die Enge treiben, den Ruin des Gegenübers genüsslich in Kauf nehmend, um wenige Stunden nach Verhandlungsende das mühsam erlangte Ergebnis nonchalant wieder zu kippen. Die beiden Einkäufer werden als „Frettchen“ und „Mäusegeier“ bezeichnet, die mit ihren aggressiven Methoden ihr Gegenüber quasi zum Aufgeben zwingen, bis der allergünstigste Preis und die allerbesten Konditionen für ihr Unternehmen erzielt sind. Ein solches Ergebnis gilt gemeinhin vonseiten der Einkäufer als erfolgreich: Die Zahlen stimmen und gewiss gibt es in den meisten Fällen ein Schulterklopfen vom Vorgesetzten. Doch zu welchem Preis!

Machtspielchen führen in die Sackgasse
Alle Verkäufer von Zuliefererseite, mit denen ich in den letzten Tagen über den „Folterkammer-Artikel“ gesprochen habe, waren sich einig, dass solche Szenarien durchaus branchenüblich sind. Ich frage mich daher, wann endlich Schluss damit ist. Es erzürnt mich zudem, wie leichtfertig die Einkäufer hier den Schwarzen Peter zugeschoben bekommen. Sie geben doch nur den Druck weiter, dem sie selbst Tag für Tag vonseiten des Managements ausgesetzt sind. Es sind nämlich nicht allein die Zulieferunternehmen, die unter derartigen „Kampfverhandlungen“ zu leiden haben. Auch für die Einkäufer sind sie eine Qual. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass das Mitarbeiter krank macht. Eine hohe Fluktuationsrate und Fachkräftemangel in den Beschaffungsabteilungen der Automobilindustrie sprechen hier ihre eigene Sprache. Es ist nämlich nicht der Einkauf, sondern die Unternehmensführung, die an einer überholten Politik des Preisdrückens festhält und hierfür weitreichende Unternehmensziele über Bord wirft. Dabei steht viel auf dem Spiel.
Dass ein Zulieferer in seiner Verzweiflung mit Gegendruck reagiert, ist bisher noch eine Seltenheit. Aber auch das konnten wir schon beobachten. Vom Kampf „David gegen Goliath“ war hier zu lesen. Zum ersten Mal wurde auf diese Weise auch eine breite Öffentlichkeit auf die unrühmlichen Gepflogenheiten der Branche aufmerksam. Der Imageverlust ist nicht gerade unerheblich. Darüber hinaus hat es den betreffenden Automobilkonzern VW viel Geld gekostet. „Peanuts“ im Vergleich zu dem Schaden, den dieser und andere Hersteller durch Schadensansprüche und Rückrufaktionen verschuldet haben. Mit Blick auf die USA lässt die Entwicklung in diesem Jahr nicht gerade auf eine rosige Zukunft schließen: Auf jeden verkauften Neuwagen kamen in 2016 drei Rückrufe. Und es ist zu fürchten, dass die Zahl noch steigt, wenn dem nicht entgegengelenkt wird. Aber wie?
Macht und Druck muss der Einkauf in der Automobilindustrie aushalten, Macht und Druck gibt er weiter an die Zulieferer. Das führt zu Unsicherheit und Ängsten aufseiten der Unternehmer, die mit der Industrie ins Geschäft kommen wollen. Auf der Strecke bleiben neue Ideen mit großem Potenzial. Doch gerade diese innovativen Impulse benötigt die Automobilindustrie mehr als alles andere. Jeder weiß, dass ein Auto heute zu fast 75 % von Zulieferern gebaut wird. Deren Motivation, innovative Lösungen zu entwickeln, ist unverzichtbar. Ganz zu schweigen davon, wie wichtig deren Investitionsbereitschaft ist. Im globalen Wettbewerb wachsen zudem die Anforderungen. Preisdumping und technischer Fortschritt schließen sich daher gegenseitig aus. In der Folge ist der zum Preisdrücker degradierte Einkäufer ein Auslaufmodell.
Brücken bauen statt Gräben ziehen
Man kann eine Zitrone nicht endlos auspressen, das sollte allen Beteiligten klar sein. Eine Verhandlungsstrategie, die keine Win-win-Situation anstrebt, ist zum Scheitern verurteilt. Schließlich warten große Aufgaben auf die Automobilindustrie: China will eine Quote für Elektrofahrzeuge schneller einführen als geplant, die Feinstaubproblematik rund um die „Dieselgate-Affäre“ ist längst nicht ausgestanden. Inzwischen ist auch Audi ins Visier der US-Behörden geraten. Die Innovationsvorreiter von heute gehen ein hohes Risiko ein, wenn sich nicht bald etwas ändert. Das Gebot der Stunde ist daher, meiner Auffassung nach, Kooperation und partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Zulieferindustrie. Nur gemeinsam lassen sich dringend notwendige Innovationen vorantreiben. Darüber hinaus wäre eine von Fairness geprägte Unternehmensführung auch die beste Strategie, um einen noch größeren Imageschaden von der Branche abzuwenden und sich der Öffentlichkeit in einem besseren Licht zu zeigen.
Vom Preisdrücker zum Gestalter
Was lässt sich verbessern? Bei den Unternehmen, die wirklich an einer Veränderung interessiert sind, wird es einen Struktur- und Imagewandel geben. Wer „business as usual“ macht und sich hauptsächlich an kurzlebigen Zielen orientiert, steuert weiter von einer Rückrufaktion in die nächste. Eine Schlüsselrolle nehmen in beiden Fällen die Beschaffungsabteilungen ein. Wer auf Veränderung setzt, definiert die Rolle des Einkaufs vollkommen neu. Hierzu zählt vor allem der Mut, den Einkäufern mehr Gestaltungsmöglichkeiten einzuräumen, ihnen mehr Verantwortung zu übertragen. Das stellt auch die klassische Organisationsstruktur infrage. Was die Führung betrifft, geht die Entwicklung zu „crossfunktionalen“ Teams mit fachlichen statt disziplinarischen Vorgesetzten. Der Einkäufer entwickelt sich – bereits jetzt in vielen Unternehmen – vom Preisdrücker zum aktiven Unternehmensgestalter. Gemeinsam mit den Zulieferern erarbeiten fortschrittliche Automobilhersteller innovative Lösungen. Ein solches partnerschaftliches Verhältnis gegenüber Lieferanten fördert deren Innovationsbereitschaft. Motivierte Zulieferer tragen erheblich zur erfolgreichen Entwicklung und Vermarktung eines Produktes bei. Werden Zulieferer in die Entwicklung von innovativen Lösungen partnerschaftlich eingebunden, kann deren Know-how das Zünglein an der Waage sein, wenn es darum geht, im Wettbewerb vorne zu liegen.

Über die Autorin
Tanja Dammann-Götsch verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung im internationalen Einkauf, davon über 20 Jahre im Einkauf der Automobilindustrie. Weltweit unterstützt sie die Automobilhersteller und ihre Zulieferer als Consultant und Interimsmanagerin.

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Tanja Dammann-Götsch, Einkaufsexpertin, www.purchasing-professional.com
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