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Einkaufswissen mit Durchschlagskraft

Beispiele eines internationalen Benchmarking-Projekts, Teil 7
Einkaufswissen mit Durchschlagskraft

Fast täglich kommt man mit einem der insgesamt über 50 000 Produkte von 3M in Berührung – ob Handy-Display, Haushaltsreinigungsprodukte oder Klebeband. Mit fünf global ausgerichteten Geschäftsfeldern im B2B- und B2C-Bereich von Office- und Consumer Goods bis zu Health Care ist das Unternehmen in fast allen Lebenslagen der Endverbraucher vertreten: Allein an diesen Fakten lässt sich ablesen, welchen Herausforderungen sich der Einkauf dieses weltweit agierenden Technologiekonzerns stellen muss.

Berühmte Marken wie das Scotch Klebeband mit dem berühmten Schottenmuster sowie Post-it-Haftnotizen, die aus keinem Büro der Welt mehr wegzudenken sind, stellen nur eine kleine Auswahl der komplexen Produktpalette dar, die sich unter der Dachmarke von 3M vereint. Neben dem wirtschaftlichen Erfolg genießt das Unternehmen auch auf dem Arbeitsmarkt einen guten Ruf: 2011 gehörte das Unternehmen zu den Top 3 der amerikanischen Unternehmen mit der besten Unternehmensreputation – noch vor Unternehmen wie z. B. Apple. Die 3M Deutschland GmbH ist das vierte Unternehmen, das durch das Fraunhofer- Institut für Produktionstechnologie IPT infolge einer europaweiten Benchmarking-Studie als Successful Practice im Einkauf 2011–2012 ausgezeichnet wurde.

Ein ausgeklügeltes Lieferantenmanagement sowie der hohe Vernetzungsgrad im Unternehmen haben das Fraunhofer IPT und die Konsortialpartner bei einem eintägigen Unternehmensbesuch in Neuss von der herausragenden Professionalität des Einkaufs überzeugt. In diesem Beitrag werden einzelne dieser Erfolgsfaktoren der 3M Deutschland GmbH beleuchtet.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde 3M unter dem Namen Minnesota Mining & Manufacturing Company in den USA gegründet. Machte sich das Unternehmen zu Beginn noch mit dem Abbau und der Weiterverarbeitung von Mineralien für Schleifmittel in der Automobilindustrie einen Namen, stieg 3M wegen der kundennahen Entwicklung neuer Produkte schnell zu einem diversifizierten Unternehmen auf. Mittlerweile kann das Unternehmen auf eine über 110-jährige Geschichte voller Innovationen zurückblicken: Wasserfeste Schleifpapiere, Abdeckklebebänder, reflektierende Folien für Verkehrsschilder sowie die Entwicklung der weltweit ersten Overhead-Projektoren sind nur einige der namhaften Innovationen, die im Laufe der Unternehmensgeschichte unter dem Dach von 3M hervorgebracht wurden. Dem Leitspruch „Innovation aus Tradition“ treu ist das Unternehmen heute ein global agierender Technologiekonzern, der mit seinen Produkten in allen Bereichen des Lebens, der Arbeitswelt, der Medizin und der Technik vertreten ist. 2011 erwirtschaftete das Unternehmen mit seinen weltweit 84 000 Mitarbeitern einen Umsatz von über 22 Milliarden Euro. Das anspruchsvolle Innovationsziel lautet, 40 Prozent des Umsatzes mit Produkten zu generieren, die nicht länger als fünf Jahre im Markt sind. Anfang der 50er-Jahre begann schließlich auch die Erfolgsgeschichte der 3M Deutschland GmbH. Heute macht das Unternehmen einen Umsatz von 2,2 Milliarden Euro (2011) und beschäftigt insgesamt ca. 5500 Mitarbeiter in Deutschland. Der Hauptsitz in Neuss ist gleichzeitig das europaweit größte Forschungszentrum des Konzerns, was die Bedeutung des deutschen Marktes zusätzlich unterstreicht. Von dort werden auch alle europaweiten Einkaufsaktivitäten koordiniert und gesteuert.
3M hat die Bedeutung seiner Sourcing Operations für den Unternehmenserfolg früh erkannt und den Einkauf als „Global Strategic Sourcing“ vor einigen Jahren als eine der fünf Corporate-Strategien mit Top-Management-Unterstützung im Unternehmen verankert. Global-Commodity-Management-Teams für die 15 Warengruppen des Produktions- und Nichtproduktionsmaterials sowie für Produkte der Fremdfertigung bilden das Rückgrat der weltweiten Einkaufsaktivitäten.
Die Warengruppenmanager dieser Teams sind für eine nachhaltige globale Strategieausrichtung ihrer jeweiligen Warengruppe verantwortlich und sitzen verteilt in den vier wichtigsten Absatz- und Beschaffungsregionen. Ähnlich einer Lead-Buyer-Struktur sind die Commodity Manager neben der Betreuung einer Warengruppe zusätzlich auch für den gesamten Einkauf einzelner Werke (interner Kunde) aus den sechs Geschäftsfeldern verantwortlich. Die Ausübung dieser Doppelfunktion generiert Synergien, da die Einkäufer ihre Warengruppe dadurch immer aus zwei verschiedenen Blickwinkeln betrachten: Auf der einen Seite gilt es, die Bedürfnisse des internen Kunden (z. B. der Werke) zu befriedigen und auf der anderen Seite muss die global ausgerichtete Beschaffungsstrategie der Warengruppe verfolgt werden – beides zugunsten des Gesamtunternehmenserfolgs. Die Commodity-Strategien werden einmal jährlich in einwöchigen Sourcing-Workshops im engen Dialog zwischen den globalen Commodity-Teams und den Geschäftsbereichen, den Werken und den Laboren (Entwicklung) erarbeitet. Die Durchführung dieser Workshops ist wegen des hohen Zeit- und Reiseaufwands zwar kostenintensiv, allerdings trägt der persönliche und interdisziplinäre Austausch zwischen den internationalen Mitarbeitern stark zum hohen Vernetzungsgrad des Einkaufs im gesamten Unternehmen bei. Der Leitsatz „Think global – act local“ wird hier mustergültig umgesetzt.
Globales Lieferantenmanagement. Das globale Lieferantenmanagement stellt ein Highlight der Sourcing Operations dar. Ein Integrated Supplier Management (ISM) Tool bündelt alle weltweiten Aktivitäten des Lieferantenmanagements – von der Beschaffungsmarktforschung bis zur Ausphasung eines Lieferanten. Die effiziente Auswahl, Entwicklung und Integration von lokalen, regionalen und globalen Lieferanten sowie die Umsetzung der geschäftsbereichs- und marktspezifischen Einkaufsstrategien wird durch den intensiven Austausch zwischen den jeweiligen Experten im Unternehmen über das ISM gewährleistet. Das Herzstück von ISM bildet das eigens entwickelte TQRDC-Tool (Technology Quality Responsiveness Delivery Cost), welches Leistungsdaten der gesamten Lieferantenbasis weltweit in einer einheitlichen Form zentral erfasst. Das Tool fungiert quasi als virtueller Pulsmesser der Lieferantenbasis. Die Ergebnisse sind für alle Einkäufer weltweit einsehbar, sodass Informationen über Lieferanten zeit- und ortsunabhängig eingesehen werden können. Die Lieferantenbewertung erfolgt für lokale wie für globale Lieferanten anhand einer Punkteskala von 1 bis 100 und die Ergebnisse werden den Lieferanten regelmäßig mitgeteilt. Bei Schlechtleistung werden Mängelrügen automatisch abgewickelt, indem die Lieferanten via E-Mail automatisch kontaktiert und zur Stellungnahme mit konkreten Vorschlägen für Verbesserungsmaßnahmen aufgefordert werden. Liegt die Performance über einen längeren Zeitraum unter 60 Punkten, führt dies konsequent zur Ausphasung des jeweiligen Lieferanten. Auf diese Weise konnte in den vergangenen zwei Jahren die Liefersicherheit und -qualität kontinuierlich gesteigert und die Konsolidierung der Einkaufsvolumen auf strategische Lieferanten ausgebaut werden. Die Anzahl der aktiven Lieferanten wurde dabei um insgesamt 27 Prozent reduziert.
Neben der Bewertung mittels Punkteskala werden innerhalb einer Warengruppe auch regelmäßig Pareto-Analysen durchgeführt und die anonymisierten Ergebnisse den Lieferanten kommuniziert.
Die Resultate spornen die Lieferanten in den Folgejahren meist zu großen Leistungssteigerungen an.
Im Rahmen des Lieferantenmanagements war außerdem beeindruckend, wie die identifizierten Verbesserungsmaßnahmen (z. B. Einsparpotenziale im Einkaufsvolumen) konsequent in Form von konkreten Projekten nachgehalten und umgesetzt werden. In einem Global Project System (GPS) werden alle Einsparpotenziale in einer zentralen Datenbank ausgewiesen und die benötigten Mittel und Ressourcen zur Realisierung aufgeführt. Die GuV-Wirksamkeit der erzielten Einsparungen wird einmal pro Quartal von der Finanzabteilung validiert. Dieses Vorgehen schafft Planungssicherheit sowie Transparenz beim Reporting und garantiert, dass identifizierte Einsparpotenziale im Tagesgeschäft nicht aus den Augen verloren werden.
Globales Wissensmanagement. 3M hat früh erkannt, dass der Einkauf als Dreh- und Angelpunkt zwischen Beschaffungsmarkt und dem eigenen Unternehmen über einzigartiges Wissen über Lieferanten, Preise und Kosten, Rohstoffmärkte sowie Wertschöpfungs- und Lieferketten verfügt. In vielen Unternehmen ist dieses Wissensvorkommen im Einkauf jedoch noch allzu oft ein ungehobener Schatz. Nicht so bei 3M: Hier wird nach dem Motto „Sharing Knowledge is Powerful“ gelebt und der Einkauf als Wissensgenerator für das Unternehmen verstanden. Der akribische Aufbau eines Wissensmanagements im Einkauf hat dazu geführt, dass neben der reinen Materialbereitstellung vor allem die Versorgung der Funktionalbereiche mit relevanten Informationen zu einer zentralen Aufgabe des Einkaufs erwachsen ist. Der konsequente Auf- und Ausbau von Kommunikationskanälen erlaubt es der Einkaufsorganisation, die unternehmensinternen Funktionsbereiche wie z. B. die Entwicklung, Produktion oder den Vertrieb bedarfsgerecht mit relevanten Informationen aus den Beschaffungsmärkten zu versorgen. Die zahlreichen Tools wie z. B. ISM, virtuelle Team-Rooms und Wissensdatenbanken über Rohstoffe etc. dienen hier als Kommunikations- und Austauschplattformen. Der Einkauf fungiert quasi als Frühwarnsystem, das kontinuierlich den Beschaffungsmarkt beobachtet, Daten sammelt und aufbereitet und kritische Entwicklungen bzw. Prognosen rechtzeitig an die relevanten Stellschrauben im Unternehmen kommuniziert. Die wichtigsten Beschaffungsmärkte werden in der Struktur des Fünf-Kräfte-Models von Porter beschrieben und fortlaufend analysiert. Auf diese Weise hat sich der Einkauf zu einem gefragten und kompetenten Partner (Wissensträger) in diversen Entscheidungsgremien im Unternehmen entwickelt und seine Einflussmöglichkeiten zur Mitgestaltung und Entwicklung kontinuierlich ausgebaut. Aufgrund des daraus resultierenden sehr hohen Vernetzungsgrades entfaltet das Einkaufswissen heute eine enorme Durchschlagskraft im gesamten Konzern. Plötzlich auftretende Schwankungen in Rohstoffmärkten konnten so in der Vergangenheit innerhalb kürzester Zeit durch die Anpassung von Preisen im Vertrieb abgefangen werden. Durch die globale Commodity-Struktur sind die Einkäufer auch in der Lage, mit relativ geringem Aufwand kurzfristig auf Lieferanten aus anderen Regionen der Welt auszuweichen, wenn es bei angestammten Lieferanten zu Lieferengpässen kommen sollte. Diese große Flexibilität hat das Unternehmen also nicht zuletzt dem gut vernetzten Einkauf zu verdanken.
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