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Entwicklungsbegleitende Lieferantenauswahl

Einbeziehung in das Simultaneous Engineering
Entwicklungsbegleitende Lieferantenauswahl

Vor dem Hintergrund in Form und Funktion immer komplexer werdender Konsum- und Investitionsgüter vollzieht sich bei der Beschaffung von entsprechenden Komponenten eine Strategieanpassung. Sowohl interne Prozesse bei Volkswagen als auch Entwicklungen bei Wettbewerbern zeigen, dass der Trend in der Automobilindustrie zu immer umfangreicheren Anfragen bei der Komponentenbeschaffung geht.

Peter Wolters

Auch nach Einschätzung diverser Automobillieferanten werden die Original Equipment Manufacturers (OEM’s) künftig im Rahmen des Forward Sourcing eine größere Verantwortung an ausgewählte Systemlieferanten übertragen. Um hierbei eine effiziente Zusammenarbeit realisieren zu können, muss die Lieferantenauswahl für derartige Projekte parallel zum Entwicklungsfortschritt erfolgen.
Elemente kooperativer Beschaffungsstrategien
Mit Hilfe des Prozesses Forward Sourcing soll zu einem frühen Zeitpunkt im Produktentstehungsprozess ein Entwicklungs- und Serienlieferant für Neuteile bzw. Betriebsmittel von relevantem Wert festgelegt werden. Die Ziele sind hierbei, ein Optimum an Qualität, Service und Preis zu erreichen. Im Rahmen des Forward Sourcing wird im Idealfall der weltweite Konzernbedarf gebündelt und im Gegenzug die weltweit vorhandene Lieferantenbasis (Wettbewerb) genutzt. Durch Forward Sourcing wird somit die gesamte Anfrageabwicklung von der Lokalisierung und Ansprache möglicher Lieferanten bis zur Konzeptspezifizierung und Nominierung des endgültigen Systemlieferanten gesteuert. Dies beinhaltet bei der Systembeschaffung auch die Zusammenführung der einzelnen Lastenheftelemente entlang des Entwicklungs- und Beschaffungsprozesses.
Aufgaben des Systemlieferanten
Der Systemlieferant ist für die Entwicklung, Beschaffung, Produktion, Qualität, Kosten und Anlieferung eines Systems verantwortlich. Im Gegensatz zu den verbaupunktorientierten (d.h. mit einem technischen Umfang, der logistischen und produktionstechnischen Ansprüchen gerecht wird) Modulen haben Systeme funktionsorientierten Charakter. Abb. 1 zeigt die Abgrenzung des Systemlieferanten zu anderen Lieferantenformen.
Der Systemlieferant trägt die Hauptverantwortung für den Entwicklungserfolg. Er muss somit frühzeitig in den Produktentstehungsprozess einbezogen und im Rahmen der Konzeptentwicklungsphase/Konzeptabsicherungsphase festgelegt werden. In der Regel wird der Lieferumfang des Systemlieferanten für einen gesamten Produktlebenszyklus vollständig oder anteilsmäßig festgelegt. Der Systemlieferant ist auf dem ihm anvertrauten Gebiet mit der vollen Innovationsfähigkeit tätig, um mit dem Partner den technischen Vorsprung gegenüber Wettbewerbern zu sichern. Die folgenden Punkte gehören zu den Anforderungen an einen potentiellen Systemlieferanten:
–Erarbeitung von vernetzten Termin- und Kapazitätsunterlagen,
–Erarbeitung von relevanten betriebswirtschaftlichen Daten,
–ein vorhandenes Qualitätsmanagementsystem nach DIN ISO 9000 ff.,
–ein Projektleiter als ständiger Ansprechpartner,
–Einsatz von Simultaneous-Engineering-Methoden,
–Mitarbeit in den Simultaneous-Engineering-Teams des OEM’s.
Hierbei ergeben sich Schwerpunkte auf den Gebieten Versuch, kompatible CAD-Systeme, technische Berechnungen, Messtechnik, Betriebswirtschaft, Prototyp- und Musterteile, Teileversorgung, Fertigungstechnologie und Fehler-Möglichkeits- sowie Einfluss-Analyse (FMEA). Abb. 2 zeigt die Lieferanten-Schnittstellen zu den einzelnen Bereichen am Beispiel System Sitz.
Basis für die Festlegung des Systemlieferanten sind Angebotskriterien wie Entwicklungsleistung, Qualitätsfähigkeit, Systempreise über Laufzeit und die Logistik. Die Materialien, Komponenten, Baugruppen, Teile und Dienstleistungen der Sublieferanten beeinflussen direkt die Qualität der Produkte und müssen somit durch Verfahrens-, System- und Produktaudits abgesichert werden.
Organe des Simultaneous Engineering
Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, ist für Volkswagen und seine Lieferanten eine drastische Verkürzung der Produktentwicklungszeiten unabdingbar. Ein bedeutender Schritt zur Reduzierung von erforderlichen Entwicklungszeiten ist die Anwendung des Simultaneous Engineering (SE). SE steht für die Loslösung von der traditionellen, sequentiellen Arbeitsweise.
Somit ist Simultaneous Engineering eine Organisationsstrategie, die eine offene, enge und konsequente Zusammenarbeit aller Beteiligten bei der Produktentwicklung und der Planung des Produktionsprozesses unterstützt. Von Projektbeginn an arbeiten alle Funktionsbereiche in einem Team simultan am neuen Produkt. Zu diesen Teams zählen Vertreter von Einkauf, Finanzen, Entwicklung, Qualitätssicherung, Arbeitsvorbereitung, Produktion, Vertrieb/Marketing und Logistik. Abb. 3 stellt die Abgrenzung des SE-Teams zu Fachgruppen und Projektteams dar.
Lieferantenauswahl im Produktentstehungsprozess
Im Rahmen der Vorentwicklung erfolgt eine allgemeine Beschreibung des zu entwickelnden Systems. Zu diesem Zeitpunkt findet bereits eine intensive Zusammenarbeit mit den betroffenen Fachabteilungen statt. Durch das Simultaneous-Engineering-Team (SET), das sich aus allen am Produktentstehungsprozess beteiligten Bereichen zusammensetzt, erfolgt die Bereitstellung aussagefähiger Funktionsanforderungen für die Anfrage des zu beschaffenden Systems.
Aufgrund von geeigneten Auswahlkriterien und der Erfahrung durch das SET wird ein potentieller Lieferantenkreis für das anzufragende System definiert. In einem Forward-Sourcing-Prozess werden erste Konzepte für die Entwicklung des Systems weltweit angefragt. Durch die Vernetzung mit weltweiten Einkaufsbüros, den sogenannten Local Purchasing Teams (LPT) des Volkswagen-Konzerns, ist die regionale Lieferantensuche auf allen Kontinenten gewährleistet.
Für die Ansprache, Vorauswahl und spätere Nominierung möglicher Lieferanten sind die folgenden Kriterien von Bedeutung:
–Produktkenntnis,
–Entwicklungskapazität,
–Know-how in Schlüsseltechnologien,
–Prozessmanagement,
–Projektmanagement,
–Flexibilität/Mobilität,
–innovative Ideen,
–wirtschaftliche Produkt- und Prozesskonzeption,
–schlüssige Gesamtkonzeption über die gesamte Prozesskette,
–Preisvorstellung des Lieferanten,
–weltweite Versorgungsfähigkeit – Stand-orte (CKD),
–Referenzen,
–Bonität.
Konzeptbewertung und Vorauswahl
Durch Lieferanten-Workshops erhält jeder Anbieter, der ein bewertbares Konzept offeriert hat, die Gelegenheit, vor den Mitgliedern des SET seine Ideen und Vorstellungen darzulegen. Ferner präsentiert der Lieferant seine grobe Kostenvorstellung für die Durchführung des Projektes. Im Rahmen von internen Workshops arbeitet das SET auf eine Vorselektierung der besten Lieferantenkonzepte hin. Der Konzeptwettbewerb wird auf Basis eines Lastenheftes durchgeführt, das
–Leistungsanforderungen,
–Qualitätsanforderungen,
–Schnittstellen zu anderen Baugruppen,
–Raum- und Einbaumaße, Gewicht,
–funktionale Anforderungen,
–logistische Rahmendaten,
–Beschreibung der Entwicklungsleistungen und
–Anforderungen an Prototypen enthält.
Nach Prüfung aller eingegangenen Konzeptangebote vergibt das Simultaneous-Engineering-Team eine Empfehlung zur Vorauswahl der besten Lieferantenideen. Ein Auswahlgremium verabschiedet die Vornominierung. In Abb. 5 sind die einzelnen Detaillierungsphasen bei der Lieferantenfestlegung schematisch dargestellt.
Diese Phase ist speziell durch die Erarbeitung der einzelnen Lastenhefte gekennzeichnet. Ebenso klären die Partner Nutzungsrechte mit den ausgeschiedenen Lieferanten und ihrer Konzepte. Der OEM legt ein endgültiges Finanztarget für das Projekt fest.
Konzeptspezifizierung und Lieferantennominierung
Die verbliebenen Lieferanten erhalten einen Entwicklungsvertrag für die weitere Zusammenarbeit. Im Zuge der Detaillierungsphase stellt das SET den Package-Entwurf mit Abmessungen, Rohbau-, Strukturansatz und wesentlichen Komponenten zur Verfügung. Die Konzeptspezifizierung ist geprägt von der weiteren Konkretisierung der Anforderungen. Ebenso werden die Prüfkataloge durch das SET erstellt. Es erfolgt eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Lieferant und Simultaneous-Engineering-Team.
Im Laufe der Konzeptspezifizierung ist es denkbar, dass ein Lieferant im Einvernehmen mit dem OEM auf eine weitere Zusammenarbeit verzichtet. Durch entsprechende vertragliche Regelungen im Entwicklungsvertrag sollte dies berücksichtigt werden. Parallel hierzu sollte eine Kostenkontrolle durch den OEM entlang der Spezifizierung gewährleistet sein.
Aufgrund der übrigen Lieferantenkonzepte und der zugrundeliegenden Kriterien fällt durch das entsprechende Auswahlgremium die finale Entscheidung über die Auftragsvergabe. Der nominierte Systemlieferant erhält vom OEM einen Werkvertrag, der sämtliche Kompetenzen festschreibt. Die Hauptverantwortung für den Entwicklungserfolg liegt beim Systemlieferanten.
Zusammenarbeit mit dem Systemlieferanten
Entsprechend den Vorgaben nach Qualität, Technik, Umweltschutz und Kosten bringt der nominierte Systemlieferant das System zur Serienreife. Alle erforderlichen Aktivitäten leiten sich aus einem Zeitplan ab, der auf dem erforderlichen Serieneinsatztermin basiert.
Die Entwicklungsleistung wird im Rahmen der Simultaneous-Engineering-Organisation erbracht. Schon ab der Prototypenphase müssen Schwerpunktteile und Schwerpunktbaugruppen aus Versuchswerkzeugen maßlich, werkstofflich und im Einbau am Fahrzeug beurteilt werden. Somit können wesentliche Erkenntnisse frühzeitig in die Erstellung der Serienwerkzeuge einfließen.
Eine Erstbemusterung nach der VDA-Richtlinie der Automobilindustrie und einem OEM-Qualifizierungsprogramm für Neuteile erfolgt grundsätzlich beim Systemlieferanten. Zusätzlich zur Bemusterung wird eine Vorabproduktion durchgeführt. Diese muss den Nachweis einer qualitativ und quantitativ prozesssicheren Serienfertigung erbringen.
Bis zur Produktionsversuchsserie (PVS) muss die weitere Detaillierung des Logistikkonzeptes für die Materialversorgung der Fertigung entwickelt und abgeschlossen werden, um so zur Nullserie die logistischen Anforderungen für eine Serienbelieferung umzusetzen (z.B. Behälter, Anlieferungsart).
Der Datenaustausch zwischen den Lieferanten und dem OEM muss mit elektronischen Medien durchgeführt werden. Weiterhin ist absolute Kostendisziplin zu wahren, um einen marktgerechten Preis nicht zu gefährden. Ein Systemlieferant erhält für den Umfang der Serienlieferung einen langfristigen Vertrag unter Einhaltung der geforderten Qualitätsansprüche.
Einbeziehung des Lieferanten in die Simultaneous-Engineering-Organisation
Zur Vermeidung von späteren Änderungen oder mehrfachen Neuentwicklungen müssen insbesondere die Anforderungen aller Beteiligten (Qualität, Technik, Termin, usw.) frühzeitig in den zu erarbeitenden Kompromiss eingebracht werden. Natürlich schließt das auch betroffene Lieferanten mit ein. Die Integration des Systemlieferanten in die SE-Organisation veranschaulicht Abb. 6. Wie bereits erläutert, bereitet die SE-Organisation die Festlegung der Systemlieferanten vor.
In Zukunft werden sämtliche Projekte bei Volkswagen durch Simultaneous Engineering umgesetzt, wobei die Projektorganisation der Fahrzeugkomponenten-Aufteilung folgt. Die Verantwortung der geschäftsübergreifenden Fachgruppen auf Baugruppenebene liegt in der Koordination und Steuerung der für Einzelumfänge gebildeten SE-Gruppen. Die Steuerung der SE-Gruppen geschieht über sogenannte Arbeitspakete, die von den jeweiligen Gruppen akzeptierte Vorgaben nach Qualität, Technik, Termin, Umweltschutz und Kosten beinhalten.
Ergebnisse der frühen Zusammenarbeit mit Lieferanten sind erhebliche Reduzierung von Entwicklungszeiten und -kosten, frühzeitige und schnelle Integration von Kundenwünschen und Gesetzesvorschriften, nachhaltige Einsparungen im Bereich Werkzeug-, Material- und Logistikkosten, qualitativ hochwertige Produkte aufgrund ausgereifter Konstruktionen und Fertigungseinrichtungen und internationale Wettbewerbsfähigkeit.
Das Ziel ist eine enge Integration der Lieferanten in das SET, von der Vorentwicklung über die Konzeptphase bis hin zur Serienreife. Nur so kann realisiert werden, dass sich die Zahl der Ansprechpartner für den Lieferanten begrenzt und der Informationsfluss optimiert wird.
Literatur:
-Hahn/Kaufmann:
Handbuch Industrielles Beschaffungsmarketing, Wiesbaden 1999, Verlag Dr. Th. Gabler GmbH
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