Startseite » Werk- und Rohstoffe »

Jetzt ist strategisches Handeln gefordert

Entwicklung der Rohstoffmärkte insbesondere Seltene Erden, Teil 1
Jetzt ist strategisches Handeln gefordert

Die Seltenen Erden sind für die Weltwirtschaft von enormer Bedeutung. Diese Elemente besitzen einzigartige Eigenschaften und können (noch) nicht durch andere Stoffe ersetzt werden. Ohne sie wären moderne Elektroautos, Mobiltelefone oder Fernseher nicht denkbar. Sie sind in Batterien und sogar in Windrädern enthalten. Beschaffung aktuell sprach mit Prof. Dr. Gerhard Sextl und Prof. Dr. Ronald Bogaschewsky über die Zukunft der Rohstoffe.

Beschaffung aktuell: Die Rohstoffpreise, auch gerade die der sogenannten Seltenen Erden, befinden sich zurzeit auf einem sehr niedrigen Niveau. Können Sie uns die Situation erklären?

Prof. Dr. Gerhard Sextl: Dieses Phänomen ist bewusst von China gesteuert. Zurzeit kommen 87 Prozent der leichten Seltenen Erdenmetalle und sogar 99 Prozent der schweren Seltenen Erdenmetalle aus China. Und China möchte weiter das Monopol behalten. Jahrelanges Preisdumping hatte alle Wettbewerber vom Markt gedrängt, sodass China seit rund 20 Jahren eine absolut beherrschende Stellung bei Lanthan, Neodym, Terbium und Co. besitzt.
Durch die Preiserhöhung im Jahr 2011, als die Preise kurzzeitig um bis zu 4000 Prozent nach oben gingen, haben andere Firmen bzw. andere Länder begonnen, ihre Minen zu reaktivieren. Zum Beispiel hat die USA die Mine in Mountain Pass wieder in Betrieb genommen, nachdem sie 2002 wegen Unrentabilität geschlossen wurde. Die Umweltauflagen in den USA hatten die Kosten für den Abbau der Seltenen Erdenmetallen so in die Höhe schnellen lassen, dass er sich nicht rentabel umsetzen ließ. Mit dem Steigen der Preise für die Seltenen Erdenmetalle hat sich der Abbau auch in den USA wieder gelohnt. Auch in Australien begann man am Bergbaugebiet Mount Weld weitere bergbauliche Erschließungen vorzunehmen.
Wenn die Chinesen jetzt wieder die Preise senken, werden diese Projekte unrentabel. Die haben sich nur rentiert als die Preise noch hoch waren.
Beschaffung aktuell: Wieso können die Chinesen zu wesentlich günstigeren Preisen Abbau betreiben?
Sextl: Das Problem ist, dass mit dem Gewinnen von Seltenen Erden auch andere, gefährliche Elemente anfallen wie zum Beispiel radioaktives Thorium. Das birgt Gefahren, mit denen man umgehen muss. In der westlichen Welt gibt es deswegen hohe Umweltauflagen und damit steigt der Aufwand beziehungsweise die Kosten, um diese Minen zu betreiben. Schließlich kann man die Radioaktivität nicht einfach in die Umwelt lassen.
In vielen Betrieben in China spielen leider der Arbeits- und Umweltschutz eine untergeordnete Rolle. Das wird klar, wenn man sich Bilder aus chinesischen rohstoffgewinnenden Betrieben anschaut. Entsprechend niedrig sind die Produktionskosten im Vergleich zu den westlichen Ländern. Jetzt gibt es Überlegungen in der westlichen Welt, Minen wieder zu schließen, weil sie aufgrund der anhaltend niedrigen Preise unrentabel werden. Damit wird sich die Monopolsituation der Chinesen wieder festigen.
Prof. Dr. Ronald Bogaschewsky: Zur Preisentwicklung muss man zusätzlich Folgendes beachten: 2014 sind die Rohstoffpreise teilweise stark zurückgegangen. Dies ist nicht nur auf eine geringere reale Nachfrage zurückzuführen. Es gab auch ein erheblich geringeres Interesse der Spekulanten, da für diese niedrigpreisige Commodities eher uninteressant sind. So gingen die Preise unnatürlich stark zurück.
Ein weiterer Grund ist, dass sie davor unnatürlich stark erhöht waren – eben durch das starke Interesse der Börsenspekulanten. Was ein realer, fairer Preis ist, ist eine strittige und letztlich theoretische Frage. Sobald die Nachfrage wieder anzieht, werden diese Rohstoffe als Spekulationsobjekte wieder interessant werden und der Preisanstieg entsprechend – unter Umständen erheblich – beschleunigt.
Beschaffung aktuell: Wenn zukünftig überall Umweltaspekte berücksichtigt werden würden, müssten auch die Chinesen mit dem Preis hoch gehen?
Sextl: Genau. Dann ginge der Preis wieder hoch und es würde sich auch für die westliche Welt lohnen, sogar neue Minen zu generieren. Aber die aktuellen Preise decken die Kosten einer nachhaltigen, umweltgerechten Minenproduktion nicht.
Bogaschewsky: In China gibt es Pläne, nach denen eine Reihe illegaler Minen geschlossen und zu wenigen größeren staatsgelenkten Konzernen zusammengeführt werden sollen. Damit soll die Gewinnung von Rohstoffen mehr in die staatliche Hand gebracht werden. Ein Ziel der chinesischen Regierung ist, die Umweltprobleme in den Griff zu bekommen. Das ist allerdings in diesem riesigen Land ein sehr schwer beherrschbares Thema. Auch wenn die chinesische Regierung sich darum sehr bemüht, braucht es Zeit bis sich auch in der hintersten Provinz dieses Umweltbewusstsein durchsetzt.
Beschaffung aktuell: Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Industrie insbesondere die Einkäufer?
Bogaschewsky: Wenn man mit Einkäufern in Deutschland spricht, kommt häufig das Argument: „Wir kaufen überhaupt keine Rohstoffe.“ Aber wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass in den Stanzbiegeteilen, Schweißbaugruppen, Gussteilen und Elektromotoren, die hier gekauft werden, genau diese Rohstoffe enthalten sind. Und so ist auch der Einkauf hier von den Preisschwankungen abhängig. Das ist ein Grund, warum es so wichtig ist, dass der Einkauf bereits bei der Produktneuentwicklung in cross-funktionale Teams miteingebunden wird. Er kann dann bereits in einem frühen Stadium darauf hinweisen, dass, wenn bestimmte Stoffe in einem Produkt enthalten sind, diese absehbar viel teurer eingekauft werden müssen als heute. Die Chancen cross-funktionaler Entwicklungsteams werden heute noch viel zu selten genutzt. Auch die Zusammenarbeit mit den Lieferanten, die noch näher an der Versorgung mit den kritischen Stoffen sind, gilt es, noch zu verstärken. Hier liegt die Chance des Einkaufs, sich stärker einzubringen.
Sextl: 2012 betrug die jährliche Produktion der Seltenen Erden 10 000 Tonnen. Die grundsätzlich vorhandenen Reserven, die man kennt, liegen bei 110 Millionen Tonnen. Auf Basis der heutigen Produktionsmengen reichen diese Reserven für weitere 1000 Jahre.
Die Fragen lauten: Wie hoch ist der Aufwand, um diese Reserven zu gewinnen, und wie hoch sind die Produktionskosten für die Gewinnung. China hat die sehr guten Lagerstätten mit hohen Gehalten an diesen Metallen. Viele andere Länder haben zwar auch noch Reserven, die aber ungünstiger verteilt oder deren Gehalte niedrig sind. Und was ist man bereit für die Gewinnung der Rohstoffe zu zahlen? Es gibt riesige Mengen, die sich nicht wirtschaftlich heben lassen.
Beschaffung aktuell: Heißt das, dass die Seltenen Erden gar nicht wirklich selten sind? Muss sich der Einkauf also keine Sorgen machen?
Bogaschewsky: Auch wenn wir zurzeit kein akutes Problem mit Rohstoffpreisen haben, kann es aber in Kürze ganz anders aussehen. Und man sollte sich jetzt strategisch darauf vorbereiten. Das ist wie ein ganz langsamer, schwerer Tanker, auf dem wir unterwegs sind und mit dem wir einen Kurswechsel vornehmen wollen. Wir haben jetzt das Glück, dass wir diese Zeit für das Wendemanöver haben.
Sextl: Diese Metalle heißen zwar so, Seltene Erden sind aber nicht wirklich knapp. Nur die Konzentration in den Erzen ist gering. Deswegen ist die Gewinnung sehr aufwändig. Man benötigt sehr viel Energie und produziert eine noch größere Menge Abfallstoffe.
Bogaschewsky: Es wird viel über Reichweite und die wirtschaftliche Komponente gesprochen, aber die ökologische Komponente ist auch wichtig. Die Erschließung der Ölfelder in der Arktis und Antarktis sowie die Erschließung von Tiefseevorkommen sind nicht nur sehr teuer, sondern bergen Umweltrisiken, die man nicht außer Acht lassen kann. Wer ist bereit, dieses Umweltrisiko zu tragen und dafür im Zweifelsfall geradezustehen?
Sextl: 1980 waren zur Herstellung von Elektronikkomponenten gerade mal 12 Elemente notwendig. 1990 waren es schon 16, und seit 2000 benötigen wir quasi das gesamte Periodensystem: 60 Elemente. Das ist alles, was das Periodensystem hergibt. Der Rest ist radioaktiv, oder es sind Alkalimetalle, die hoch reaktiv sind oder Elemente, die hochtoxisch sind oder bei Raumtemperatur Gase sind. Gleichzeitig nimmt unsere Produktvielfalt stark zu und die Weltbevölkerung wächst drastisch. Es gibt viele Länder, die am Wohlstand teilhaben wollen. Damit erhöht sich auch die Rohstoffentnahme. Wir buddeln immer größere Löcher in die Erde. Wenn man diese Entwicklung auf das Jahr 2050 hochrechnet, bräuchten wir eigentlich zwei Erden.
Bogaschewsky: Darauf muss man sich in der Industrie einstellen und Alternativen finden. Aber dann reden wir von Projekten, die Jahrzehnte dauern können. Deswegen ist jetzt die Zeit gekommen, Vorsorge zu treffen, damit kritische Knappheiten, die so wie das Amen in der Kirche kommen werden, uns nicht hart treffen.
Beschaffung aktuell: Woher werden die Hightech-Rohstoffe der Zukunft herkommen?
Sextl: Wir forschen in Richtung Substitution von Seltenen Erdmetallen. Diese Metalle werden in großen Mengen zum Beispiel für die Energieerzeugung mit Windkrafträdern gebraucht. So eine Windkraftanlage benötigt in der Regel 600 kg Magnetmaterial, nämlich Neodym-Eisen-Bor. Dafür sind ungefähr 140 bis 150 kg Neodym notwendig. Die Elektromobilität ist ebenfalls stark von den Seltenen Erdmetallen abhängig, denn Hochleistungsmagnete benötigen diese Elemente und nicht nur als sogenannte „Gewürz“-Metalle. Unsere Hightech-Industrie benötigt diese Rohstoffe in großen Mengen.
Beispiel Auto: Hier hat man heute mehrere Hundert verschiedene magnetgetriebene Elektromotoren. Diese steuern Klappen, heben Fenster und vieles mehr. Diese kleinen und leistungsfähigen Antriebe benötigen Magnetmaterialien. Wir forschen, um diese Magnetmaterialien zu substituieren. Das heißt, wir wollen Materialien entwickeln, die mechanische Arbeit verrichten können, ohne dass sie Magnete benötigen und ohne dass es einer Drehbewegung bedarf. Dazu gehören beispielsweise auch dielektrische Elastomer-Aktoren.
Zusätzlich versuchen wir auch Magnetmaterialien zu entwickeln, die mit weniger Seltenen Erdmaterialien auskommen, oder sogar frei davon sind.
Beschaffung aktuell: Welche Rolle spielt dabei Recycling?
Sextl: Zurzeit werden nur wenige Metalle recycelt. Vieles geht in den Müll. Damit wird der Vergeudung Vorschub geleistet. Die westliche Bevölkerung kauft Elektronikprodukte in großen Mengen. Aber nach zwei bis drei Jahren will man schon wieder was Neues, weil das alte Gerät nicht die Funktionalität hat, die man gerne hätte. Man schmeißt es weg. Ich sage, dass sind billige Rohstoffe. Auf diese Weise bekommen wir Rohstoffe ins Land, die wir nutzen sollten und müssen. Wir müssen uns überlegen, was man mit den gebrauchten Elektronikgeräten macht. Die könnte man auch als Rohstoffquelle nutzen. Zurzeit wird der sogenannte Elektroschrott nach Afrika, Indien oder andere Länder exportiert. Dort wird vielleicht noch Kupfer, Gold und Silber wiedergewonnen. Aber die restlichen Elemente, die da noch in kleinen Mengen vorhanden sind, landen auf dem Müll. Rohstoffarme Länder wie Deutschland müssen sich überlegen, wie sie die Wertstoffkreisläufe schließen. Ressourcen gebrauchen und nicht verbrauchen, sollte das Motto lauten. Doch zurzeit verbrauchen wir immer noch mehr wertvolle Stoffe.
Beschaffung aktuell: Wie sieht Ihre Forschung dazu aus?
Sextl: Wir haben in Alzenau und Hanau Projektgruppen gegründet. Dort beschäftigen wir uns unter anderem mit Technologien für Rohstoffgewinnung und Recycling. Da geht es um zukünftige Recyclingtechnologien – ich spreche in diesem Zusammenhang gerne von Recycling 2.0 oder Smart Recycling. Um das, was heute noch nicht gemacht wird, was aber dringend gebraucht wird, um die kritischen Metalle auch in der Zukunft noch verfügbar zu haben. Eine Gruppe beschäftigt sich mit der Substitution von Funktionsmaterialien. Immer dort, wo eine Ressource knapp wird, muss man sich überlegen, was es für Alternativen gibt. Beispiel: In einem Handy gibt es ganz bestimmte Bauteile, die Funktionen ermöglichen. Diese Bauteile beinhalten seltene und kritische Elemente. Und wenn man diese nicht mehr hat, kann man auch diese Bauteile nicht mehr herstellen. Man muss andere Funktionsmaterialien finden, um die, die seltene Elemente enthalten, ersetzen zu können. Das ist ein schwieriger Prozess.
In der nächsten Ausgabe von Beschaffung aktuell im Juni lesen Sie, was Unternehmen tun können, um zukünftig unabhängiger von den Importen der Seltenen Erden zu werden.
Unsere Webinar-Empfehlung
Aktuelles Heft
Titelbild Beschaffung aktuell 4
Ausgabe
4.2024
PRINT
ABO

Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de