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Kennzahlen, Bestandsmanagement und Savings in der 4. Industriellen Revolution

Einkauf 4.0, Teil 2
Kennzahlen, Bestandsmanagement und Savings in der 4. Industriellen Revolution

Was ist der optimale Bestand? Ein zu großer Bestand ist genauso schädlich, da kostenträchtig, wie ein zu kleiner produktivitätshemmend wirkt. Jeder Praktiker kennt dieses klassische Dilemma. Bislang wird es eher aus Sicht des einzelnen Unternehmens zu lösen versucht. Das führt zu seltsamen Phänomenen.

Kein Unternehmen ist eine Insel; daher auch der Begriff „Wertschöpfungskette“. In einer Kette hängt eines mit dem anderen zusammen – ob man das nun möchte und managen kann oder nicht. Optimiert jedes Unternehmen in der Kette jedoch insular seine Bestände, taucht mit unschöner Regelmäßigkeit ein äußerst störendes Phänomen auf: Bestände werden sukzessive auf kleinere Unternehmen der Kette verlagert. Dann kann es im schlimmsten Fall sogar vorkommen, dass paradoxerweise das schwächste Glied in der Kette die größten Bestände aufweist, irgendwann unter ihrer Last kollabiert und die ganze Supply Chain in Bedrängnis bringt.

Die Bemühungen aller Beteiligten für ein über alle Kettenglieder optimiertes Bestandsmanagement haben auf großer Fläche bislang wenig Früchte getragen. Umso willkommener sind die Chancen, die uns die Industrie 4.0 mit ihren vielen neuen Technologien bietet. Betrachten wir zum Beispiel den 3D-Drucker.
Schon heute kommt eine kleine, aber rasant steigende Anzahl von serienfähigen Einzel-, Klein- und Formteilen nicht mehr vom Lieferanten, sondern aus dem 3D-Drucker. So ein Drucker funktioniert im Prinzip wie ein Kopierer – aber eben in drei Dimensionen: Man drückt auf den Knopf und das gewünschte Teil wird ausgedruckt. Inzwischen nicht mehr ausschließlich aus Kunststoff, sondern auch aus anderen Materialien wie zum Beispiel Metall. Der 3D-Druck greift um sich.
Was bedeutet das für das Bestandsmanagement der 4. Generation? Wenn die Technologie sich so rasant weiterentwickelt wie wir das von der IT-Technologie aus der Entwicklung vom PC über das Notebook zum Smartphone kennen, dann gilt der Analogieschluss bzw. die Hypothese: Der 3D-Drucker wird sehr schnell besser, vielfältiger und kostengünstiger werden. Er wird sich rasant verbreiten und schneller zum Standard werden als manch einer das heute noch erwartet. Dann erübrigen sich für bestimmte Vorprodukte die Lagerbestände.
Das Bestandsproblem ist für diese Produkte und ausschließlich der Rohstoffe für den Drucker, damit näher an einer Lösung. Und zwar nicht nur für das Unternehmen, sondern für die ganze Supply Chain. Das ist letztendlich eine Frage der Selektion: Welche Artikel können und wollen wir drucken und welche nicht? Es ist jedoch auch eine Frage der Innovationsbereitschaft.
Frage der Innovationsbereitschaft. Im Moment fragen sich viele Verantwortliche auf Vorstandsebene: Haben sich meine Spezialisten schon in diese und andere neue Technologien eingearbeitet? Wie weit sind dabei die Spezialisten im Einkauf? Der Einkauf kann seit jeher Bestände managen – da bietet es sich als ideale Ergänzung an, wenn er zum Management-Know-how jetzt auch die technologische und Innovationskompetenz beisteuert und auch weiß, wo welches Innovationspotenzial in der Lieferkette schlummert. Es wäre ideal, wenn ausgewählte Einkaufsspezialisten zukünftig in der Lage wären, die Einsatzmöglichkeiten von 3D-Druckern zu verstehen, diese zu beschaffen und via Projektmanagement optimal einzusetzen. Dazu sollten sie natürlich auch in der Lage sein, einen Business Case zu rechnen und dem Vorstand eine entsprechende Kosten-Nutzen-Rechnung vorzulegen. Die Revolution von Bestandsmanagement und Beschaffungslogistik wäre die Folge. Und der 3D-Druck ist nur eine der neuen Technologien der Industrie 4.0. Es gibt viele andere. Haben Sie sie auf Ihrem Innovationsradar? Wer hat „Radardienst“ in Ihrer Einkaufsorganisation? Ist das geregelt? Nur was geregelt ist, wird gemacht. Bei Ihnen im Unternehmen macht das eine Stabsstelle? Das ist möglicherweise keine so gute Idee – aus Sicht des Einkaufs.
Einkauf übernimmt Lead. Der Einkauf ist jene Funktion in einem modernen Unternehmen, die aufgrund der meisten Schnittstellen zu anderen Funktionen und zur gesamten Wertschöpfungskette geradezu dafür prädestiniert ist, Innovationspotenziale im Lieferantennetzwerk aufzuspüren und ins eigene Unternehmen einzubringen. In einigen führenden Unternehmen hat sich der Einkauf tatsächlich über die letzten Jahre schon gezielt zum Innovations-Scout entwickelt. Er holt die Innovationen ins Haus und übernimmt gemeinsam mit den internen Kunden den Lead bei deren Implementierung. Dadurch ändert sich einiges: das Standing des Einkaufs ganz allgemein, das Bestandsmanagement und die Beschaffungslogistik ganz spezifisch – und nebenbei auch das Kennzahlenwerk.
Löst der 3D-Drucker den Lieferanten zumindest in Teilen ab, benötigen wir auch andere Kennzahlen, die dieser und anderen neuen Technologien gerecht werden.
Neue Kennzahlen. Diese Erkenntnis befindet sich zur Zeit noch im Stadium der Forderung: Wissenschaft und Praxis arbeiten – auch am Fraunhofer IML – im Augenblick intensiv an der Entwicklung neuer Kennzahlen, zum Beispiel im Rahmen von Focus Groups mit fortschrittlichen Praktikern. Um diese neuen Technologien überhaupt managen zu können, benötigen wir konkrete neue Entscheidungsgrundlagen: Der Einkauf 4.0 benötigt Kennzahlen 4.0. Kennzahlen, die Fragen beantworten wie: Was bewirkt der Einsatz unserer 3D-Drucker für unsere Produktivität und unsere Finanzkennzahlen? Das Ziel sind Steuerungsinstrumente von Operations bis hoch zu den Finanzen und wieder zurück. Was Theoretiker und Professoren gleichermaßen begeistert, stellt derzeit noch ein großes Komplexitätsproblem dar. Und nicht nur das. Während das Thema wissenschaftlich bereits intensiver diskutiert wird, steht die Diskussion in der Praxis im Vergleich erst noch am Anfang, was sich als Hemmnis der Entwicklung erweist: Es verändert sich nur, worüber geredet wird. Große Teile der aktuell hier zu beobachtenden Sprachhemmung könnten damit erklärt werden, dass es bei der Revolutionierung der Kennzahlen im Einkauf 4.0 auch „Heiligen Kühen“ an den Kragen gehen könnte.
Savings bedeuten Planversagen. Fortschrittliche Verantwortliche in Einkauf, Beschaffung und Supply Management fragen sich schon länger: Wie sinnvoll ist es, den Einkauf immer noch weitgehend via Savings zu incentivieren, zu steuern und zu controllen? Die Welt und die globalen Wertschöpfungsnetzwerke ändern sich revolutionär – und wir betreiben immer noch Savings Management? In Zeiten, die sich so radikal ändern, benötigt ein Unternehmen Planungsgenauigkeit und nicht Savings als Entscheidungsgrundlage. Sind die Savings von heute denn nicht lediglich das Planungsversagen von gestern?
Wenn ich heute 5000 Euro einspare, wofür ich im letzten Jahr 10 000 Euro veranschlagt habe, dann war meine Planung ggf. schlicht nicht genau genug – gleichbleibende hohe Verhandlungsprofessionalität, auch eine im Einkauf immer noch verbreitete Herausforderung, einmal unterstellt. Wenn ich gut geplant hätte, wären dann meine Savings nahe null.
Das ist eine harte Logik, ganz im biblischen Sinne: Wer kann sie hören? Gleichzeitig ist die Logik hart im Sinne von unerbittlich: Je stürmischer die Zeiten, desto wichtiger wird Planungsgenauigkeit – und nicht Savings. Und desto wichtiger wird es in Konsequenz, Führungskräfte und Mitarbeiter in Richtung Planungsgenauigkeit zu incentivieren, zu qualifizieren, zu trainieren und zu führen. Das ist eine andere Logik. Eine neue Logik. Eine neue Logik für eine neue Zeit. Die Frage ist dabei nicht, ob diese Logik sich durchsetzen wird. Die Frage ist, wie schnell sich jene Einkaufsorganisationen auf diese neue Logik einstellen können, die auch in Zeiten des Einkaufs 4.0 erfolgreich sein möchten.
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