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Lieferzeiten treiben Kosten

Zeit ist Geld
Lieferzeiten treiben Kosten

Nachdem sich bei der Bewertung von Angebotspreisen der Fokus längst weg vom reinen Stückpreisvergleich hin zur Gesamtkostenbetrachtung verschoben hat, gewinnt auch die Abwägung unterschiedlicher Lieferzeiten an Bedeutung. Lange Lieferzeiten bedingen zumeist größere Bevorratung und damit Kapitalbindung und diese lässt sich in Heller und Pfennig nachrechnen.

Lieferzeiten sind selbst bei vergleichbaren oder gleichen Produkten zwischen Lieferanten unterschiedlich lang. Das hat nicht nur mit der Kapazitätsauslastung der jeweiligen Zulieferer zu tun, sondern mehr noch mit der Priorität, mit der unterschiedliche Auftraggeber bedient werden. Insofern kann es nicht schaden, wenn sich Einkaufsentscheider laufend Aufschluss darüber verschaffen, welche Priorität sie bei Ihren Lieferanten genießen. Diese dann zu eigenen Gunsten zu verändern, das lässt sich selten mit Druck, eher mit partnerschaftlichem Umgang erreichen.

Derweil engen überdurchschnittlich lange Lieferzeiten nicht nur die Flexibilität der Auftraggeber spürbar ein, sie machen sich darüber hinaus auch noch als Kostentreiber durch zusätzliche Bevorratung, Lagerbedarf und Kapitalbindung bemerkbar. Das zwingt Einkaufsverantwortliche, nicht nur lange Lieferzeiten im Auge zu behalten, sondern mehr noch deren Kostenauswirkungen. Diese sind natürlich in Abhängigkeit vom Warenwert und Lagerbedarf unterschiedlich hoch. Insofern müssen sich Lieferzeiten auch bei der Lieferantenauswahl auswirken.
Bewertungsbeispiel
Dazu werden nachfolgend beispielhaft die Preise und Lieferzeiten von drei Lieferanten verglichen und als Gesamtleistung bewertet. Damit ist zu klären, welcher der drei Lieferanten unter kostenmäßiger Bewertung von Preis und Lieferzeit die günstigsten „Landed Costs“ bietet.
Lieferant A, Stückpreis 30,00 DM, Lieferzeit 1 Woche
Lieferant B, Stückpreis 28,50 DM, Lieferzeit 4 Wochen
Lieferant C, Stückpreis 27,50 DM, Lieferzeit 9 Wochen
Hierbei handelt es sich um ein elektronisches Bauteil, welches in der Produktion bzw. Endmontage kontinuierlich in erheblicher Stückzahl benötigt wird. Zur besseren Vergleichbarkeit wird unterstellt, dass die Materialwirtschaft des Auftraggebers soviel Teilebevorratung vorsieht, wie zur Abdeckung der Lieferzeit notwendig ist. Im Falle von Lieferant B würde also ein Teilevorrat von bis zu vier Wochen vorgehalten.
Die Festlegung der Lagerkosten ist natürlich eine Entscheidung, die von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich ausfällt. Ist ein Betrieb aufgrund beengter Platzverhältnisse oder infolge fortgeschrittener Just-in-time-Zulieferung auf geringstmögliche Bevorratung angewiesen, muss der Lagerkostenfaktor vergleichsweise hoch angesetzt werden. Je nach Bilanzierungsmethode kann aber bei hochwertigen Wirtschaftsgütern und international anerkannter Bewertung durchaus davon ausgegangen werden, dass die jährlichen Lagerkosten mindestens 75% des Warenwertes verschlingen.
Dividiert man diesen Faktor durch 50 Produktionswochen pro Jahr, so ist eine Woche mehr oder weniger Lieferzeit mit 1,5% des Warenwertes zu veranschlagen. Dieser Wochenfaktor muss von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich ausfallen. Im vorliegenden Fall kann der Angebotsvergleich nach folgender Formel entschieden werden:
Stückpreis x Wochenfaktor x Lieferzeit in Wochen + Stückpreis
Daraus ergeben sich für die drei Lieferanten folgende „Landed Costs“:
Lieferant A: 30,00 DM x 0,015 x 1 + 30,00 DM = 30,45 DM
Lieferant B: 28,50 DM x 0,015 x 4 + 28,50 DM = 30,22 DM
Lieferant C: 27,50 DM x 0,015 x 9 + 27,50 DM = 31,22 DM
Nachdem die Bewertung der Lieferzeit auf den Stückpreis aufgeschlagen ist, fällt das Gesamtangebot von Lieferant B am vergleichsweise günstigsten aus.
Keine Mühe ohne Konsequenz
Derweil können die Vergleichsdaten zu unterschiedlichen Maßnahmen herangezogen werden. Je nach strategischer Priorität des Auftraggebers kann zunächst eine Entscheidung über den Lieferzuschlag getroffen werden. Sodann kann man den unterlegenen Lieferanten den Kostenvergleich als Erläuterung der getroffenen Entscheidung vortragen. Entgegengesetzt könnte man mit einem zukunftsfähigen Lieferanten über eine zuverlässige Senkung seiner Lieferzeiten und damit den gesteigerten Wert seines Angebotes verhandeln.
In fortschrittlichen Einkaufsorganisationen ist derartige Transparenz und Offenheit gegenüber Lieferanten durchaus an der Tagesordnung, lassen sich doch damit eindeutige Prioritäten – hier zum Beispiel kurze Lieferzeiten und Vermeidung von Teillieferungen – glaubwürdig kommunizieren. Dabei kann der Bewertungsfaktor pro Woche Lieferzeit statt 1,5 durchaus höher oder niedriger ausfallen. Der nächste Schritt ist die Aufnahme solcher Prioritäten als Standards zukünftiger Lieferverhandlungen sowie als Parameter zukünftiger Lieferleistung und Leistungsverbesserung. Wichtig ist dabei, möglichst viele Lieferanten mit gleichen oder vergleichbaren Parametern zu bewerten, um nicht bei jedem Preisvergleich die Basis wieder neu schaffen zu müssen.
Mit derartiger Offenheit, möglicherweise kombiniert mit verbesserten Lieferkontingenten, können vorher aussichtslos lange Lieferzeiten durchaus auf praktikable Intervalle zuverlässig reduziert werden, denn – wie schon gesagt – es geht ja nicht immer um echte Kapazitätsprobleme, sondern ebenso oft um Kundenprioritäten.
Wenn andererseits im freizügigen Gedankenaustausch ein bestimmter Lieferant nachvollziehbar begründen kann, warum eine bestimmte kurze Lieferzeit nicht machbar ist, so verbleibt immer noch die Chance, gemeinsam über Prozess-Verbesserungen nachzudenken, die vielleicht doch noch zum gewünschten Resultat kürzerer Lieferzeit führen. Miteinander vernünftig reden, schadet niemandem, ist gleichwohl die erste Stufe eines partnerschaftlichen Miteinander. Denn ernsthaft verhandelt man doch ohnehin nur mit Partnern, die man vorher einigermaßen kennen und schätzen gelernt hat.
Immer mehr Unternehmensorganisationen stellen ihre Geschäftstätigkeit auf Umschlaggeschwindigkeit und schnelle Marktreaktion ab und verbessern damit ihren Cashflow erheblich. In dem Maße, wie sich der Fokus auf kurze Lieferzeiten verbreitet, geht an die Zulieferindustrie eine konsistente Botschaft, die nicht ohne Wirkung bleiben kann. Preisvergleiche aktualisiert um die Bewertung von Lieferzeiten und entsprechend notwendiger Bevorratungen erleichtern nicht nur die Findung besserer Vergabeentscheidungen, sie tragen auch dazu bei, kostspielige Teil- und Expresslieferungen dramatisch zu reduzieren und insgesamt die Lieferperformance durchgängig zu verbessern. (ks)
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