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Putzfrau und Zimmermann

Flexible Lieferantenbewertungssysteme für Dienstleistungen
Putzfrau und Zimmermann

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Die Piepenbrock Dienstleistungsgruppe mit Sitz in Osnabrück ist einer der führenden Gebäudedienstleister in Deutschland – hier ein Team vom Reinigungsservice
Putzfrau, pardon, Reinigungsservice und Zimmermann sind zwei völlig verschiedene Dienstleister. Sie müssen vom Einkauf jeweils ganz spezifisch bewertet werden. Unsere Autoren Peter Hagedorn und Jörg Becker präsentieren ein Konzept für ein flexibles Lieferantenbewertungssystem von Dienstleistungen (LBS-DL).

Peter Hagedorn, eMBA Prof. Dr. Jörg Becker

Für viele Unternehmen wird die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Produkte immer stärker von der Qualität der eingekauften Dienstleistungen beeinflusst. Die Güte der Dienstleistungslieferanten wird immer mehr zu einem erfolgskritischen Faktor. Ein etabliertes Mittel zur Kontrolle und Sicherung der Lieferantenleistung stellen Lieferantenbewertungssysteme (LBS) dar. Mit einem LBS können qualifizierte Daten über die gelieferte Leistung und die Leistungsfähigkeit des Lieferanten erhoben und für strategische Einkaufsentscheidungen ausgewertet werden. Ein LBS bildet die operative Basis für ein wirkungsvolles Lieferantenmanagement.
Bislang wurden Lieferantenbewertungssysteme vornehmlich in Fertigungsbetrieben erprobt und realisiert. Viele Lösungen sind stark auf die Lieferung von Materialien ausgerichtet und betrachten Dienstleistungen, wenn überhaupt, dann nur sekundär, d. h. als Teil einer eingekauften Materiallieferung.
Dienstleistungen und Materialien sind aber nicht gleich. In ihrer Beschaffung und Verwendung bestehen aufgrund der Immaterialität von Dienstleistungen wesentliche Unterschiede, die in der Konzeption und Realisierung eines LBS Beachtung finden müssen:
  • Materialien haben einen definierten, absoluten Lieferzeitpunkt. Erst mit der Lieferung kann das Material verbraucht, d. h. genutzt werden. Dienstleistungen haben dagegen einen Lieferzeitraum, in dem sich die Produktion und die Nutzung der Leistung überdecken.
  • Materialien besitzen definierte, technische Eigenschaften, die einfach, z. T. automatisiert messbar und standardisierbar sind. Dienstleistungen besitzen hingegen keine technisch messbaren Eigenschaften und sind nur unzureichend standardisierbar.
  • Der Leistungsempfänger wirkt i. d. R. im Erstellungsprozess der Dienstleistung unmittelbar mit, wodurch die Dienstleis-tung einen hohen Komplexitätsgrad erhält.
Für eine effektive Lieferantenbewertung ist eine differenzierte Betrachtung von Dienstleistung und Materialien elementar. LBS müssen zum einen in der Konfiguration des Bewertungsschemas flexibel sein, zum anderen die Dienstleistungsgüte vollständig erfassen. Eine einfache Anwendung der tradierten materialorientierten Systeme auf Dienstleistungen scheint nicht Erfolg versprechend. Vielmehr sind die materialorientierten LBS um eigenständige und anpassungsfähige Dienstleistungskomponenten zu ergänzen.
Hier nun ein Konzept für ein flexibles Lieferantenbewertungssystem für Dienstleistungen (LBS-DL). Es soll die Lücke im Lieferantenmanagement schließen und eine vollständige und mehrdimensionale Erfassung der Dienstleistungs- und Lieferantengüte gewährleisten.
Die Güte von Dienstleistungen kann zwar kaum mathematisch und somit objektiv gemessen werden, durch den Leistungsempfänger ist jedoch die subjektive Beurteilung der Erfüllung des angeforderten Leistungsergebnisses möglich. Um eine möglichst vollständige Erfassung zu erreichen, aber auch um einzelne Bewertungen miteinander vergleichen zu können, ist die Zerlegung des Werturteils in einzelne Bewertungskriterien sinnvoll und notwendig. Die Subjektivität wird somit auf kleine überschaubare Werteinheiten begrenzt.
Mit den Kriterien werden jedoch nicht nur die Determinanten für die Erfassung, sondern auch zugleich die Dimensionen für die Analyse und Auswertung der Bewertungsergebnisse festgelegt. Die Definition und Auswahl der Kriterien ist somit eine fundamentale Entscheidung für die Ausprägung der Bewertungssystematik. Bereits an dieser Stelle ist zu betonen, dass die Balance zwischen analytischer Granularität und praktischer Handhabbarkeit den Erfolg eines Bewertungssystems wesentlich bestimmt.
Die Heterogenität von Dienstleistungen und die Unterschiedlichkeit der Informationsbedarfe von Unternehmen verhindert die Bildung eines allgemeingültigen, universellen Kriteriensets. Im LBS-DL ist deshalb der Katalog an Kriterien immer unternehmensspezifisch zu definieren. Zudem wird rasch klar, dass für die Bewertung un-terschiedlicher Arten von Dienstleistungen nicht immer alle Kriterien gleich angewendet werden können. Vielmehr besteht die Notwendigkeit, in Abhängigkeit von der Leistung bestimmte Kriterien mit unterschiedlicher Wertigkeit zur Erfassung der Güte heranzuziehen.
Das Konzept des LBS für Dienstleistungen trägt diesem Umstand durch die zentralen Konstrukte Masterkatalog und Bewertungskatalog Rechnung. In dem Masterkatalog werden alle verwendeten Bewertungskriterien unternehmensspezifisch definiert und zu Kriterienklassen (Hauptkriterien) zusammengefasst. Die Hauptkriterien stellen übergeordnete Bewertungsaspekte resp. Dimensionen dar, denen die jeweiligen Einzelkriterien (Teilkriterien) eindeutig zugeordnet werden. Über diese einfache Hierarchie können die Kriterien übersichtlich geordnet und die Ergebnisse der Bewertung später ausreichend aggregiert werden.
Die Haupt- und Teilkriterien sollten nach einer gründlichen Prüfung des eingekauften Dienstleistungsportfolios festgelegt werden. Hierbei sind Kriterien aufzunehmen, mit denen sowohl die Güte des Lieferanten als auch die Erfüllung der einzelnen Dienstleistung bewertet werden können. Die Anzahl der definierten Kriterien sollte eine ausreichende Ergebnisanalyse, aber auch eine Bewertung mit vertretbarem Zeitaufwand erlauben. Nach bisherigen Erfahrungen ist ein Masterkatalog aus maximal zwanzig Teilkriterien mit nicht mehr als fünf Hauptkriterien praktikabel. Eine tiefere Hierarchisierung der Kriterien in mehr als zwei Ebenen scheint in keinem Fall notwendig.
Werden mit dem Masterkatalog alle Kriterien definiert, die für das unternehmensspezifische Beschaffungsportfolio signifikant sind, so erfolgt mit Bewertungskatalogen die dienstleistungsspezifische Ausprägung von Kriteriensets.
Der Aufbau der Bewertungskataloge unterliegt dem Prinzip der Leistungsgruppendifferenzierung:
  • Für jede Gruppe von ähnlichen Dienstleistungen (Leistungsgruppe) ist ein typisches Set an Kriterien mit spezifischer Gewichtung der Kriterien untereinander für eine optimale Bewertung der Dienstleistungsgüte notwendig.
  • Ein Lieferant, von dem Dienstleistungen verschiedener Leistungsgruppen beschafft werden, kann immer nur mit anderen Lieferanten innerhalb seiner jeweiligen Leistungsgruppe verglichen werden.
Ähnlich einer Warengruppenstruktur bei Materialien sind die eingekauften Leistungen adäquat zu gruppieren. Auf dieser Struktur können somit über einen differen-zierten Bewertungsdatenbestand sichere Aussagen über die Güte des Lieferantenportfolios gemacht werden.
Pro Leistungsgruppe ein Bewertungskatalog
Im Lieferantenbewertungssystem für Dienstleistungen (LBS-DL) wird für jede Leistungsgruppe genau ein Bewertungskatalog aufgebaut. Aus dem Masterkatalog werden hierfür die einzelnen typischen Kriterien selektiert und somit leistungsgruppenspezifische Kriteriensets zusammengestellt.
Jedes so gebildete Kriterienset kann durch Gewichtung der Kriterien weiter differenziert werden. Das Konzept sieht hierbei eine freie Gewichtung vor, das heißt, es kann einerseits die Gewichtung der Teilkriterien zum jeweiligen Hauptkriterium, andererseits die Gewichtung der Hauptkriterien untereinander eingestellt werden. Die Gewichte der Kriterien legen hierbei den Anteil fest, mit dem das jeweilige Kriterium in die Gesamtbeurteilung eingeht. Teilaspekte, die für die Güte der Leistung besonders relevant sind, können auf diese Weise im Kriterienset des jeweiligen Bewertungskatalogs präzisiert werden. Der Einfluss eines Kriteriums auf die Gesamtbeurteilung des Lieferanten kann erhöht oder reduziert werden und zwar für einen ganzen Teilkriteriensatz über die stärkere oder schwächere Gewichtung eines Hauptkriteriums und/oder mittels Feinkonfiguration für einzelne Teilkriterien.
Durch die Kombination von freier Selektion und freier Gewichtung wird mit den Bewertungskatalogen eine größtmögliche Anpassungsfähigkeit und Flexibilität des Bewertungsschemas erreicht. Die Bewer-tungskataloge können auf diese Weise mit hoher Entsprechung zu den Leistungsgruppen ausgebildet werden. Mit der Ableitung aller Bewertungskataloge aus einem zentralen Masterkatalog werden gleichzeitig die für die Datenverarbeitung und -analyse notwendige Einheitlichkeit und Integrität sichergestellt.
Die Bewertung der Lieferantenleistung wird typischerweise aus zwei Perspektiven vorgenommen, zum einen aus der Sicht des Einkäufers, zum anderen aus der Sicht des Leistungsempfängers.
Während der Leistungsempfänger sich vornehmlich für die Erfüllung der angeforderten Dienstleistung interessiert und er nur diese vollständig beurteilen kann, besitzt der Einkäufer ein eher globales Be-schaffungsinteresse und bewertet die Eigenschaften des Lieferanten stärker aus ökonomisch-strategischer Sicht.
Leistungsempfänger und (strategischer) Einkäufer verfügen somit über unterschiedliche Sichten. Sie betrachten verschiedene Aspekte der Lieferantenleistung und verfügen über unterschiedliche Beurteilungskompetenzen.
Für das Konzept des LBS-DL stellt aus diesem Grund die konsequente Perspektiventrennung das zweite gestaltende Grundprinzip dar. Die Bewertung von einzelnen Dienstleistungslieferungen ist strikt von der einzelfallunabhängigen Bewertung des Lieferanten zu trennen. Erst durch das Zusammenführen dieser Einzelperspektiven ergibt sich schlussendlich das vollständige Bild der Lieferantenleistung.
Im LBS für Dienstleistungen wird die Perspektiventrennung durch Bildung zweier Bewertungsprozesse und Trennung der Kriteriensets realisiert.
So sind in den Bewertungskatalogen auf Ebene der Teilkriterien leistungsbezogene und lieferantenbezogene Kriterien zu unterscheiden. Leistungsbezogene Teilkrite-rien messen die Erfüllung des Auftragsgegenstandes und damit die Güte der bestellten Einzelleistung. Es handelt sich um Kriterien, die die Qualität der Lieferung beschreiben (z. B. Inhalt, Termin und Dokumentation, Abrechnungsqualität usw.). Dagegen messen die lieferantenbezogenen Teilkriterien die Leistungsfähigkeit und beschaffungsrelevanten Eigenschaften des Lieferanten. Diese sind zum Beispiel Preispolitik, Innovationsfreundlichkeit, Kommunikationsbereitschaft, Kulanz, Entwicklungspotenzial, Personalqualifikation.
Im LBS-DL werden die leistungsbezogenen Kriterien zur Bewertung der einzelnen Dienstleistung genutzt (Leistungsbewer-tung). Die Leistungsbewertung ist an die Bestellung bzw. an die Bestellposition gebunden und wird im Zuge der Leistungserfassung vom jeweiligen Empfänger durchgeführt. Im System wird hierdurch ein Bewertungsbeleg mit Zuordnung zum Einkaufsbeleg gespeichert. Die lieferantenbezogenen Teilkriterien sind eindeutig an den Lieferanten gebunden. Sie werden im LBS-DL periodisch, mit Bezug zum Kreditor zur Bewertung durch den Einkauf herangezogen (Lieferantenbewertung). Die Bewertung wird als eigener Bewertungsbeleg erzeugt und gespeichert.
Zeitlich frei planbar
Im LBS-DL ist je Bewertungskatalog die Art der Teilkriterien (leistungs- oder lieferantenbezogen) festzulegen. Hierdurch wird die prozessuale und rollenspezifische Verwendung der Teilkriterien gesteuert.
Im LBS-DL werden sowohl in der Leistungs- als auch in der Lieferantenbewertung nur diejenigen Kriterien zur Erfassung zur Verfügung gestellt, die als leistungs- bzw. lieferantenbezogene Kriterien im Bewertungskatalog definiert worden sind. Es wird auf diese Weise gewährleistet, dass der Leistungsempfänger bzw. Einkäu-fer nur diejenigen Aspekte bewertet, welche er auch bewerten kann und bewerten soll.
Im LBS-DL erfolgt die operative Bewertung mittels eines frei definierbaren Punktbewertungsverfahrens. In der Praxis haben sich Skalen von 1 bis 15 oder 1 bis 100 Punkten bewährt.
Während die Leistungsbewertungen im Anschluss an die Lieferung einer bezogenen Leistung erfolgen und somit ereignisorientiert sind, ist die Lieferantenbewertung zeitlich frei planbar, da sie sich nicht am einzelnen Einkaufsvorgang orientiert. Die Lieferantenbewertung ist im Gegensatz zur Leistungsbewertung somit zeitraumbezogen. Um regelmäßige und vergleichbare Ergebnisse zu produzieren, sollte die Bewertung des Lieferanten vom Einkäufer periodisch durchgeführt werfen. Die Festlegung der Periodizität sollte nach der erwarteten Änderungshäufigkeit der Lieferantengüte erfolgen und die Entwicklung des Lieferanten ausreichend genau erfassen. Es haben sich hierfür in der Praxis Quartalsperioden bewährt. Bei längeren Bewertungszeiträumen besteht die Gefahr, dass Eindrücke jüngerer Zeit überproportional stark die Bewertung beeinflussen. Das Konzept des LBS für Dienstleistungen sieht vor, dass die periodische Lieferantenbewertung die Ergebnisse aller Leistungsbewertungen automatisch einbezieht. Es werden hierbei alle im gewählten Bewertungszeitraum, zu einem aktuellen Bewertungskatalog und einem Lieferanten erfassten Leistungsbewertungen vom System gesammelt und auf Ebene der Teilkriterien gemittelt zusammengefasst. Dieses ist möglich, da die Bewertungsbelege mit Zuordnung zu Einkaufsbelegen im System gespeichert sind und somit die Referenz zum Lieferanten eindeutig geprüft werden kann. Die berechnete Punktzahl der erfassten leistungsbezogenen Teilkriterien wird in der Lieferantenbewertung ausgewiesen.
Der Einkäufer erhält somit bereits zum Zeitpunkt der Lieferantenbewertung einen Überblick über die Erfüllung der bestellten Einzelleistungen. Durch Punktevergabe in den lieferantenbezogenen Kriterien vervollständigt der Einkäufer die Bewertung um die globale Perspektive zur Gesamtsicht und schließt damit die Bewertung ab.
Über den leistungsgruppenspezifisch und multiperspektivisch erfassten Bewertungsdatenbestand lassen sich vielfältige und vollständige Informationen über die Güte der Lieferanten und deren Leistungen gewinnen (Lieferantenanalyse).
Leistungsgruppenspezifische Sichten erlauben differenzierte Aussagen über den Zustand und die Entwicklung des Lieferantenportfolios. Auswertungen auf Krite-rienebene offenbaren die jeweiligen Stärken und Schwächen der Lieferanten. Insbesondere im zeitlichen Verlauf können so Verbesserungspotenziale identifiziert und entsprechende Maßnahmen mit dem Lieferanten vereinbart werden. Analysen über die erfassten Leistungsbewertungen zeigen konkrete Fälle von Schlechtleistungen auf, welche im Rahmen von Lieferantengesprächen als Nachweis genutzt werden können oder die Einleitung von gezielten Lieferantenaudits bewirken.

Termintreue
Beispiel 1: Bei einem Reparaturservice ist die Termintreue ein wichtiges Kriterium zur Bestimmung der Lieferleistung, bei einer permanenten Leistung wie dem Betrieb eines IT-Systems ist die Termintreue als Bewertungskriterium aufgrund des fehlenden eindeutigen Lieferdatums dagegen untauglich. Für die Güte einer Reinigungsleistung wird eine „freundliche Kommunikation“ in der Regel weniger entscheidend sein als für den Hotlineservice eines Call-Centers.

Leistungsgruppen
Beispiel 2: Es ist sinnlos, einen Lieferanten, über den Gebäudereinigung, Gärtnerarbeiten und Winterdienste sowie Müllentsorgung eingekauft werden, einem Lieferanten gegenüberzustellen, der ausschließlich Reinigungsleistungen erbringt.
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