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Vier Strategieoptionen für die Versorgungssicherheit

Wenn durch Lieferanten verursachte Engpässe den Erfolg bremsen
Vier Strategieoptionen für die Versorgungssicherheit

Freuen wir uns erst mal, wenn es dem Unternehmen gut geht, die Auftragsbücher voll sind, die Produktion brummt. – Aber: Auch dann könnte der berühmte Wermutstropfen auftauchen. Zum Beispiel, wenn Rohstoffe für die Ausweitung der Produktion fehlen. Unser Autor Thorsten M. Schiefer nennt vier Strategieoptionen für die Versorgungssicherheit.

Die Auftragsbücher der deutschen Wirtschaft sind voll. Es scheint, als hätten die Unternehmen in den vergangenen Jahren ihre Lektionen gelernt und ihre Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig gesteigert. Trotz hoher Lohnkosten und Steuerabgaben bleibt Deutschland in der Top-Liga der weltweiten Industrienationen – mit konstanten Innovationen, hoher Produktivität und Qualität. Doch dieser Erfolg hat auch – zumindest kurzfristig – eine Kehrseite. Die in der Phase der Rezession angepassten Fertigungskapazitäten, eine zunehmend niedrige Fertigungstiefe und die zunehmende Knappheit von Rohstoffen und Vorprodukten bremsen das Wachstum der deutschen Wirtschaft und drohen zu einer strategischen Gefahr zu werden: Denn auch im Kampf um den globalen Markt gilt das Motto „up or out“. Aus volkswirtschaftlicher Sicht wird das Problem dadurch verschärft, dass es gerade die Schlüsselbranchen wie Automobil- und Maschinenbau sowie die stark wachsenden Zukunftsindustrien – etwa im Bereich regenerativer Energien – sind, die von Produktionsengpässen betroffen sind.

Steigende Nachfrage unterschätzt
In der vorangegangenen Rezession hatten viele Unternehmen ihr Heil in einer Reduzierung der Lieferantenbasis und der Kapazitäten gesucht. Dies führt zu Nachfrageüberhängen in der aktuellen Boomphase, da zahlreiche Hersteller die steigende Nachfrage schlicht unterschätzt haben. Die daraus entstehenden Mehrkosten werden sich allein für das Jahr 2007 auf mindestens 15 bis 20 Milliarden Euro belaufen, so die Schätzung der Brainnet Management Consultants GmbH, Bonn. So fehlen zum Beispiel bei einem Baumaschinenhersteller die Achsen, oder bei einem Windkraftanlagenhersteller die Getriebe.
„Damit die stockende Supply Chain nicht zu einer zentralen Herausforderung wird, muss man rechtzeitig effektive Gegenmaßnahmen ergreifen“, sagt Thomas Sonntag, Leiter Supply Management bei der MAN Turbo AG. „Die Entwicklung solcher Maßnahmen erfordert innovative Strategien, um Lieferengpässe langfristig zu vermeiden und eine strukturelle Sicherheit im Lieferantennetzwerk zu garantieren“. Auch Dr. Christian Ausfelder, Vorstand der F. Weyhausen AG & Co. KG, die die weltweit zum Einsatz kommenden Atlas Radlader und Walzenzüge produziert, bestätigt diese Einschätzung. „Unser Wachstum und unsere Wettbewerbsfähigkeit hängen maßgeblich von einer verlässlichen Wertschöpfungskette ab, die flexibel und auf die Bedürfnisse unserer Produktion reagiert“.
Doch was können die Unternehmen tun, um ihre Versorgung langfristig zu sichern und Lieferengpässe zu vermeiden? Die naheliegendste Lösung – das Ausweichen nach China oder Indien – ist hier in vielen Fällen keine Option.
Einerseits machen die anfallenden Transportkosten, Koordinations- und Monitoringaufwand, Zoll- und Steuerabgaben die Produktion in Fernost nur bei hohen Stückzahlen attraktiv. Andererseits ist eine schlanke Produktionskette häufig auf absolut zuverlässiges Just-in-time-Liefermanagement angewiesen. Dies können die fernöstlichen Hersteller nicht immer gewährleisten. Gleichzeitig sind deutsche Unternehmen in diesen Regionen häufig mit mangelndem Know-how-Schutz konfrontiert. Es gilt also ein differenzierteres Portfolio an Beschaffungsstrategien zu entwickeln.
Dabei sollten innovative Unternehmen vor allem auf vier grundsätzliche Optionen setzen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Es gilt – erstens – einen sorgsamen Umgang mit Ressourcen in der gesamten Wertschöpfungskette von der Herstellung von Vorprodukten über die Logistik bis hin zum Recycling zu gewährleisten und bereits in der Produktentwicklung die Wiederverwertbarkeit der Produkte mitzuplanen. So lassen sich die meisten Metalle, aber auch viele Kunststoffe fast beliebig oft recyclen. Vorschriften wie die Rücknahmeverpflichtung bei Elektrogeräten und Altautos, von der Industrie heute häufig als Belastung betrachtet, können so zu einem strategischen Vorteil bei der Sicherstellung der Versorgung mit wertvollen Rohstoffen werden.
Dieser Aspekt gewinnt – zweitens – insbesondere vor dem Hintergrund knapper Rohstoffe und extrem volatiler Rohstoffpreise an Bedeutung. Im Einkauf von Rohstoffen und Vorprodukten werden bereits heute verstärkt Finanzmarkt-Instrumente eingesetzt, um die Volatilität der Preise zumindest mittelfristig in den Griff zu bekommen.
Neue Instrumente für Einkäufer
Vom Einkäufer erfordert dies allerdings neue Fertigkeiten: Er ist zunehmend gezwungen, Instrumente aus den Bereichen Treasury und Asset Management, wie z. B. das Hedging bei Rohstoffen, zu nutzen. Bislang fehlen aber leider noch sehr oft das Know-how und der abteilungsübergreifende Wissenstransfer in den Unternehmen.
Auch die Integration der Wertschöpfungskette wird – drittens – für immer mehr Unternehmen zu einem interessanten Ansatz. So haben sich beispielsweise führende Reifenhersteller in den letzten Jahren verstärkt an Kautschukplantagen beteiligt, um dem drohenden Kautschukengpass entgegenzuwirken. Die vertikalen Konglomerate, die insbesondere in der Rohstoffindustrie in Russland, China oder Brasilien entstehen, weisen ebenfalls in diese Richtung.
Doch alle diese Optionen sollten – viertens – vor dem Hintergrund einer effizienten Verteilung der Beschaffungsquellen über den Globus gezogen werden. Erst auf diese Wiese lässt sich die Abhängigkeit von einem Lieferanten oder einer Sourcing-Region verhindern und eine dem jeweiligen Auftrag optimal angepasste Beschaffungsquelle aufbauen. Allerdings stehen die meisten Unternehmen bei der Definition von „Sourcing-Portfolios“ erst am Anfang, gerade wenn es um den systematischen Aufbau alternativer Lieferanten in Osteuropa oder der Türkei geht. Für die Schaffung von Sourcing-Portfiolios ist es zwingend notwendig, im Rahmen eines Total-Cost-Ansatzes alle Kriterien, die für oder gegen die Auswahl einer bestimmten Beschaffungsregion sprechen, systematisch zu analysieren. Das Ziel dieser Analyse ist die Identifikation von gesamtkostenoptimalen Regionen – Brainnet bezeichnet sie als „Best Cost Countries“. Diese sind dadurch charakterisiert, dass sie strategische Investitionen nicht nur nach den üblichen Kostenkriterien, sondern auch aus der Perspektive der langfristigen Versorgungssicherheit rechtfertigen.
Der Blick auf die Vielzahl der strategischen Aufgaben, vor denen die deutschen Unternehmen stehen, wenn es um die Sicherstellung der Versorgung und der Produktionskapazitäten geht, ist indes kein Grund für Pessimismus. Die deutsche Wirtschaft hat in den vergangenen Jahren viele strukturelle Schwächen beseitigt und ist heute wesentlich flexibler und adaptionsfähiger als noch vor fünf Jahren. Gleichzeitig gilt es aber zu erkennen, dass keine Zeit zu verlieren ist: Denn auch die Konkurrenten im Ausland haben ihre Hausaufgaben gemacht.

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