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Vom Einkäufer zum Unternehmer

2020: Megatrends in der Beschaffung
Vom Einkäufer zum Unternehmer

Es wird klar: Einkaufsleiter müssen sich heute mit viel komplexeren Fragen als früher beschäftigen. Zugleich verantwortet der Einkauf einen immer größeren Teil der Wertschöpfung. In den kommenden zehn Jahren hat die Beschaffungsfunktion eine einmalige Chance: Sie kann ihren Wertbeitrag für das Unternehmen erheblich ausbauen.

Wie managen wir globalisierte, unsichere und immer länger werdende Lieferketten? Wie entwickeln wir einen Stamm von Lieferanten, die uns frühzeitig Zugang zu ihren Innovationen gewähren? Wie antworten wir auf steigende Umwelt-, Sicherheits- und regulatorische Anforderungen? Im Jahr 1970 machten externe Ausgaben bei den Standard & Poors-500-Unternehmen noch durchschnittlich 60 Prozent der Gesamtkosten aus, heute sind es mehr als 85 Prozent.

Das neue globale Gleichgewicht. Vor diesem Hintergrund werden künftig zahlreiche Beschaffungsorganisationen neu aufgestellt. Einkaufsleiter (Chief Procurement Officer, CPOs) tun gut daran, diese Chance aus der Perspektive eines Unternehmers anzugehen und ihre Funktion als wichtige strategisch denkende Kraft im Unternehmen zu positionieren. Wohin dieser Weg führen kann, lässt sich aus fünf Megatrends ableiten, die unser wirtschaftliches, politisches und gesellschaftliches Umfeld in den nächsten zehn Jahren prägen werden – und die unternehmerisch denkende CPOs für sich und ihre Organisation nutzen können.
Eine der größten Verwerfungen der kommenden zehn Jahre ergibt sich durch die Wachstumsdynamik der Schwellenländer. Dadurch steigt das verfügbare Einkommen, der Anteil der Mittelschicht an der Weltbevölkerung verdoppelt sich auf rund 40 Prozent. Deshalb will beispielsweise Procter & Gamble in diesem Zeitraum in den Schwellenländern eine Milliarde Neukunden gewinnen. Diese werden allerdings nur ein Sechstel der Kaufkraft vergleichbarer Kunden in den Industrienationen haben.
Infolge solcher Entwicklungen werden Unternehmen künftig buchstäblich weltweit einkaufen. Statt Global Sourcing (also die Versorgung westlicher Fertigungen mit Komponenten aus globalen Low-Cost-Märkten) steht zunehmend Local-for-Local-Sourcing im Vordergrund: Die Produkte und Vorleistungen globaler Konzerne werden immer mehr auf die spezifischen Bedarfe lokaler Märkte ausgerichtet und dort gesourced. Einkaufsentscheidungen sind daher zunehmend vor dem Hintergrund eines integrierten Footprints von Fertigungs-, Vertriebs- und F&E-Standorten des Unternehmens zu treffen. So nutzt Carrefour seine Einkaufsorganisation in China schon heute konsequent, um auch neue Filialen im Land zu eröffnen.
Die Zukunft der Einkaufsorganisation wird global und multikulturell sein; über ihre optimalen Einkaufsmärkte entscheiden die Unternehmen multidimensional und dynamisch. Eine enge Kooperation mit Funktionen wie F&E, Vertrieb und Produktion ist dafür die wichtigste Grundlage – warum nicht unter klarer Federführung des Einkaufs?
Das Produktivitätsgebot. Aufgrund der ökonomischen Fortschritte der Schwellenländer braucht die westliche Welt kontinuierlich Produktivitätssteigerungen, wenn sie ihren Wohlstand halten will. Um diesem Produktivitätsgebot gerecht zu werden, greifen Unternehmen verstärkt auf externe Spezialisten zurück, die Teile der Wertschöpfungskette besonders effizient bedienen können. So produziert der Auftragsfertiger Foxconn inzwischen aufgrund seiner Größen- und Kompetenzvorteile Produkte für praktisch alle großen Unterhaltungselektronik- und Computermarken: Geschätzt 40 Prozent aller weltweit hergestellten Produkte in diesem Bereich kommen aus Foxconns Fabriken.
Die Wachstumsraten dieser Spezialanbieter sind oft zwei bis vier Mal so hoch wie die integrierter Unternehmen. Doch auch die Auftraggeber profitieren: So haben die großen Automobilhersteller mithilfe solcher Spezialanbieter ihren Umsatz je Mitarbeiter seit 1990 um mehr als das Zweieinhalbfache erhöht.
Je mehr solcher externer Partner ein Unternehmen hat, desto wichtiger wird es, eine integrierte, durchgängige Wertschöpfungskette bestehend aus diesen Partnern und den internen Funktionen zu dirigieren. Diese Aufgabe sollte niemand anders als der Einkauf ausfüllen. Denn er ist es nicht nur gewohnt, Anbieter zu finden, die die funktionalen Anforderungen erfüllen. Durch die Arbeit in multifunktionalen Kategorieteams ist er auch bestens mit anderen Funktionen vernetzt und kann daher deren Bedarfe genau verstehen, Lieferanten in diesem Sinne managen und alle Beteiligten zusammenbringen. Wenn der Einkauf zudem in der Lage ist, interne Funktionen an externen Benchmarks zu messen und wenn er die komplette Wertschöpfungskette mitgestaltet, hat er seinen Platz an der Seite der Unternehmensstrategie und des Vorstands bei jeder strategischen Diskussion, auch über klassische Einkaufsthemen hinaus.
Big Data und Global Grid. Die Analyse großer Datensätze (Big Data) wird zu einem der wichtigsten Wettbewerbsfaktoren, zugleich ermöglicht das weltweite Informationsnetz (Global Grid) eine völlig neue Qualität der Zusammenarbeit. Einkaufsteams können sich dadurch künftig sehr viel enger mit ihren Lieferanten verzahnen, direkt auf deren Daten zugreifen und damit Lieferrisiken besser managen, die „richtigen“ Preise besser verhandeln, eine integrierte Planung erreichen oder schneller auf alternative Lieferanten umstellen.
Angesichts dieser digitalen Vernetzung sollte der Einkauf den Vorteil nutzen, dass er am Schnittpunkt vielfältiger interner und externer Datenströme sitzt. Chancen ergeben sich nicht nur in der besseren Vorbereitung von Verhandlungen mit Lieferanten, sondern auch durch Szenario-Analysen, die es erlauben, verschiedene Produktgruppen, Lieferanten und Preisschemata gleichzeitig und in Echtzeit zu optimieren. Ein nächster Schritt kann ein besseres Spezifikationen- und Bedarfsmanagement sein, weil der Einkauf Nachfragemuster und Trends in Echtzeit verstehen kann.
Das ist jedoch nur möglich, wenn der Einkauf die dafür notwendigen Mitarbeiterkompetenzen aufbaut – denn der Bedarf an guten Analytikern wird künftig größer sein als das Angebot. Und weil noch nicht klar ist, welche Trends sich bei Big Data und Global Grid durchsetzen, sollten Einkaufsleiter mit verschiedenen technische Lösungen experimentieren: von Datenbanken über Datenextraktions-Tools bis zu Analysesystemen.
Die neue Volatilität. Hauptziel jeder Einkaufsorganisation ist es immer noch, genügend Nachschub zu kalkulierbaren Preisen in die Fabrik zu bringen. Doch wie macht man das, wenn sich beispielsweise die weltweiten Produktionskapazitäten für Computerfestplatten durch eine einzige Überschwemmung drastisch verringern und die Preise sich fast verdoppeln? Solche Verwerfungen sind in unserer immer volatileren Welt an der Tagesordnung – und immer genauere Prognosen helfen nur bedingt weiter.
Trotzdem kann der Einkauf sein Unternehmen vorbereiten, indem er wichtige Fragen klärt: Welche Unsicherheiten sind für das Unternehmen am wichtigsten – beispielsweise Veränderungen im Kunden-, Lieferanten- und Wettbewerberverhalten, makroökonomische Verwerfungen oder extreme Wetterereignisse? Welche Risiken entstehen daraus und wie groß sind sie (z. B. Kostensteigerungen, Lieferengpässe, Qualitätsprobleme)? Wer ist im Unternehmen der „natürliche Verantwortliche“ für ein bestimmtes Risiko? Kann das Unternehmen das Risiko selbst tragen oder sollte es beispielsweise die Verträge mit den Kunden ändern?
Einkaufsleiter sollten daher Risikoszenarien mit einer Kaskade von präventiven, antizipierenden und reaktiven Maßnahmen vorbereiten. Wenn es dann zu einem störenden Ereignis kommt, kann die gesamte Organisation unter Führung des Einkaufs entlang des erarbeiteten Plans reagieren und für die Zukunft lernen, beispielsweise indem alternative Optionen für zukünftige Lieferanten entwickelt werden. Im Idealfall kann der strategische Umgang mit Risiken so zu einem Vorteil gegenüber Wettbewerbern im Markt werden.
Einflüsse auf die Wirtschaft. Kein Markenunternehmen kann es sich heute noch leisten, Vorprodukte von einem Lieferanten zu beziehen, der mit seiner Arbeit beispielsweise natürliche Ressourcen zerstört. Solche ESR-Überlegungen (environmental, social & regulatory) werden neben klassischen Angebotspreisüberlegungen immer wichtiger, wenn Einkaufsleiter Waren und Dienstleistungen auswählen. Damit solche Einflüsse nicht das Ergebnis gefährden, sollte der Einkauf zunächst deren interne und externe Auswirkungen besser verstehen. Hierbei helfen moderne Analyse-Tools und eine Erweiterung der traditionellen „Total Cost of Ownership“ (TCO) zum Ansatz „Total Impact of Ownership“ (TIO), der auch Kosten, Risiken und Chancen in Bezug auf ESR-Themen einschließt.
Basierend auf diesem tieferen Verständnis sollte der Einkauf die Beziehungen entlang der Lieferkette intensivieren. Das gilt einerseits für jeden Prozessschritt von der Lieferantenauswahl bis zur Lieferantenprüfung – und andererseits für die gesamte Wertschöpfungskette, also auch für Lieferanten in vorgeschalteten Stufen. Schließlich sollte der Einkauf über die Lieferketten hinausblicken und vielfältige externe Beziehungen zu Kunden, Industrieverbänden, Behörden, NGOs und anderen Interessengruppen aufbauen.
So kann er beispielsweise künftige Industriestandards mitgestalten und die Interessen des Unternehmens strategisch in den politischen Gesetzgebungsprozess mit einbringen.
Jeder dieser fünf Megatrends bietet dem Einkauf die Chance, künftig eine zentrale Rolle im Unternehmen als enger Partner des Topmanagements zu spielen. Diese Chance wird der CPO aber nur nutzen können, wenn er die Veränderungen mit allen Implikationen versteht und selbst strategische Lösungen im Sinne eines Einkaufs-Unternehmers entwickelt. Es geht also darum, sich weiterzuentwickeln, vom Supply Management zum Supply Entrepreneurship. Das ist ein großer Schritt – aber einer, der sich lohnt!
Quellen:
  • Procurement 20/20: Supply entrepreneurship in a changing world, Peter Spiller, Nicolas Reinecke, Drew Ungerman und Henrique Teixeira
  • Die Studie können Sie unter beschaffung-aktuell.de/Whitepaper downloaden.
  • Unsere Webinar-Empfehlung
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