Nachfrageknappheit, Kapazitätsengpässe und Preisverhandlungen: Das sind alles Faktoren, die Lieferketten aktuell beeinträchtigen. Hinzu kommt die Tatsache, dass sich das Verbraucherverhalten weiterentwickelt und den Markt in eine ganz neue Richtung steuert: Heute suchen Konsumenten nach fair produzierten Sneakern, regionalen Lebensmitteln und halten angesichts der Inflation gleichzeitig Ausschau nach bezahlbaren Alternativen. Die aktuelle Wirtschaftssituation macht es nicht nur Händlern und Lieferanten, sondern vor allem den Herstellern schwer. Denn sie stehen genau dazwischen. Die Herausforderung, die sich hier für die produzierende Industrie stellt: Wie halten sie in dieser Situation eine gute Risikobalance?
Sinkende Kaufkraft, sinkendes Vertrauen
In Supermärkten stehen Konsumenten vermehrt vor leeren Regalen. Lebensmittelhersteller sehen sich gezwungen die Preise für ihre Produkte zu erhöhen. Händler jedoch sehen ihre Kunden schwinden, wenn sie diese Preise weitergeben. Das Resultat sind Lieferstopps, leere Regale und Verluste auf allen Seiten. Hersteller selbst bleiben dabei auf ihren Produkten sitzen. Die Ursache sind wie bei vielen Unternehmen die gestiegenen Kosten für Rohstoffe, Energie, Verpackungen und Transport.
Im Raum steht nun die Frage, ob diese Preiserhöhungen der Hersteller gerechtfertigt sind. Das eigentliche Problem ist jedoch die aktuelle Unplanbarkeit entlang der gesamten Lieferkette. Früher konnten Hersteller die Konditionen noch langfristig für ein ganzes Jahr festlegen. Die derzeitigen Ereignisse in der Welt führen zu einer erhöhten Unsicherheit bei allen Parteien – und beeinflussen letztendlich auch die Kaufentscheidung der Endkonsumenten.
Waren früher Lieferstopps und Verspätungen in der Lieferkette für Branchenfremde noch eher vage Begriffe, sind sie durch die Übersättigung der Berichterstattung darüber heute für den Großteil der Öffentlichkeit ein alltägliches Diskussionsthema. Obwohl das allgemeine Bewusstsein auf einem Allzeithoch ist, wird die Komplexität selbst der einfachsten Lieferkette noch immer nicht richtig eingeschätzt. Stattdessen hat die ständige, regelmäßige Beschäftigung mit dem Thema dazu geführt, dass die Sympathie der Verbraucher trotz der anhaltenden Probleme in der wirtschaftlichen und geopolitischen Landschaft allmählich schwindet.
Nachhaltigkeit trotz Krise
Auch in Krisenzeiten spielt das Thema Nachhaltigkeit für deutsche Verbraucher eine große Rolle. So sagen laut einer aktuellen Studie von Deloitte 63 Prozent der Konsumenten, dass ihnen Nachhaltigkeit bei der Kaufentscheidung weiterhin wichtig ist. Dies hat zur Folge, dass jegliche Behauptungen stärker als je zuvor einer öffentlichen Prüfung unterzogen werden. Der Kauf von Emissionszertifikaten als alter Klassiker vieler Unternehmen wird bereits wiederholt hinterfragt, wobei viele die tatsächlichen Auswirkungen und den Wert aufgrund immer noch schwammiger Kriterien kritisch sehen.
Erschwerend kommt hinzu, dass Unternehmen regelmäßig verbesserte gesetzliche Vorschriften auferlegt werden wie das im Januar 2023 in Kraft tretende deutsche Lieferkettengesetz. Derartige Regelungen verschärfen die Anforderungen an Unternehmen, vor allem auch an Hersteller, ihre Sorgfaltspflichten einzuhalten und immer häufiger auch öffentliche Nachhaltigkeitsberichte zu teilen. Dadurch rücken Themen, die früher bei der Kaufentscheidung der Kunden vielleicht keine Rolle spielten, stärker in den Blickpunkt.
Die Entwicklung nachhaltiger Produkte, die qualitativ hochwertig sind und zu einem erschwinglichen Preis angeboten werden, lässt sich für Hersteller nicht so einfach berechnen – insbesondere, wenn man die Auswirkungen externer Faktoren auf die Lieferkette berücksichtigt. Es bedarf einer Reihe langfristiger Ziele, einer schrittweisen Umsetzung und einer vollständigen Überwachung der Produktentwicklung von der Materialbeschaffung bis hin zu den Vertriebskanälen, über die sie an die Kunden verkauft werden.
Einsatz von Technologie für mehr Resilienz
Es ist leicht zu erkennen, dass eine Vielzahl von Faktoren zur Komplexität der globalen Lieferkette beiträgt. Viel schwieriger ist es jedoch, eine dauerhafte, zuverlässige Lösung zu finden und den Einsatz von Technologien zu bewerten. Wird die Lieferkettentechnologie die nächste Pandemie vorhersagen? Oder wie sieht es mit dem nächsten geopolitischen Ereignis aus, das die Märkte ins Wanken bringt und die Gesetzgebung auf den Plan ruft? Welche schwarzen Schwäne kommen auf die Wirtschaft noch zu? Dass Lieferkettentechnologien uns ein zuverlässiges Bild der Zukunft malen, ist unwahrscheinlich.
Realistisch gesehen geht es in der aktuellen Lage darum, die Risiken so auszubalancieren, um eine resiliente Lieferkette zu schaffen. Resilienz bedeutet dann nicht, das Unvorhersehbare vorherzusagen und auch nicht so sehr vor Katastrophen zu warnen, sondern vielmehr darum, Lösungswege zu finden, die auf einer Vielzahl von geschäftsrelevanten Situationen basieren. Die operative Gestaltung der Lieferkette und ihre Sensitivitätsanalyse sollte auf Ereignissen mit hoher Wahrscheinlichkeit und geringen bis mittleren Auswirkungen beruhen. Resilienz besagt im Wesentlichen, auf diese Ereignisse vorbereitet zu sein.
Um sich zum Beispiel auf bekannte Ereignisse wie Hafenschließungen, Streiks und Kapazitätsengpässe bei den Verkehrsträgern einstellen und Stresstests zur Aufdeckung von Sollbruchstellen durchzuführen, muss entsprechendes Wissen im Unternehmen verankert und leicht zugänglich sein. Technologien, die hochfrequente Stresstests und die Planung von Black-Swan-Szenarien kombinieren, können hierbei von Vorteil sein. Wenn dann die schwarzen Schwäne unvermeidlich eintreten, können Unternehmen damit klare, präzise Antworten auf die anstehenden Fragen liefern.
Der Autor: Frank Cappel
… ist als Regional Vice President EMEA Value Solutions Consulting bei Coupa tätig. In seiner Position verantwortet er sämtliche Presales Aktivitäten in den Regionen Europa (West und Ost), dem Mittleren Osten und Afrika. Er ist Branchenexperte für Business Spend Management (BSM) und blickt auf Einkaufserfahrung bei der Deutschen Bank sowie mehrjährige Beratungserfahrung bei Accenture und IBM zurück.
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