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CBAM – der „Zoll“ auf CO2

Meldepflichten für bestimmte Produkte angelaufen
CBAM – der „Zoll“ auf CO2

Während sich die EU mit dem Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) auf eine emissionsfreie Wirtschaft vorbereitet, stehen Unternehmen vor einer spannenden Herausforderung – die Umstellung ihrer Lieferketten auf eine kohlenstoffarme Realität. Erfahren Sie, wie dieser Schritt die Industrielandschaft verändert und welche innovativen Lösungen es für eine nachhaltige Zukunft gibt.

Fit for 55 – das ist kein Gesundheitsprogramm der Krankenkassen für Best Ager, sondern benennt das Ziel der Europäischen Union (EU), bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 55 Prozent zu senken. In der jetzt vorgelegten „EU-Strategie für das industrielle CO2-Management“ formuliert man darüber hinaus das weitere Ziel: Klimaneutralität bis 2050. Doch während die neuen Verfahren CCS, CCU und CDR (siehe Kasten) noch Zukunftsmusik sind, ist der europäische Emissionshandel für industrielle Emissionen bereits in vollem Gange und bringt mit der CBAM-Verordnung eine weitere Facette mit Relevanz für viele Wirtschaftsunternehmen.

Das System des CO2-Ausgleichs

„Carbon Border Adjustment Mechanism“, kurz CBAM, steht für ein CO2-Grenzausgleichsystem, dessen 1. Stufe seit einigen Monaten in Kraft ist. Für bestimmte Waren gilt jetzt eine Meldepflicht: Zement, Strom, Düngemittel, Eisen und Stahl, Aluminium und Wasserstoff. Importieren Unternehmen diese Waren aus Nicht-EU-Ländern, müssen sie dies melden, und zwar vierteljährlich in einem komplexen CBAM-Bericht an die EU-Kommission. Später wird die Einfuhr auch „bepreist“. Die Idee dahinter: Wer in den Mitgliedstaaten klimaschädliches Kohlendioxid produziert, muss dafür die Rechte erwerben in Form von Zertifikaten an der Energiebörse. Da diese schrittweise knapper und teurer werden sowie freie Zuteilungen enden, importieren manche Unternehmen aus Kostengründen bestimmte Waren, anstatt sie innerhalb der EU herzustellen oder einzukaufen. Daraus entstehen Wettbewerbsnachteile für heimische, dem Emissionshandel unterliegende Unternehmen, die die CBAM-Verordnung ausgleichen soll.

Aufgaben bei den Betroffenen

„Ein Querschnittsthema für die gesamte Industrie“ nennt Dr. Matthias Blum, Abteilungsleiter Außenwirtschaft im Verband der Chemischen Industrie (VCI), das Ausgleichssystem. Die neuen Strukturen zur CBAM-Berichterstattung aufzubauen, sei für die Unternehmen „ein wahrer Hürdenlauf, da noch nicht alle technischen Voraussetzungen so funktionierten wir erhofft“. Aufgrund des holprigen Starts musste prompt die Abgabefrist für den ersten Bericht verlängert werden.

Was in der Praxis ganz konkret Probleme bereitet, ist die Beschaffung der Informationen bei den Lieferanten. „Das kann damit beginnen, dass beispielsweise die Zolltarifnummern der eingeführten Waren nicht in den Systemen der Unternehmen hinterlegt sind, etwa wenn ein Dienstleister für die Zollanmeldung eingeschaltet wurde“, sagt Rechtsanwalt Jan Gröschel, Experte für Außenwirtschaftsrecht bei CMS Hasche Sigle Hamburg. „So können Unternehmen gar nicht prüfen, ob sie CBAM-Berichte abgeben müssen.“

Informationsbeschaffung beim Lieferanten

Für eine Übergangszeit dürfen Unternehmen momentan noch von der EU-Kommission veröffentlichte Standardwerte verwenden; später müssen sie aber die tatsächlichen Emissionen über die Lieferkette hinweg ermitteln. Ob dies unternehmensintern im Lieferantenmanagement bei Einkauf und Beschaffung angesiedelt sein wird, dürfte noch nicht überall abschließend geklärt sein.

„Es wird herausfordernd werden, vom außerhalb der EU ansässigen Hersteller – den der Importeur unter Umständen nicht kennt, wenn er bei einem Zwischenhändler kauft – Angaben zum Herstellungsprozess und zu den nach den Regeln der CBAM-Verordnung ermittelten Treibhausgasemissionen zu bekommen“, bestätigt Dr. Thomas Hartinger vom Stuttgarter Software-Haus für Zoll und Außenhandel AEB. Vermutlich werde es in vielen Fällen erforderlich, dem Hersteller die Berechnungsvorschriften zu erläutern. „Sehen wir es mal als Chance, mit den Lieferanten enger in Kontakt zu kommen“, sagt der AEB-Produktentwickler augenzwinkernd.

Branchenkenner Blum prognostiziert: „Wenn die Lieferanten in Drittstaaten die entsprechenden Daten zu den Waren nicht liefern können oder wollen, wird ein Lieferantenwechsel unabdingbar.“ Auf das Lieferantenmanagement kommt damit eine zusätzliche Aufgabe zu, ebenso auf die Juristen, die die Bereitstellung der Daten durch die Lieferanten vertragsrechtlich sicherzustellen versuchen.

Mögliche Sanktionen

Wer CBAM-Berichte falsch, verspätet oder gar nicht abgibt, kann mit einem Bußgeld belegt werden. „Die Bußgeldhöhe orientiert sich unter anderem an der falsch oder nicht deklarierten Menge von Treibhausgasemissionen und dem so eingesparten Preis“, erläutert Anwalt Gröschel. „Das sollte man nicht unterschätzen.“ Die gute Nachricht: Es gibt eine Korrekturmöglichkeit, wenn in dem komplexen Bericht nachträglich Fehler festgestellt werden. Die zuständige Behörde habe mitgeteilt, zumindest in der Anfangsphase Bußgelder nicht ohne ein solches vorgeschaltetes Korrekturverfahren verhängen zu wollen, berichtet der Außenwirtschaftsrechtler.

Die beiden nächsten Stufen

Ab Januar 2025 kann dann voraussichtlich der Status „Zugelassener CBAM-Anmelder“ erworben werden. Ab Januar 2026, wenn die CBAM-Verordnung endgültig in den Echtbetrieb übergeht, ist er zwingend für den Import der betroffenen Waren notwendig. „Der Status muss von in der EU ansässigen Einführern oder deren Zollvertretern beantragt werden und ist an Voraussetzungen wie Zuverlässigkeit und finanzielle sowie operative Leistungsfähigkeit gebunden“, erklärt AEB-Experte Hartinger das weitere Vorgehen.

Der einschneidendste Schritt erfolgt jedoch dann, wenn ab 1.1.2026 für die importierten Waren ein CO2-Preis zu bezahlen sein wird. Die CBAM-Anmelder müssen dann Zertifikate für die mit der Herstellung der importierten Waren verbundenen Treibhausgasemissionen erwerben. Im Laufe der Zeit werden Anzahl und Preis der benötigten Zertifikate wohl immer weiter angehoben. „Je nach Importvolumen werden die Zertifikate zu einem relevanten Kostenfaktor und die Entscheidung, wann in welchem Umfang Zertifikate erworben werden sollen, zu einer interessanten Aufgabe“, so Hartingers Einschätzung.

Prognose

Zwar wird im Echtbetrieb ab 2026 aus dem quartalsweisen Bericht eine jährliche Erklärung, ansonsten werden die Herausforderungen aber nicht weniger. So soll etwa der von CBAM betroffene Warenkreis um Polymere, also Kunststoffe, erweitert werden.

Ob der CO2-Grenzausgleich langfristig zu Strategiewechseln in den Unternehmen führen wird, ist ungewiss. Der vermehrte Import von verarbeiteten Waren, die nicht CBAM-relevant sind, oder das Verlagern der Produktion ins Nicht-EU-Ausland – beides sind Optionen. Beide dürften der Europäischen Union allerdings wenig gefallen, denn sie wollte eigentlich Anreize zur Dekarbonisierung auch außerhalb ihrer Grenzen schaffen.


Die Autorin: Anja Falkenstein,

Rechtsanwältin, Karlsruhe


Recht im Einkauf

Die Serie „Rechtsprechung für die Beschaffung“ behandelt juristische Probleme rund um den Einkauf. Sie schafft ein Verständnis für den aktuellen Stand der Rechtsprechung, ersetzt aber nicht die anwaltliche Beratung im Einzelfall.


Das angestrebte CO2-Management in der Industrie

Mit Blick auf die angestrebte Klimaneutralität im Jahr 2050 setzt die EU unter anderem auf drei neue Technologien:

  • Kohlenstoffabscheidung und Speicherung (CCS)
  • Kohlenstoffabscheidung und Nutzung (CCU)
  • Kohlenstoffdioxidentnahmen direkt aus der Atmosphäre (CDR).

Die weitere technische und rechtliche Klärung ist nun Sache der EU-Kommission. Dazu gehört auch ein Vorschlag, wie Abbau, Nutzung und Speicherung im Rahmen des Emissionshandelssystems angerechnet werden können. Die Kommission will einen klaren Rahmen für die Kohlenstoffbilanzierung schaffen, der die Nutzung von nachhaltigem Kohlenstoff in den Industriesektoren fördert.

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