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Einkauf bei der Deutschen Bahn

Die Lieferantenkonferenz der Bahnindustrie
Der Preis ist bei der Deutschen Bahn nicht mehr alleiniges Zuschlagskriterium

Die Beschaffungsorganisation der Deutschen Bahn forciert ihren eigenen „digitalen Fahrplan“. Schwachstellen werden bearbeitet, Potenziale ausgelotet – beides unter Hochdruck. Während reife Systemlieferanten den gezündeten Turbo begrüßen, müssen vor allem viele kleinere Partner nachlegen. Für sie gilt: Nur wer es schafft, sich innerhalb der kommenden zwei Jahre e-ready zu machen, behält seinen Part im Netzwerk. Der Preis ist nicht mehr alleiniges Zuschlagskriterium.

Bahn-CPO Uwe Günther und Chief Digital Officer Rolf Härdi beschrieben als Schirmherren des Railway Forums Ende August im Hotel Estrel vor rund 1100 Teilnehmern, darunter 135 Dienstleisterunternehmen in der begleitendeN Ausstellung, den Weg Richtung World Class Procurement.

Schwerpunkte der Konferenz für Lieferanten der Bahnindustrie waren die Wettbewerbsfähigkeit 2025, die Innovationsagenda der Mobilitätsbranche und die spezielle Rolle der Deutschen Bahn im Gesamtsystem.

Roadmap World Class Procurement

Uwe Günthers Mannschaft orientiert sich derzeit an einer definierten Roadmap zur „World Class Procurement Organisation“. International renommierte Firmen benchmarken die Prozesse. Heute sei man schon „gesichert im professionellen Bereich“, bekräftigte der CPO in Berlin. Der Assessment Score habe sich von 10,9 im Jahr 2015 auf 12,4 in 2016 verbessert. Insbesondere in den Bereichen Warengruppen- und Vergabestrategien sei man gut vorangekommen. Zudem habe man im Businesspartner-Management zugelegt. Den gesetzten Beitrag zum Konzernergebnis habe seine Beschaffungsorganisation im vergangenen Jahr im Zuge des Programms „ProFit“ realisiert; das laufende Jahr sei durch eine intensive Vergabetätigkeit gekennzeichnet. Ziele des Teams: Null-Fehler-Ansatz, konsequente Anwendung des neu strukturierten Lieferantenmanagements und der zu verbessernde KPI „Liefertreue“. „Wir werden die Prozessautomatisierung durch Robotics-Anwendungen forcieren, aus digital hinterlegten Katalogen Abrufe tätigen, die Lieferantenbewertung und Überwachung der Produktionsprozesse sowie der Supply Chain digitalisieren“, so der Einkaufsleiter. Die Beschaffer erhoffen sich zugleich Analysen zur Entscheidungsfindung über potenzielle Problemlagen.

Schwachstellen ausloten

An einigen Stellen entlang der Supply Chain bestehe freilich noch „mangelnde operative Exzellenz“, räumte Günther ein. Systembrüche, undefinierte Schnittstellen und insbesondere fehlende Liefertreue zerstörten das Vertrauen zwischen Kunde und Lieferanten. Dass zudem jede nicht funktionierende Bahnhofsuhr und jeder unpünktliche ICE oder Regionalzug am Image des Unternehmens Bahn kratzt, ist auch in der Beschaffung ein wiederkehrender Agendapunkt. Die Performance des Einkaufs in einem vernetzten System soll intern und extern zu spürbar mehr Qualität beitragen. Günthers Herausforderung: Steuerung und Harmonisierung des internationalen Beschaffungsnetzwerks mit einem Einkaufsvolumen von 25  Mrd. Euro, und das möglichst bald nach einheitlichen Grundsätzen im Lieferantenmanagement bei der Erstellung von Warengruppenstrategien und im Prozessablauf. Die Bahn agiert mit Cargo, Schenker und Arriva in mehr als 70 Ländern. „Unsere Kernstrategie lautet nach wie vor Konzentration auf Systemanbieter mit eisenbahnspezifischem Know-how. Der Preis kann und soll nicht mehr das alleinige Zuschlagskriterium sein“, betonte Günther. Partnern wolle man durch hohe Bündelungsraten und langfristige Rahmenverträge Sicherheit im Produktionsprozess und eine kommerziell stabile Position geben.

Kleine Schritte – größere Erfolgsgarantie

Gemeinsam mit internen Bedarfsträgern und ausgewählten Systemanbietern richtet die Deutsche Bahn derzeit ihre Supply Chain digital neu aus. Der Einkaufschef will durch eine Vielzahl von Maßnahmen punkten, etwa in Sachen E-Vergabe, Dokumentenmanagement, Archivierung, Freigaben, E-Invoicing und Methoden wie Building Information Modeling (BIM, digitales Planen in 5 D, Bereich Bau). Die nächste Stufe des Masterplans umfasst die Implementierung adäquater Informationssysteme, die die volle Transparenz des Beschaffungsvolumens und die Kontrolle über Einhaltung von Verträgen und Spielregeln ermöglichen. Für die Mannschaft bedeutet das: Mehr technische Kompetenz ist unabdingbar. Für Ralf Lüthi, Leiter Beschaffung Allgemeine Bedarfe und Dienstleistungen bei der Bahn, steht fest: „Digitalisierung bedeutet auch, Mitarbeiter zu überzeugen.“ Man habe mittlerweile gelernt, agil in Schritten voranzugehen, „denn immer wenn zuvor etwas groß geplant wurde, konnte es nicht wie geplant abgearbeitet werden“. Die Lieferpartner sind im Prozess procure-to-pay gefordert, bis zum ersten Quartal 2018 eine digitalisierte Anbindung zur Angebotsabgabe, zur Auftragserteilung und zur Auftragsbestätigung bis zur Rechnungsprüfung mindestens mit einer EDI-Schnittstelle zu schaffen. Es werde keine Einheitslösung für alle Prozesse geben können, warnte Lüthi. In zwei Jahren laufe der Austausch unter anderem von Rechnungen papierlos, Medienbrüche würden spätestens in zwei Jahren nicht mehr toleriert, so heißt es zumindest. Markus Quicken, Vorstandsvorsitzender der SupplyOn AG, riet in seinem Workshop vor allem kleineren Lieferanten dazu, nichts auszusitzen: „Sammeln Sie in kleinen Schritten Erfahrungen, denn später wird es viel komplexer und schwieriger.“

Innovation: Messkriterien nutzbar machen

Ein weiteres wesentliches Thema bei der Deutschen Bahn ist die Innovationsgenerierung. „Wir müssen ehrlich einschätzen, dass wir keine ausreichende Kenntnis vom Innovationspotenzial aller unserer potenziellen Lieferanten haben“, sagte Uwe Günther in Berlin. Ziel sei es nun, gemeinsam von den vielfältigen Ideen, Produkten, Technologien, Prozessen und Dienstleistungen der Partner zu profitieren. Bei der Analyse des Innovationspotenzials werden physische und immaterielle Innovationen sowie für den Kunden sichtbare Leistungsangebote und interne Prozessabläufe betrachtet. Dazu nutzen die Beschaffer eine 4-Felder-Matrix. Unterschiedliche funktionale Rollen der Zulieferbetriebe bedingen unterschiedliche Bewertungs- und Messkriterien bei der Quantifizierung der Innovationsfähigkeit. Unter wissenschaftlicher Begleitung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) kommt ein ganzheitliches Bewertungsraster in den drei Dimensionen Ressourcen, Prozess und Effekte auf Markt und Geschäft zum Einsatz. Für jeden Marktteilnehmer wird ein DB-Innovationsindikator ermittelt. Diese Indikatoren werden nach gemeinsamer Abstimmung als Zuschlagskriterium angesetzt.

Finanzmittel einfordern

Gesetzliche Rahmenbedingungen machen der im europäischen Wettbewerb stehenden Bahnindustrie zu schaffen. Dass Erfolg in einem Konzern wie der Deutschen Bahn nicht alleine von Managementleistungen und dem Output der Mitarbeiter abhängt, zeigte Prof. Dr. Bernd Kortschak von der Universität Erfurt auf. In seinem Beitrag für die Kongressausgabe „Supply Chain Management – Railway“ fordert Kortschak die Gesetzgeber auf: „Lasst die Güterbahn doch endlich wieder innovativ sein, denn derzeit kann sie das nicht.“ Nach 25 Jahren müsse festgestellt werden, dass die EU-Richtlinie 440/91 nicht wie ursprünglich geplant zum signifikanten Anschub marktfähiger Produkte und einer höheren Wettbewerbsfähigkeit des Schienengütersektors geführt habe. Vielmehr habe der rechtliche Rahmen zur Umsetzung von ERTMS (European Rail Traffic Management System) und ETCS (European Train Control System) entlang der europäischen Korridore zu einer starken Zunahme zwingenden Rechts und als Folge zu einer Fragmentierung technischer Lösungen geführt. Negatives Beispiel seien erst kürzlich angeschaffte Lokomotiven, die kostspielig EDV-technisch aufgerüstet werden mussten, um den rechtlichen Anforderungen zu genügen. Zudem behindern laut Kortschak auch EU-Wettbewerbregeln für den Einzelwagenverkehr die Umsetzung marktfähiger Innovationen für Interoperabilität. Juristisch wäre einiges über die Rechtsprechung lösbar, meint jedenfalls Bernd Kortschak. Wenn allerdings niemand auf den Europäischen Gerichtshof zugehe, sei kein Spielraum für „lower prices“ und „improved efficiency“ zu erwarten.

Bahnsektor mit größtem Potenzial

Auch Bahn-CPO Uwe Günther unterstrich in seinem Abschlussplädoyer, dass die Bahnindustrie nicht auf Aktionen des Gesetzgebers warten könne: „Für mich ist auch das Vergaberecht ein großer Hemmschuh. Wir müssen dem Gesetzgeber Angebote und unsere innovativsten Ideen vorstellen, die dort dann schlichtweg nicht abgelehnt werden können. Dazu gehört auch, in einem offenen und fordernden Dialog Finanzmittel anzumahnen.“ Die Digitalisierung ist für Günther „die größte Chance seit vielen Jahren, die es unbedingt zu nutzen gilt, um das Gesamtsystem effizienter und effektiver zu machen. Erst wenn wir es schaffen, alle komplexen Kriterien beherrschbar zu machen, treten wir in echte Konkurrenz zum Flugzeug“. Bahn-CTO Rolf Härdi verwies auf konzertiertes Handeln: „Der Bahnsektor hat das größte Potenzial überhaupt für die Digitalisierung, mehr noch als der Automobilsektor. Ich bin mir aber nicht sicher, dass alle Beteiligten derzeit schon an einem Strang ziehen. Jeder macht etwas, aber jeder macht es selber. Wir müssen bei der Digitalisierung übergreifend agieren.“ Wie sich das erreichen lasse, liege derzeit noch nicht auf der Hand.


Die Veranstaltung

Die Lieferantenkonferenz der Bahnindustrie

Nächster Termin

Railway Forum: 1. und 2. Oktober 2019

Veranstalter: IPM AG, Institut für Produktionsmanagement, Hannover

Mehr Informationen:

railwayforumberlin.de


Sabine Ursel,
freie Journalistin

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