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Die neue Ökonomie der Beschaffung

Transformation des Einkaufs
Die neue Ökonomie der Beschaffung

Die neue Ökonomie der Beschaffung
In vielerlei Hinsicht hat die neue Ökonomie der Beschaffung Auswirkungen auf Kostenprojekte, Kostenstrukturen und die Ausgestaltung der Liefernetzwerke. Bild: Francesco Scatena/stock.adobe.com
Klimaziele, Sorgfaltspflichten, Inflation und Materialkrisen haben ein Umfeld geschaffen, in dem der Einkauf viele Zielkonflikte verhandeln muss. Im Balanceakt von Versorgung, Innovation, Kosten, Qualität, Nachhaltigkeit und Resilienz hilft ein Deep-Dive in die Warengruppenstruktur.

Multiple Krisen haben die Rahmenbedingungen für Unternehmen spürbar verändert. Aus der Pandemie und dem Ukrainekrieg entstanden Lieferengpässe und Preissteigerungen, die den Energie- und Materialzukauf deutlich verteuert und erschwert haben. Hinzu kommen die Klimakrise und die umwelt- und menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten. Auf Missstände in den Lieferketten wie moderne Sklaverei und Kinderarbeit hat der Gesetzgeber reagiert und die Lieferkettenverantwortung seit 2023 gesetzlich festgeschrieben. Die EU legt mit einer eigenen Regelung jetzt nach.

CO2 hat ein Preisschild

Aus dieser Komplexität ergeben sich Zielkonflikte: Es geht nicht mehr nur um die Balance eines Dreiecks aus Kosten, Qualität und Zeit. Es geht – in einem Sechseck – gleichzeitig um Nachhaltigkeit, Resilienz und Innovation.

Diese neue Ökonomie der Beschaffung hat Auswirkungen auf Kostenprojekte, Kostenstrukturen und die Ausgestaltung der Liefernetzwerke. Gleichzeitig ist sie die adäquate Reaktion auf Klimakrise, Geopolitik und Gesetzgebung sowie auf die Notwendigkeit die Liefernetzwerke nachhaltig und resilient umzugestalten.

Externalisierte Kosten einkalkulieren

Der Wandel wird durch die Regulatorik getrieben. In Deutschland gilt das Lieferkettengesetz als Auftakt für eine neue Art des Wirtschaftens, die die externalisierten Kosten in die Rechnung einbezieht. Die Verantwortung der Unternehmen wird mit der EU-Lieferkettenregulatorik deutlich ausgeweitet. Die Regelung gilt auch für die vorgelagerten Lieferketten und umfasst Klimaziele. Für die Umsetzung der Klimaziele spielt die EU-Taxonomie eine wichtige Rolle. Sie legt fest, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten als nachhaltig gelten und soll Kapitalströme entsprechend umlenken. Mit der ab 2025 geltenden Richtlinie zur nachhaltigen Berichterstattung (CSRD) kommen weitere Berichtspflichten. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung wird der finanziellen Berichtspflicht gleichgestellt und unterliegt einer externen Prüfung. Ein Instrument, um in Europa die Klimaziele zu erreichen, ist der Emissionshandel (EU-ETS). Dabei bildet sich der CO2-Preis als Knappheitspreis am Markt. 2022 wurde erstmals die 100 Euro-Marke für eine Tonne CO2-Äquivalent erreicht. Hinzu kommt die CO2-Steuer, die für fossile Brennstoffe bis 2025 in Deutschland auf 55 Euro je Tonne CO2-Äquivalent ansteigen soll. Das europäische CO2-Grenzausgleichssystem belegt seit Herbst 2023 auch die Emissionen importierter Rohstoffe und Vorprodukte mit einer CO2-Abgabe. Der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) betrifft Eisen, Stahl, Zement, Aluminium, Elektrizität, Düngemittel, Wasserstoff sowie bestimmte vor- und nachgelagerte Eisen- und Stahlprodukte. Ab 2026 sind die CBAM-Zertifikate für den Import verpflichtend. CO2 ist also längst mit einem Preisschild versehen. Und der Preis wird weiter steigen.

Kostenprojekte werden mehrdimensional

Unbestritten ist: Der moderne Einkauf ist sehr erfahren darin die Einkaufspreise mit der Materialqualität und Versorgung abzugleichen. Mit der ESG-Regulatorik und den Klimazielen versucht man nun einen Teil der externen Kosten zu internalisieren. Auch die Resilienz von Lieferketten erfordert eine neue Bewertung der Kosten und Risiken, die die ausgelagerte Wertschöpfung mit sich bringt. Damit werden Kostenprojekte im Einkauf mehrdimensional. Und sie brauchen, um optimale Entscheidungen daraus abzuleiten, einen crossfunktionalen und unternehmensübergreifenden Ansatz. Unbestritten ist auch: Für die Dekarbonisierung der Lieferketten spielt der Einkauf eine zentrale Rolle. Genauso wie für die Stabilität der Materialkosten. Wichtig ist es, die Abhängigkeiten zu verstehen. Dazu gehören Fragen wie:

  • Wo entsteht in den einzelnen Warengruppen der Großteil der Emissionen?
  • Welche dieser Emissionen lassen sich weitgehend kostenneutral reduzieren?
  • Welche Reduktionsmaßnahmen verursachen nur geringe Mehrkosten?
  • Für welche Hebel sind aufwändige Umstellungen, Innovationen im Produktdesign, bei der Materialauswahl, in den Fertigungsprozessen und weitere knappe grüne Energiequellen nötig? Und: Wie werden diese Mehrkosten entlang der Wertschöpfungskette verteilt?

Woher kommen Ihre Ausgaben?

Die Abhängigkeiten werden in kleinen, überschaubaren Pilotprojekten greifbar. Nachfolgend ist exemplarisch das Vorgehen für eine CO2-Initiative skizziert:

1. Über eine zunächst spendbasierte Scope-3 Ermittlung und eine CO2-Hotspot-Analyse werden Pilotlieferanten ausgewählt.

2. Der Projektbetrieb startet mit einer Brainstorming-Phase zur Sammlung von Ideen zur CO2-Reduzierung. Um die richtige Absprungbasis zu definieren, werden im Vorfeld Reifegrad der bisherigen Nachhaltigkeitsaktivitäten sowie die Klimaperformance ermittelt.

3. Die Ideen werden im nächsten Schritt in quantifizierbare Initiativen überführt, deren Machbarkeit bewertet und ein Umsetzungszeitrahmen für die Maßnahmen festgelegt wird. Im besten Fall dient ein Product Carbon Footprint zur Dokumentation des Ist-Zustandes (vorher)

4. Der Maßnahmenfortschritt wird dokumentiert, die Ergebnisse in einem Härtegradmodell festgehalten, die PCF-Kalkulation aktualisiert und die Einsparungen ermittelt (nachher).

5. Das Wissen und die Erfahrungen werden festgehalten und auf Folgeprojekte übertragen.

Woher die Emissionen?

Je mehr Faktoren in Beschaffungsentscheidungen einfließen, desto wichtiger ist Transparenz, sowohl bezogen auf die Kosten, als auch – im Fall der Klimaziele – auf die Emissionen. Im Idealfall liegen wie oben beschrieben nicht nur unternehmensbezogene, sondern auch materialbezogene Emissionsdaten vor. Hierfür gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  • Die Chemiebranche hat einen eigenen Standard zur Berechnung des Product Carbon Footprint (PCF) entwickelt.
  • Andere Branchen und Unternehmen nutzen die Metrik der ISO 14067.
  • Das Greenhouse Gas Protocol (GHG) für die CO2-Bilanzierung von Unternehmen wird ebenfalls zur Produktbilanzierung herangezogen.

Doch längst sind nicht alle Lieferanten „reif“ genug, ihre Emissionen produktbezogen berechnen zu können. Viele insbesondere mittelständische Firmen steigen jetzt erst in die zunächst unternehmensbezogene Bilanzierung ein.

Lässt sich beides senken?

Der Druck auf die Unternehmen in der Transformation ist hoch. Hohe Energie- und Materialpreise lasten auf den Ergebnissen und wirken sich in vielen Branchen auf die Nachfrage aus. Angesichts steigender Kosten und Zukaufquoten von 70 Prozent und mehr wird der Einkauf auch künftig nicht nur als Nachhaltigkeits-, sondern weiterhin als zuverlässiger Kostengarant gebraucht. Damit das funktioniert, müssen Kosteninitiativen an die neuen Anforderungen angepasst werden. Der größte Unterschied ist, dass Unternehmen sich mit Lieferanten, im Idealfall mit mehreren Wettbewerbern, deutlich früher als bislang an einen Tisch setzen und die Potenziale gemeinsam erarbeiten müssen. Die Betrachtungen brauchen eine langfristige Perspektive, Lieferanten entsprechend langfristige Verträge. Der Grund: Die für die Transformation notwendigen Innovationssprünge – auch kostenseitig – entstehen vor allem aus dem gegenseitigen Verständnis der Geschäftsmodelle.

Transformationskosten verhandeln

Aus den Leuchtturmprojekten entstehen weitere Kosten- und Nachhaltigkeitsinitiativen. Der ganzheitliche Blick ist entscheidend. Die Lösungen stecken in Fertigungsprozessen, im Produktdesign, in der Logistik. Die Ideen entstehen im Austausch. Gleiches gilt für die Gestaltung resilienter Lieferketten und die mit Regionalisierung und Diversifizierung verbundenen Mehrkosten. Auch dieser Widerspruch lässt sich nur im Austausch und in einer gemeinsamen Strategie der kleinen Schritte auflösen.

Grundlegend für die Strategieentwicklung sind Kostenstrukturanalysen in Kombination mit Risiko- und Nachhaltigkeitsbetrachtungen. Die Analysen zeigen, wo Kosten, Emissionen und Risiken entstehen und zeigen die Abhängigkeiten. Voraussetzung ist ein systematisches Warengruppenmanagement und ein unternehmensweit harmonisierter, detaillierter Warengruppenschlüssel. Der Strategieprozess schafft den notwendigen Überblick über die Ausgabenverteilung der Vergangenheit und die künftige Nachfrage in den Warengruppen. Materialkosten, Risiken und Emissionen werden in Warengruppendossiers systematisch zusammengefasst und bewertet.

Sind die Kriterien und Ziele in der Warengruppenstrategie festgelegt, lassen sie sich in Initiativen und Vergabeprojekten gegeneinander abwägen: Starten Sie mit überschaubaren Piloten (siehe oben), sammeln Sie Erfahrungen und gehen Sie die Veränderungen schrittweise an.

Wichtig: Kostenstrukturanalysen

Die Ergebnisse der Warengruppenstrategie und aus den Kosten- und Nachhaltigkeitsprojekten münden in eine nachhaltige Lieferantenstrategie und Weiterentwicklung der Lieferantenbasis. Auch hierfür ist zum Start ein Deep Dive mit einzelnen Firmen sinnvoll:

  • Mit den Schlüssellieferanten alle Wertschöpfungsstufen anschauen.
  • Gemeinsame Analyse der Kosten- und Emissionsstrukturen.
  • Risiken bewerten.
  • Handlungsoptionen, um Risiken, Emissionen und Kosten zu reduzieren, erarbeiten.

Bild: amc

Das Zukunftswerkstatt Summit am 13. März 2024 in Bonn setzt den Diskurs um die „Neue Ökonomie der Beschaffung“ in interaktiven Vortrags- und Workshopformaten fort und begleitet Einkauf & SCM bei der Transformation.

Anmeldung: zukunftswerkstatt-einkauf.de


Die Hebel für die Transformation

  • Analyse: Im Warengruppenstrategieprozess werden Beschaffungsmärkte, Länderrisiken, Technologietrends, Preisentwicklung und der Status der Transformation (Umsetzung der Klimaziele, Reduktionsmaßnahmen im Landes- und Wettbewerbsumfeld) intensiv beleuchtet. Aus den Erkenntnissen leitet sich die angepasste Warengruppenstrategie ab.
  • Gesprächsbasis: Mit einer ausgearbeiteten Warengruppenstrategie ist der Einkauf auf Transformationsgespräche optimal vorbereitet und kann Nachhaltigkeits- und Kostenziele gegenüber Lieferanten realistisch adressieren.
  • Optionen: Wer die Beschaffungsmärkte, die Preisentwicklung und den Reifegrad der Unternehmen im Hinblick auf die Transformation (Klimaziele, Maßnahmen zur Reduktion) und die Länderrisiken von Warengruppen kennt, kann mit strategischen Lieferanten auf partnerschaftlicher Ebene die besten Handlungs- und Preisoptionen erarbeiten.
  • Relevanz: Der Strategieprozess erlaubt es Warengruppen, Untergruppen und relevante Artikel in einer Kraljic-Matrix nach Relevanz der Warengruppe und Komplexität des Beschaffungsmarktes in Hebel- und Engpassmaterialien, strategische und kritische Materialien zu unterteilen und hieraus die entsprechenden Maßnahmen abzuleiten.
  • Nutzen: Die Erfahrungen zeigen: Das strategische Warengruppenmanagement hilft durch die Erkenntnisse auch bei der Sicherstellung der Versorgung und dem Aufbau resilienter Lieferketten.

Bild: amc

Georg Rinkens

amc Group


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