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Können Chatbots die Materialwirtschaft verändern?

Untersuchung des Potenzials von ChatGPT bei der Bestellmengenplanung
Können Chatbots die Materialwirtschaft verändern?

Aufgrund des raschen Fortschritts von Künstlicher Intelligenz (KI) stellt sich auch in der Materialwirtschaft die Frage, welche Aufgaben weiter automatisiert werden können. Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Chatbot ChatGPT und der Frage, wie gut Chatbots aktuell die Bestellmengenplanung unterstützen können.

KI, die menschliche Fähigkeiten wie Lernen und logisches Denken nachahmt, zieht aktuell in Wissenschaft und Praxis viel Aufmerksamkeit auf sich. So zeigt sich etwa seit 2010 ein drastischer Anstieg an KI-Patenten sowie ein weltweit erzielter Umsatz in Höhe von 383,3 Mrd. US-Dollar im Jahr 2021. Die Adaption von KI wirft jedoch auch Fragen bezüglich der Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt auf. Es wird geschätzt, dass ungefähr zwei Drittel aller Arbeitsplätze von Automatisierung durch generative KI betroffen sein werden.

Auch in der Materialwirtschaft stellt sich daher die Frage, welche Aufgaben künftig durch KI übernommen werden können. Eine zentrale Funktion der Materialwirtschaft ist die Bestellmengenplanung, die Bestellmengen und -zeitpunkte für die Wiederbefüllung des Lagers festlegt. Unternehmen verwenden für die Bestellmengenplanung in der Regel fertige Softwarelösungen, die Zugriff auf unterschiedliche mathematische Verfahren mit variierender Komplexität und Rechenintensität bieten. Inwiefern sich KI für eine Automatisierung von Aufgaben in diesem Bereich eignet, wurde bislang noch nicht strukturiert erforscht.

Dieser Beitrag untersucht daher, inwiefern Chatbots bei der Bestellmengenplanung eingesetzt werden können. Betrachtet wird ein aktuell intensiv diskutierter Chatbot: ChatGPT von OpenAI. ChatGPT kann natürliche Sprache verarbeiten und generieren sowie komplexe Zusammenhänge erfassen, um auf Nutzereingaben relevante und kohärente Antworten zu liefern.

Bestellmengenplanung im Test

Im Rahmen umfangreicher Tests wurde untersucht, wie gut ChatGPT die Bestellmengenplanung unterstützen kann (die ausführlichen Tests können bei den Autoren des Beitrags angefragt werden). Zu diesem Zweck wurde eine Reihe an Verfahren zur Bestellmengenplanung ausgewählt, die in zahlreichen betrieblichen Anwendungssystemen enthalten sind. Hierbei wurde strukturiert geprüft, ob ChatGPT in der Lage ist, aufbauend auf einer verbalen Beschreibung einer Bestellsituation die Modelle korrekt zur Anwendung zu bringen und Bestellmengen fehlerfrei zu berechnen. Gelingt dies, so könnten Chatbots zu einer Vereinfachung von Prozessen in der Materialwirtschaft beitragen, da Mitarbeiter Bestellmengen auch mit geringer Modell- oder Systemkenntnis ermitteln könnten.

Insgesamt wurden vier unterschiedliche Tests durchgeführt. Im ersten Test wurden dem Chatbot lediglich allgemein formulierte Aufgaben übergeben. Zur potentiellen Verbesserung der Ergebnisse wurden in einem weiteren Test strukturiertere Anfragen übergeben (Prompt Engineering) und die Veränderungen der Ergebnisse untersucht. Um den Einfluss der verwendeten Sprache auf das Ergebnis auszuschließen, wurde außerdem auf mögliche Unterschiede der Antworten des Chatbots bei Übermittlung der Anfragen auf Deutsch und Englisch getestet. Im letzten Test wurde Wolfram Alpha als mathematisches Backend verwendet, auf das ChatGPT für mathematische Berechnungen zurückgreifen kann. Die Interaktion mit Chatbot während der Tests erfolgte im Interview-Stil. Dadurch bestand die Möglichkeit, auf Antworten des Systems zu reagieren und bei nicht zufriedenstellenden Antworten nachzufragen oder weitere Informationen zur Verfügung zu stellen.

Ergebnisse der ChatGPT-Tests

ChatGPT ist in der Lage, Probleme der Bestellmengenplanung zu verstehen, wenn genügend Kontextinformationen vorhanden sind. Allerdings treten häufig Probleme bei Berechnungen auf, die umso schwerwiegender sind, je mehr mathematische Operationen (Addition, Subtraktion usw.) durchgeführt werden müssen. Bei der Überprüfung dieser fehlerhaften Berechnungen konnten keine Muster erkannt werden, die auf mögliche Fehlerursachen hinweisen. Die Anwendung von Prompt Engineering sowie die Verwendung von Anfragen auf Englisch hatten zudem nur einen geringen Einfluss auf die Fähigkeit, die korrekte Bestellmenge für eine gegebene Auftragssituation zu berechnen. Die Verwendung des Wolfram Alpha Plug-ins verbesserte die Rechenfähigkeiten von ChatGPT jedoch erheblich und ermöglichte es, in einigen Tests die korrekte Bestellmenge zu berechnen.

Insgesamt konnte ChatGPT bei neun von insgesamt 13 Tests die korrekten Bestellmengen nicht ermitteln und lieferte in einigen Fällen Ausgabewerte mit großen Abweichungen von der korrekten Lösung. Bei nur drei von insgesamt 13 Tests konnten die korrekte Bestellmengen ermitteln werden (Gesamtgenauigkeit = 23,08 %). Dabei ist zu beachten, dass in all diesen Fällen ein menschliches Eingreifen notwendig war und anfängliche Fehler im Verständnis und in der Berechnung der Aufgabe auftraten.

Potential und die Grenzen

Die durchgeführten Tests liefern einen Einblick in das Potential und die Grenzen von aktuellen Chatbots im Kontext der Materialdisposition. Die Testergebnisse verdeutlichen, dass die erzeugten Ausgaben unbedingt einer kritischen Überprüfung unterzogen werden sollten. Es zeigt sich, dass Nutzerangaben oft falsch interpretiert, Bestellmengenmodelle fehlerhaft auf die Bestellsituation angepasst und Rechenoperationen nicht korrekt durchführt wurden. Im Rahmen der Tests wurden verschiedene Strategien getestet, um die Qualität der Ergebnisse zu verbessern (z. B. Prompt Engineering und die Verwendung eines mathematischen Plug-ins). Jedoch konnten auch mithilfe dieser Strategien die grundlegenden Probleme beim mathematischen Verständnis der Aufgabe nicht vollständig gelöst werden.

Einsatzgebiet Einarbeitung

Die Ergebnisse legen nahe, dass ChatGPT in seiner derzeitigen Form und ohne spezielle Anpassungen und Hilfestellungen nicht für die Ermittlung von Bestellmengen geeignet ist. Auch wenn es mitunter gelingt, durch Nutzereingriffe eine korrekte Bestellmenge zu ermitteln, ist die Nutzung in diesem Zusammenhang nicht praktikabel, da entsprechend geschulte Mitarbeiter mit Rückgriff auf klassische Softwareprodukte schneller und zuverlässigere Ergebnisse liefern können. Eine wichtige Aufgabe für weitere Forschungsarbeiten scheint damit die bessere Vorbereitung von LLMs auf Optimierungsaufgaben zu sein. Ein vielversprechender Ansatz könnte die Entwicklung spezialisierter Chatbots sein, die gezielt auf die Lösung mathematischer Probleme ausgerichtet sind.

Es bleibt zu betonen, dass KI-Modelle stetiger Weiterentwicklung unterliegen und zunehmend für neue Anwendungsbereiche eingesetzt werden. Demnach sollte trotz der aufgezeigten Probleme das Potenzial von Chatbots im Bereich der Materialdisposition weiterhin überprüft werden. Ein interessantes Einsatzgebiet könnte hierbei etwa die Einarbeitung und Schulung von neuen Mitarbeitern sein.


Large Language Models

Large Language Models (LLMs) sind Modelle des maschinellen Lernens, die auf umfangreichen Textkorpora trainiert werden, um menschliche Sprache zu verstehen und zu generieren. LLMs finden Anwendung in einer Vielzahl von Bereichen, darunter Textgenerierung für Chatbots, Textklassifizierung für Spamfilter, maschinelle Übersetzung, oder Bild- und Spracherkennung. Trotz ihrer Vorteile gibt es auch Herausforderungen wie Vorurteile in den Trainingsdaten, unangemessene Ergebnisse und Datenschutzbedenken.


OpenAI/ChatGPT

Das Unternehmen OpenAI ist auf generative Künstliche Intelligenz im Bereich Bild und Sprache spezialisiert und entwickelt unter anderem das LLM GPT, auf das der Chatbot ChatGPT zugreift.


Bild: TU Darmstadt

Simon Neugebauer

Student, Technische Universität Darmstadt


Bild: TU Darmstadt

Prof. Dr. Christoph Glock

Leiter des Fachgebiets Produktion und Supply Chain Management, Technische Universität Darmstadt


Bild: TU Darmstadt

Julian Best

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Produktion und Supply Chain Management, Technische Universität Darmstadt

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