An die offenliegenden Schwachstellen globaler Lieferketten und wirtschaftlicher Abhängigkeiten haben sich Unternehmen auch in Deutschland seit Beginn der Coronapandemie leidlich gewöhnt. Doch geht es zunehmend nicht mehr nur darum, für Betriebsabläufe benötigte Rohstoffe, Waren und Produkte möglichst zum günstigsten Preis zu beschaffen. Der Faktor Unternehmensverantwortung in puncto Nachhaltigkeit gewinnt ebenfalls stark an Bedeutung. Und das aus mehreren Gründen: Laut der repräsentativen Studie „GfK Nachhaltigkeitsindex Mai 2022“ sind etwa 68 Prozent der Deutschen der Ansicht, dass Unternehmen nachhaltig handeln sollten. In der „Global Investor ESG Survey“ von PwC für 2021 geben auch die meisten Investoren (79 Prozent) an, bei Geldanlagen auf ESG-Aspekte (Environmental Social Governance) zu achten. Und gesetzliche Regelungen wie das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) nehmen Betriebe in die Pflicht, mehr auf Mensch und Umwelt zu schauen.
Langfristiger Erfolg ist also maßgeblich abhängig von beiden Parametern: von stabilen Lieferketten und Nachhaltigkeit. Das Procurement verfügt über die nötigen Hilfsmittel, um hier einen wesentlichen Beitrag zu leisten.
So gelingen Transparenz und Nachhaltigkeit
Doch was braucht es im Einkauf, um das Unternehmen nachhaltig auf die Erfolgsspur zu bringen? Zunächst die richtige Technologie. Beispiel LkSG: Es gilt ab dem 1. Januar 2023 erst für Unternehmen ab 3000 Mitarbeitenden, ab 2024 schließlich auch für Firmen ab 1000 Beschäftigten. Diese Betriebe sind dann angehalten, ein Risikomanagement zu etablieren, um die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz entlang der Lieferkette zu erfassen und Risiken zu minimieren. Die bindenden Mitarbeitendenzahlen können dabei täuschen: Wenn große Unternehmen ihre Supply Chain durchleuchten, müssen voraussichtlich auch viele kleinere Betriebe – etwa Zulieferer – Auskunft über ihre Nachhaltigkeit geben (können). Ob die Voraussetzungen dafür geschaffen sind, ist zumindest fraglich: Das Monitoring zum Umsetzungsstand des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte 2016–2020 stellte etwa fest, dass bis vor Kurzem mehr als 80 Prozent der in Deutschland ansässigen Unternehmen ab 500 Beschäftigten nicht genug auf menschenrechtliche Aspekte achten.
Den Horizont erweitern, einheitliche Lösungen finden
Die Digitalisierung kann Firmen respektive dem Einkauf hier unter die Arme greifen. ERP-(Öko-)Systeme wie S/4 HANA und Beschaffungslösungen wie SAP Ariba helfen ihnen, ihre Lieferketten inklusive der angeschlossenen Geschäftspartner umfassend im Blick zu behalten. So können sie leichter die geforderte Transparenz herstellen. Das System gibt zum Beispiel automatisch Warnungen aus, sollte ein Lieferant ein Risiko darstellen. Grundlage dafür bilden unter anderem Daten aus Nachrichten und von Behörden.
Nachhaltigkeit ist in der Beschaffung sehr breit gefächert: Sie zieht sich durch nahezu alle Spend-Kategorien. Mal ist das Thema CO2 in Verbindung mit Lieferanten besonders bedeutsam. In diesem Fall kommt es darauf an, die CO2-Bilanz von (zukünftigen) Geschäftspartnern möglichst auf einer zentralisierten Plattform zu sammeln und basierend auf diesen Informationen nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Doch auch im Bereich Reise- und Ausgabenmanagement (Travel & Expense) spielt die Frage der Nachhaltigkeit eine Rolle. Lediglich die billigste Reisemöglichkeit zu suchen, ist nicht mehr zeitgemäß. Zudem ist die Suche über separate Apps und Portale nicht sonderlich effizient. Der intelligente Einkauf von morgen setzt daher auf einheitliche Lösungen, die nicht nur sämtliche verfügbaren Verkehrsmittel bündeln und dabei ebenso umweltschonendere Optionen wie E-Scooter und Carsharing beinhalten. Die Software bindet auch künstliche Intelligenz (KI) ein, um jederzeit die optimale Route samt Beförderungsmittel zu ermitteln. So lassen sich Kosten, Zeitaufwand und Umweltbelastung reduzieren.
Rascher und sicherer entscheiden
Künstliche Intelligenz ist ohnehin ein Zukunftstrend im Procurement und kann auch in klassischen Einkaufsprozessen zum Einsatz kommen. Zum einen, um Entscheidungen schneller, aber ebenso fundierter zu treffen. In einer volatilen Welt wie der heutigen sind Geschwindigkeit und Agilität Grundvoraussetzungen für Erfolg. Treten unvorhergesehene Ereignisse ein – zum Beispiel ein harter Lockdown in der Region eines wichtigen Zulieferers –, sind jene Unternehmen im Vorteil, die unmittelbar reagieren können. KI kann in solchen Fällen wertvolle Entscheidungshilfe bieten, indem sie entsprechende Daten kontinuierlich auswertet.
Zum anderen kann smarte Technologie auch die Mitarbeitenden im Einkauf unterstützen. Ein wichtiger Aspekt, nicht zuletzt aufgrund des Fachkräftemangels und entsprechend unbesetzter Stellen. Guided Buying erleichtert es beispielsweise, Waren und Dienstleistungen zu beschaffen, sodass auch Personen außerhalb des Einkaufs dies bei Bedarf erledigen können. Das entlastet den Einkauf und hilft außerdem, Maverick Buying beziehungsweise dessen negative Begleiterscheinungen wie mangelnde Transparenz zu vermeiden. Analog dazu bietet KI-gestütztes Guided Sourcing dem Procurement selbst Vorteile: Die Algorithmen können etwa aktuell geltende weltweite Handelsbeschränkungen berücksichtigen und dem Team der Beschaffung die Entscheidungsfindung erleichtern. Voraussetzung für solche Anwendungsfälle: eine IT-Struktur, die es erlaubt, Daten umfassend zu erheben, und eine Softwarelösung, die sie effektiv auswertet und zielgerichtet weiterverwertet.
Das Procurement-Mindset von morgen
Es wird deutlich, wie sehr sich die Rolle des Einkaufs gegenwärtig ändert. Von der Nachhaltigkeit bis zur Resilienz: Der Einkauf kann ein Unternehmen maßgeblich mit formen. Doch damit das gelingt, muss sich auch das Mindset anpassen. So sieht es auch Kai Nowosel, CPO von Accenture, einem internationalen Unternehmen für professionelle Dienstleistungen. Das Unternehmen setzt einerseits ebenfalls auf smarte Procurement-Lösungen wie SAP Ariba, um den Einkauf zu optimieren. Andererseits betont Nowosel, dass sich die Mentalität ebenfalls weiterentwickeln müsse. CPOs sollten sich nicht nur darauf fokussieren, Kosten zu optimieren, sondern auch die neuartige Rolle des Einkaufs sowie des Unternehmens ernst nehmen und vorleben. Das ist auch für die zukünftige Entwicklung von Betrieben relevant. Denn junge Talente achten vermehrt auf Aspekte wie Nachhaltigkeit bei potenziellen Arbeitgebern. Damit gewinnt die Thematik im Kontext der Personalentwicklung an Gewicht. Für Nowosel sind Beschäftigte im Einkauf in Zukunft somit auch mehr Business Manager denn Sourcing Manager.
Das Procurement als zentrale Geschäftseinheit: Dieser Trend wird sich künftig weiter verstärken. Zukunftsgerichtete Technologien und Herangehensweisen sind der Schlüssel, um ihn zum Erfolgsfaktor zu machen.
Die Autorin: Ellen Förster, SAP SE
Senior Vice President der SAP Intelligent Spend & Business Network, Mittel- und Osteuropa, über die neuen Anforderungen an den Bereich Procurement.
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Donnerstag | 06.10.22 | 10:00 – 11:00 Uhr
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