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Das neue Vergaberecht 2016

Gesetzesänderung seit Mitte April in Kraft
Das neue Vergaberecht 2016

Die Modernisierung der Rechtsvorschriften, die für die Vergabe öffentlicher Aufträge gelten, ist abgeschlossen. Jetzt soll alles einfacher, transparenter und innerhalb der Europäischen Union einheitlicher werden.

Der Europäische Gesetzgeber hat bereits im Jahr 2014 ein ganzes Paket zur Modernisierung des Vergaberechts vorgelegt. Jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) war aufgefordert, die drei zentralen Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen bis zum 18.  April 2016 in nationales Recht umzusetzen. „Just in time“ hat der deutsche Gesetzgeber das bestehende Vergaberecht angepasst und die Neuregelungen zum Stichtag im April in Kraft gesetzt. „Die Vergaberechtsmodernisierung ist das größte vergaberechtliche Gesetz- und Verordnungsgebungsverfahren seit 2004“, lässt das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) verlautbaren. Trotzdem gibt es keine Übergangsregelungen für den „sanften“ Umstieg auf das neue Recht, Einkäufer und Bieter müssen sich vielmehr von einem auf den anderen Tag umstellen.

Schwellenwerte
Betroffen davon sind hauptsächlich die Unternehmen der öffentlichen Hand. Die neuen Vorschriften, die in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) integriert sowie in diversen Verordnungen enthalten sind, gelten dann, wenn der Wert des zu vergebenden Auftrages oberhalb des sogenannten Schwellenwertes liegt. Für die Mehrzahl der öffentlichen Beschaffer in Behörden, Kommunen und Ministerien in Deutschland liegt der Schwellenwert für Liefer- und Dienstleistungsaufträge derzeit bei 209 000 Euro, für Bauleistungen bei 5,225 Mio. Euro. Für den sogenannten Sektorenbereich, also zum Beispiel für Energieversorger, Trinkwasserversorger, Stadtwerke und Verkehrsbetriebe, gelten aktuell 418 000 Euro. Alle zwei Jahre passt die EU-Kommission die Werte neu an.
Die gesetzlichen Regelungen sollen dafür sorgen, dass alle Anbieter fair und gleich behandelt werden. Die Vergabe eines Auftrages soll transparent sein und auf festen, nachvollziehbaren Regeln beruhen. Größere Aufträge sind deshalb öffentlich auszuschreiben. So will man sicherstellen, dass die Gelder nicht verschwendet, sondern wirtschaftlich eingesetzt werden und Korruption keine Chance hat. Die aktuelle Reform will nun EU-weit einheitliche Standards für öffentliche Aufträge schaffen und setzt dabei auf Vereinfachung, Transparenz und Digitalisierung.
E-Vergabeportale
Die Kommunikation zwischen Auftraggeber und Bieter soll seit dem 18. April 2016 grundsätzlich elektronisch erfolgen. In einem ersten Schritt trifft diese Pflicht vor allem die öffentlichen Einkäufer. „Die Vergabeunterlagen müssen vollständig und kostenlos im Internet abrufbar sein, ohne dass erst eine umständliche Anmeldeprozedur durchlaufen oder eine qualifizierte elektronische Signatur verwendet werden muss“, heißt es dazu aus dem Wirtschaftsministerium. Zudem müssten die Vergabeausschreibungen auf einem weltweit zugänglichen Portal, nämlich ted.europa.eu, veröffentlicht werden, sodass nicht mehr aufwendig recherchiert werden muss. „Bund und Länder haben ergänzend benutzerfreundliche E-Vergabeportale geschaffen, zum Beispiel www.evergabe-online.de“, erläutert das BMWi. Spätestens ab dem 18. Oktober 2018 muss dann in einem zweiten Schritt das gesamte Verfahren elektronisch ablaufen, somit auch ein Bieter sein Angebot auf elektronischem Wege abgeben.
Gleichbehandlung und Bevorzugung
Nachhaltigkeitsaspekte sollen künftig bei der Vergabe von Aufträgen eine größere Rolle spielen. „Auftraggeber haben nunmehr zahlreiche Möglichkeiten, um solche Bieter zu bevorzugen, deren Dienstleistungen besonders umweltgerecht oder sozialadäquat sind“, erläutert Rechtsanwalt Dr. Michael Sitsen, Experte für öffentliches Wirtschaftsrecht in der Düsseldorfer Kanzlei Orth Kluth. Hier können auch beschäftigungspolitische Aspekte eine Rolle spielen. Allerdings müssten alle Ausschreibungsbedingungen und Anforderungen an die Bieter verhältnismäßig sein, dürfen diese also nicht unangemessen benachteiligen. „Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist als neues Grundprinzip ganz zentral im Vergaberecht verankert.“ Darin dürfte zukünftig eine besondere Herausforderung für den rechtssicheren Einkauf liegen.
Daneben gibt es zahlreiche neue Instrumente und Methoden, die Auftraggeber bei Ausschreibungen einsetzen können, beispielsweise elektronische Auktionen, elektronische Kataloge, dynamische Beschaffungssysteme oder Innovationspartnerschaften. „Ein besonderes Anliegen der Reform sind die Instrumente, die einen strategischen, innovativen und nachhaltigen öffentlichen Einkauf ermöglichen“, sagt Dr. Christoph Feldmann, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME). „Die Umsetzung dieser Ziele wird für den Einkauf im öffentlichen Sektor, der insgesamt immer noch operativ aufgestellt ist, eine große Herausforderung.“ Der Einkauf müsse sich intern positionieren, Standards definieren und sicherstellen, dass er frühzeitig in die Bedarfsplanung mit eingebunden werde. „Das öffentliche Beschaffungswesen entwickelt sich weg von der reinen Bestellfunktion, hin zu einer strategischen Schlüsselfunktion.“
Postdienstleistungen
Für bestimmte Postdienste, wie zum Beispiel Post- und Kurierdienste, Briefpostdienste und Paketpostdienste, gilt seit Mitte April 2016 ein abweichender Schwellenwert von 750 000 Euro. „Erst ab diesem Auftragswert müssen die Postdienstleistungen überhaupt europaweit ausgeschrieben werden“, erläutert Vergaberechtler Sitsen. „Bislang war dies bereits ab 209 000 Euro erforderlich.“
Bietereignung
Einkäufer in privaten Unternehmen sind von den Neuregelungen nicht betroffen. Ihre Kollegen im Vertrieb, die sich um öffentliche Aufträge bemühen, hingegen schon. „Künftig müssen die privaten Unternehmen für die Beteiligung an Ausschreibungen Erklärungen dazu abgeben, dass bestimmte Ausschlussgründe nicht vorliegen, beispielsweise wettbewerbsbeschränkende Absprachen, schwere berufliche Verfehlungen oder erhebliche Schlechtleistungen bei früheren öffentlichen Aufträgen“, so Sitsen. „Geben sie diese Erklärung nicht ab, droht der Ausschluss von der Ausschreibung.“ Man kann sich nun allerdings durch besondere Maßnahmen von solchen Verfehlungen „reinwaschen“ oder auf die Verjährung hoffen. Verjährungsfristen sind jetzt gesetzlich festgeschrieben und liegen zwischen drei und fünf Jahren. Für die Beschaffer im öffentlichen Sektor wird es durch diese sogenannte Einheitliche Europäische Eigenerklärung (EEE) einfacher, die Eignung eines Bieters zu prüfen, da das Gesetz die Erklärung vorstrukturiert.
Noch gibt es recht viele öffentliche Aufträge, die aufgrund der Schwellenwerte nicht unter die neuen Vorschriften fallen. Es wird aber bereits überlegt, einige Grundsätze des modernisierten Rechts bald auch auf unterschwellige Vergaben auszudehnen – jetzt, wo aus Sicht des Gesetzgebers alles neu, schön und rund ist im Vergaberecht.

Eckpunkte des neuen europäischen Vergaberechts

Kurzgefasst

  • Ausschreibung (ab 2016) und Angebote (ab 2018) müssen auf elektronischem Wege erfolgen.
  • Alle zu vergebenden Aufträge müssen online recherchierbar sein.
  • Auftraggeber können zwischen offenem und nicht offenem Verfahren, bei dem zunächst die Eignung der Bieter geprüft wird, wählen.
  • Die Ausschreibungsbedingungen dürfen Bieter nicht unangemessen benachteiligen.
  • Alle Bieter müssen eine Einheitliche Europäische Eigenerklärung (EEE) abgeben.
  • Für soziale Dienstleistungen, zum Beispiel die Integration arbeitsuchender Menschen, gilt ein erleichtertes Vergabeverfahren.
  • Alle Auftragnehmer sind zur Einhaltung umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlicher Standards verpflichtet.

  • Anja Falkenstein, Rechtsanwältin, Karlsruhe
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