Die kanadische Regierung will in den nächsten zehn Jahren 180 Mrd. kanadische Dollar (kan$; 124 Mrd. Euro; 0,66 Euro = 1 kan$) in die Verkehrsinfrastruktur, die Energieversorgung, den Wassersektor und den staatlichen Wohnungsbau investieren. Dies bietet Geschäftschancen für deutsche Unternehmen unter anderem aus den Branchen Maschinen- und Anlagenbau sowie Umwelttechnik, da Kanada hier zum Teil stark auf Importe angewiesen ist.
Die starke Abhängigkeit vom Rohstoffsektor, die auch auf andere Schlüsselbranchen wie den Maschinen- und Anlagenbau oder den Transportsektor ausstrahlt, birgt in Phasen mit schwacher Rohstoffnachfrage und niedrigen Weltmarktpreisen große Risiken. So ist das jahrelange Zugpferd der kanadischen Wirtschaft, die Provinz Alberta, infolge des Ölpreisverfalls in die Rezession geschlittert. Eine vergleichbare Situation stellt sich beim Außenhandel dar. Eine konjunkturelle Schwächephase beim wichtigsten Handelspartner USA kann zu enormen Verwerfungen im nördlichen Nachbarland führen. So hatte die US-Immobilienkrise zu einem Nachfrageeinbruch bei Bauholz aus Kanada um 44 Prozent zwischen 2007 und 2009 geführt. Kanada nimmt in den internationalen Standort-Rankings meist einen Platz unter den ersten zwanzig Ländern ein. Zu den Vorteilen zählen die hohe Flexibilität des Arbeitsmarktes und die Stabilität des Finanzsektors.
Gute und schlechte Noten
Gute Noten erhält das Land zudem für Dauer und Aufwand der Firmengründung, das stabile politische und gesellschaftliche Umfeld, das transparente und effiziente Rechtssystem sowie die geringe Korruption. Als Standortnachteil gilt die geringe Innovationskraft sowie Defizite bei Forschung und Entwicklung – insbesondere die Zusammenarbeit von Forschungseinrichtungen und freier Wirtschaft. Zudem hinkt Kanada bei der Produktivität hinter Konkurrenten wie USA und Mexiko hinterher und das bremst auch Investitionen aus dem Ausland. Durch hohe Lohnstückkosten hat Kanada als Fertigungsstandort in den vergangenen Jahren gegenüber den beiden anderen NAFTA-Ländern deutlich an Boden verloren. Der Abbau von Zöllen, die geplante gegenseitige Anerkennung von Industriestandards sowie die Öffnung des öffentlichen Auftragswesens dürften den Wirtschaftsbeziehungen zum zweitgrößten Flächenstaat der Erde neuen Schub verleihen. Nach Angaben der EU-Kommission könnte beispielsweise durch CETA das bilaterale Handelsvolumen bei Waren und Dienstleistungen EU-weit um 23 Prozent steigen. Europäische Unternehmen würden infolge des Zollabbaus jährlich rund 470 Mio. Euro einsparen.
Branchen suchen neue Technologien
Automatisierung, Nutzung nachhaltiger Ressourcen und energieeffiziente Produktion sind die Themen in vielen Produktmärkten Kanadas. Zu Teilen hindert dies Investitionen in etablierte Industrien, gleichzeitig steigt der Bedarf an innovativen Anwendungen wie 3D-Druck, Produktionsdatenerhebung und -auswertung, Telemedizin oder Fintech. Von der Erholung des Rohstoffsektors, allen voran im Öl- und Gasgeschäft, profitiert auch das Geschäft der Zulieferer.
Nach Aussagen von Unternehmen und Analysten werden über 50 Prozent der produzierenden kanadischen Firmen in den nächsten drei Jahren Investitionen in energieeffiziente Ausrüstungen und automatisierte Prozesse tätigen. Bei den Technologien sind vor allem rechnerunterstützte Konstruktion (CAD), Entwicklung (CAE) und Fertigung (CAM) gefragt. Zudem werden Instrumente zur Datenerfassung im Maschinenbau wichtiger. Nur etwa ein Drittel der Unternehmen nutzt aktuell Technologien zur Datenerhebung und -auswertung der eigenen Produktion. Schließlich erobert der innovationsfördernde 3D-Druck auch Kanadas Werkstätten. Erst gut ein Zehntel des verarbeitenden Gewerbes nutzt den 3D-Druck, etwa für Prototypen. Mit etwa
65 Prozent des Marktwerts sind Baumaschinen der stärkste Sektor im kanadischen Maschinenbau.
Auf der Ende September in Toronto stattgefundenen Canadian Manufacturing Technology Show (CMTS) waren viele internationale aber auch kanadische Aussteller vertreten. Die Ausstellungsbereiche beinhalteten mit Werkzeugmaschinen, Werkzeugbearbeitung, Metallumformung, Additive Fertigung/3D-Druck sowie Automatisierung und Robotik nahezu das gesamte Spektrum der verarbeitenden Industrie. Es kommt nicht von ungefähr, dass der Branchentreff in Toronto im Staat Ontario – welcher übrigens so groß ist
wie Spanien und Frankreich – stattfindet: Ontario ist neben Quebec das größte Industriezentrum des Landes. Chrysler, Ford, GM, Honda und Toyota haben 12 Werke in Ontario. Es ist somit die einzige Region auf dem Nordamerikanischen Kontinent mit fünf OEMs.
Alexander Gölz, Redakteur Beschaffung aktuell