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Autonome Outdoor-Stapler mit Schwarmintelligenz

Forschungsprojekt der TH Aschaffenburg und Linde Material Handling
Autonome Outdoor-Stapler setzen auf Schwarmintelligenz

Autonome Outdoor-Stapler setzen auf Schwarmintelligenz
Ein Schwerpunkt des Forschungsprojekts lag auf dem kooperativen Verhalten der autonomen Stapler: Über ein 5G-Netz und einen Edge-Server tauschen die Fahrzeuge Informationen aus und können sich bei kritischen Situationen warnen. Bild: Linde MH
Im Forschungsprojekt KAnIS haben der Warenumschlagspezialist Linde Material Handling und die TH Aschaffenburg Lösungen für den Einsatz autonomer Gegengewichtsstapler im Innen- und Außenbereich entwickelt. Die Ergebnisse wurden Anfang Dezember auf dem Testgelände im Werk Aschaffenburg präsentiert.

Autonome Fahrzeuge werden nach und nach immer mehr Transportaufgaben übernehmen. Davon ist Stefan Prokosch, Initiator des Projektes „KAnIS – Kooperative Autonome Intralogistik Systeme“ bei Linde Material Handling (MH), überzeugt. Daher will das Unternehmen die Vorteile autonomer Fahrzeuge in Zukunft auch denjenigen Kunden zugänglich machen, die Gegengewichtsstapler zum Warentransport oder zum Be- und Entladen von Lkw im Einsatz haben.

„Die Anforderungen an Stapler im Außenbereich sind jedoch weitaus höher, als dies bei reinen Indoor-Geräten der Fall ist. Dazu gehören Gefälle und Steigungen, ein deutlich höheres Personen- und Verkehrsaufkommen, aber auch Wettereinflüsse und Temperaturgegebenheiten“, erläutert Prokosch. „Durch die gemeinsame Forschungsarbeit mit der TH AB konnten wir tragfähige Lösungen für diese komplexen Anforderungen erarbeiten. Die Erkenntnisse bilden nach dem Abschluss des Projekts eine wesentliche Grundlage für weitere Entwicklungsprojekte.“

In mehreren Teilprojekten haben Linde MH und die TH Aschaffenburg im Projekt KAnIS daher Lösungen für die anspruchsvollen Einsätze autonomer Gegengewichtsstapler entwickelt, die sowohl im Innen- als auch im Außenbereich Lasten bewegen. Ein Schwerpunkt lag auf deren kooperativem Verhalten: Über ein 5G-Netz und einen Edge-Server tauschen die Fahrzeuge Informationen in Echtzeit aus und können sich gegenseitig vor Hindernissen warnen. Das über knapp vier Jahre laufende Vorhaben wurde im Rahmen des FuE-Programms Informations- und Kommunikationstechnik des Freistaates Bayern mit rund 2,8 Mio. Euro gefördert.

Übergeordnetes Projektziel war es, herauszufinden, wie sich betriebliche Zuverlässigkeit und Umschlagsleistung durch ein kooperatives Verhalten vernetzter, autonomer Fahrzeuge verbessern lassen. Zur Lösung dieser umfassenden Aufgabenstellung wurden mehrere Teilprojekte gebildet, die sich mit der Lokalisierung sowie Steuerung und Regelung der Fahrzeuge, der Kooperation der Stapler untereinander, dem Erkennen der Ladungsträger, dem Umgang mit Witterungseinflüssen, der vorausschauenden Wartung, der Routenoptimierung sowie dem automatischen Lademanagement beschäftigten.

Betriebsnahe Testszenarien unter Realbedingungen

Automatisiert wurden vier Elektro-Gegengewichtsstapler Linde E20, E25 und E30 mit 2,0 bis 3,0 Tonnen Tragfähigkeit, ausgestattet mit elektrohydraulischer Lenkung (Linde Steer Control), dem Assistenzsystem Linde Safety Pilot mit elektronischem Lastdiagramm sowie einem integrierten Zinkenverstellgerät. „Die praktische Umsetzung der Forschungserkenntnisse war für Linde MH und die TH Aschaffenburg ein wichtiger Aspekt“, betonte Mark Hanke, Abteilungsleiter im Bereich Vorentwicklung bei Linde MH. Ab dem kommenden Jahr sollen die Fahrzeuge weiterentwickelt und getestet werden, um zukünftig vier konkrete Materialfluss-Aufgaben im Werk zu übernehmen: den Transport von Gitterboxen sowie den Transport von Paletten mit Batterien, außerdem die Transporte von Fahrzeugrahmen und Fahrerschutzdächern, die auf speziellen Ladungsträgern von den Vormontage- an die Hauptmontagelinien gebracht werden. Die beiden ersten Anwendungsfälle sind reine Outdoor-Einsätze. Bei den beiden anderen fahren die Stapler sowohl in als auch zwischen den Hallen. Zu überwinden sind Steigungen von acht Prozent, außerdem fahren in den Hallen weitere AGVs und manuell bediente Fahrzeuge.

Damit die vier Stapler Paletten, Gitterboxen und Metallgestelle mit ihren Gabelzinken auch dann aufnehmen können, wenn diese nicht exakt am Boden ausgerichtet sind, verfügen die Fahrzeuge über eine verfahrbare Kamera, die zwischen den Gabelzinken montiert ist. Sie vermisst die Taschen des Lastträgers, damit die Zinken korrekt über den Seitenschieber positioniert werden können. Konstruktiv angepasst wurden außerdem der Fahrzeugrahmen, die Batterietür und das Gegengewicht. „Unser Anspruch war, Sicherheitsscanner, Kameras und Sensoren weitestgehend in die Fahrzeugkontur zu integrieren, damit die Abmessungen möglichst nah am Standardstapler bleiben“, so Hanke.

In den Hallen lokalisieren sich die Fahrzeuge über Laserscanner, im Außenbereich über Differential-GPS (Global Positioning System), ein Verfahren zur Genauigkeitssteigerung bei GPS, sowie zusätzliche lokale Sensoren beim Übergang vom Innen- zum Außenbereich. Anders als die manuellen Stapler fahren die automatisierten Fahrzeuge auf den fest definierten Strecken immer rückwärts, damit die Last im Fall einer Notbremsung nicht von den Zinken rutschen kann.

Echtzeitkommunikation mit Staplern und Infrastruktur

Ein besonderer Fokus des Forschungsprojektes lag auf der Umgebungswahrnehmung der automatisierten Stapler, um deren zuverlässiges Agieren mit anderen Verkehrsteilnehmern zu gewährleisten. Dazu verfügen die Fahrzeuge zusätzlich zu den Sensoren der Personenschutzeinrichtung über weitere 3D-Scanner und HD-Kameras. Die Kameradaten bilden die Basis, um Objekte mithilfe von KI-Algorithmen zu erkennen und zu klassifizieren sowie anschließend zu lokalisieren, um die Fahrgeschwindigkeit des Staplers anzupassen und ihn bis zum Stillstand abbremsen zu können. Eine weitergehende Fragestellung befasste sich mit kritischen Situationen, die entstehen, wenn sich Verkehrsteilnehmer in verdeckten Bereichen aufhalten, die von den Sensoren des Staplers nicht einzusehen sind und sich auf den Fahrweg des Staplers zubewegen. Hier kommt die Kommunikation zwischen den Staplern ins Spiel, denn wenn ein anderer Stapler in der Nähe ist, könnte er entsprechende Informationen liefern. Voraussetzung dafür ist eine echtzeitfähige Übermittlung der Perzeptionsdaten. Um diese geringen Latenzen zu erreichen, wurde im Aschaffenburger Werk ein 5G-Netzwerk aufgebaut. Die Perzeptionsdaten werden von den Staplern an einen Edge-Server übertragen, der aus den lokal erkannten Objekten eine globale Liste aller erkannten Objekte erstellt und diese zurück an die Stapler sendet.

Getestet wurde mit einem Crashtest-Dummy, der plötzlich hinter einer Wand hervorkommt und in den Fahrweg läuft. Ohne kooperatives Verhalten kann der automatisierte Stapler nicht rechtzeitig stoppen und fährt gegen die Puppe. Erhält er die Echtzeitinformation eines in der Nähe befindlichen Staplers, ist das Fahrzeug in der Lage, die Gefahrensituation im Voraus zu erkennen, und kann rechtzeitig abbremsen.

Funknetze als Voraussetzung

Da aber nicht immer davon ausgegangen werden kann, dass ein zweiter Stapler in der Nähe ist, wurden entlang der Wege, welche die Stapler zukünftig fahren sollen, acht stationäre 3D-Laserscanner an Kreuzungen und Tordurchfahrten installiert. Auch die lokalen Objektlisten der stationären Laserscanner werden auf dem Edge-Server fusioniert und die Informationen allen Fahrzeugen zur Verfügung gestellt. „Schnelle Funknetze sind die Voraussetzung, damit autonome Stapler im Außenbereich kooperativ agieren und in Echtzeit auf unvorhergesehene Verkehrssituationen reagieren können“, betonte Prof. Dr. Klaus Zindler, Vizepräsident Forschung und Transfer an der TH Aschaffenburg, auf der Veranstaltung. „Unser Ziel ist, allgemeine Standards und Algorithmen unter Verwendung von KI-Methoden zu entwickeln, die dann flexibel auf unterschiedliche Fahrzeuge oder Applikationen angewendet werden können und weiterlernen.“

In einem weiteren Arbeitspaket wurde untersucht, wie die bodennahen, optischen Sensoren gesäubert werden können, wenn sie durch Spritzwasser bei Regen oder nasser Fahrbahn verschmutzt wurden. Denn ist eine zuverlässige Objekterkennung nicht mehr möglich, bringt die Personenschutzanlage den Stapler automatisch in den sicheren Zustand und er hält an. Um dies zu verhindern, entwickelte das Projektteam ein Reinigungssystem, das die auf den Laserscannern angesammelten Schmutzwassertropfen einfach mittels Druckluft wegbläst. (ys)

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