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Smart optimiert

Einkauf von Logistikdienstleistungen
Smart optimiert

Kapazitätsengpässe, Fahrermangel und Preiskämpfe erschweren die Planungsprozesse der Transportmanager. Jetzt soll die Digitalisierung dabei helfen, den Transportprozess für alle Beteiligten transparenter und wirtschaftlicher zu machen. Doch zusätzliche Komplexität und fehlende Standards hemmen die Nutzung elektronischer Plattformen.

Wenn rund 60 Prozent der Inbound-Supply-Chain-Kosten Transportkosten sind, dann ist das keine Besonderheit für den letztjährigen Gewinner der europäischen Goldmedaille für Logistik und Lieferkette der European Logistics Association (ELA), sondern betrifft in gleichem oder ähnlichem Maße viele produzierende und verladende Unternehmen hierzulande. Allerdings dürfte das preiswürdige Konzept des Landmaschinenherstellers AGCO im Bereich der Digitalisierung und ganzheitlichen Integration von Partnern innerhalb seiner internationalen Inbound Supply Chain richtungsweisend für viele Akteure im Transportmarkt sein. So ist es AGCO gelungen, innerhalb von 18 Monaten über 1000 Lieferanten und 70 Logistikdienstleister für die europäischen Werke zu integrieren und bis zu 9000 Transportaufträge pro Monat abzuwickeln. Innerhalb von fünf Jahren konnten die Transportkosten um rund 30 Prozent reduziert werden. Davon resultiert allerdings nur ein Drittel aus Preisverhandlungen, berichtete Bülent Ileri, Director Transportation & Logistics, EMEA, im Rahmen des BME-Symposiums in Berlin. „Zwei Drittel sind smarte Ideen und Optimierungen!“ Es gehe eben nicht mehr darum, den Dienstleister „auf Teufel komm raus runter zu verhandeln, bis es nicht mehr geht“.

Denn das Ziel, über deutliche Verbesserungen bei Kosten, Leistung und Qualität zu einer verbesserten Kapazitätsauslastung und damit auch Verbesserung der CO2-Bilanz zu kommen, teilen viele Unternehmen, die derzeit mit den strukturellen Kapazitätsproblemen im Straßengüterverkehr und steigenden Transportpreisen zu kämpfen haben. Für viele Verlader geht es immer weniger darum, die Kosten zu drücken, sondern vielmehr die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das gilt sowohl für Inbound-Verkehre in gleichem Maße wie für die eigene Lieferfähigkeit. Für Unternehmen mit komplexen, teilweise heterogenen Liefernetzwerken steht daher zunächst die interne Vereinheitlichung von Kommunikationsprozessen im Vordergrund, die u. a. auch eine Voraussetzung für die erfolgreiche Kommunikation mit den Logistikpartnern, aber auch die sinnvolle Nutzung von Transportplattformen darstellt.

Plattformen sind Mittel zum Zweck

Transporteinkäufer sind also weiter gefordert, ihre Märkte zu analysieren und mögliche Akteure zu identifizieren. Einkaufsplattformen sind hier eher Mittel zum Zweck, die gesteckten Ziele zu erreichen. Nun könnte ein Paradigmenwechsel bevorstehen, der für bestimmte Verkehrsträger neue und erprobte Instrumentarien in den Vordergrund rückt, um Kapazitäten zu sichern.

Dabei steht nicht allein die Beschaffung von Logistikdienstleistungen über die elektronischen Instrumente der Plattformen im Fokus. Vielmehr ist die Anbindung der unterschiedlichen Systeme zu beachten. Schließlich ist der Einkauf eine Schnittstelle zu anderen Unternehmensbereichen, was die Komplexität zusätzlich erhöht.

Einen differenzierten Blick auf die gegenwärtige Entwicklung wirft Martin Frosch, Leiter Einkauf Transportation, Rehau AG + Co. Der Mischkonzern betreibt ein beachtliches internes Transportnetzwerk mit einem Einkaufsvolumen von ca. 200 Mio. Euro. Auf der einen Seite brauche die Supply Chain die digitalen Veränderungen durch Vernetzungen vom Verlader bis zum Endkunden. Allerdings helfe „die Digitalisierung in der jetzigen Situation nicht unbedingt weiter, in der wir gerade mit anderen Dingen zu kämpfen haben“. Hier bringe die Digitalisierung sogar negative Effekte und zusätzliche Komplexität herein. Das gelte beispielsweise für Zeitfenstermanagementsysteme, bei denen es keine Standardisierung gebe und die Systeme nicht miteinander kommunizieren.

Zudem hilft die Digitalisierung beim zentralen Problem des Mangels an qualifizierten Fahrern auch nur bedingt und wahrscheinlich eher langfristig weiter. Hier sieht Frosch durchaus alle Beteiligten in der Pflicht, schließlich sei das Image des Fahrers in den vergangenen Jahren immer schlechter geworden. Rehau arbeitet selbst mit Ausschreibungsplattformen, aber auch mit Start-ups, um die Potenziale dieser Systeme in der Praxis zu testen. Die Vielzahl der digitalen Plattformen dürfte jedenfalls das Problem des fehlenden Laderaums kaum verringern: „Ich kann das beste System, eine super Abwicklung und ein tolles Tracking & Tracing haben. Was uns aber beschäftigt, ist der fehlende Laderaum“, so Frosch.

Rollenverteilung verschwimmt

Während die Rollenverteilung von Verladern und Spediteuren früher eindeutig war, verschwimmen inzwischen mitunter die Funktionen als Auftraggeber bzw. -nehmer. Ein Beispiel für eine komplett neutrale Plattform, die die am Transportprozess beteiligten Akteure zusammenbringt, ist TimoCom. Bereits seit 20 Jahren am Markt und inzwischen als führendes Unternehmen bei Frachtführern und Spediteuren in Europa bekannt, ist TimoCom heute über den Status als Plattform für eine kleine geschlossene Gruppe deutlich hinausgewachsen. Dabei handelt es sich nicht um einen Online-Spediteur, der in die Preisverhandlungen eingreift und diese steuert. Ziel ist vielmehr, möglichst viele Akteure auf einer Plattform zusammenzuführen.

Gunnar Gburek, Company Spokesman & Head of Business Affairs, TimoCom Soft- und Hardware GmbH, appellierte in Berlin an Industrie- und Handelsunternehmen, aber auch an Logistikdienstleister, den Einkauf von Transportdienstleistungen wieder stärker in den Mittelpunkt zu rücken: „Ich kann nicht einmal im Jahr einen Forecast machen und vorausschauend sagen, das ist jetzt meine Idee von einem Transportablauf und dann nicht mehr reagieren“. Bei aller Digitalisierung dürfe der Blick auf das Wesentliche nicht verloren gehen, nämlich die handelnden Personen und Unternehmen, die in einem volatilen Umfeld mit höchster Flexibilität einzukaufen und zu steuern sind.

Eine Plattform wie TimoCom könne natürlich auch keinen Laderaum schaffen, aber dabei helfen, den vorhandenen Laderaum besser auszulasten. Denn die Kapazitäten seien vorhanden, aber es fahren zu viele halbvolle Lkw auf den Straßen. Ziel müsse es sein, so Gburek, die Lkw nicht mehr dahin zu fahren, wo sie irgendwann gebraucht werden, sondern von da an zu nutzen, wo sie stehen. Hier biete die Digitalisierung eine echte Chance, die vernetzten Fahrer auch kurzfristig mit neuen Aufträgen zu versorgen, die zudem noch papierlos abgewickelt werden können. Wenn der Fahrer seine komplette Zeit auf der Strecke ist, statt auf Aufträge zu warten, könnte dies auch zu einer Linderung der Kapazitätsprobleme beitragen.

Mittelständlern fehlt häufig die Reife

Zwar sind die großen Logistikdienstleister digital mit Tracking-&-Tracing-Systemen in der Regel sehr gut aufgestellt, haben aber ihren Fuhrpark in den letzten Jahren fast komplett abgebaut. Doch sind die zahlreicheren Kleinstunternehmer und Mittelständler, die mit wenigen Fahrzeugen an die Stelle großer Flottenbetreiber gerückt sind und in Sub-Unternehmer-Kaskaden die Komplexität der Transportnetzwerke weiter erhöhen, überhaupt reif für die Digitalisierung? Immerhin versuchen die großen Dienstleister selbst Fahrer auszubilden und diese dann ihren Dienstleistern zukommen zu lassen. Und: Verlader erwägen inzwischen wieder den Aufbau eigener Fuhrparks. „Wir denken daran, selber Lkw laufen zu lassen. Dafür brauchen wir solche Plattformen, die uns wiederum helfen, diese LKW optimal auszulasten“, erklärt Rehau-Manager Frosch. Das gilt vorrangig für die Teilladungen, die das größte Problem darstellen. Bei Rehau findet dazu ein regelmäßiger Austausch zwischen Supply Chain Managern und Einkäufern statt.

Ein Patentrezept für Frachteinkäufer gibt es sicher nicht. Allerdings erkennen Verlader bereits eine Tendenz zu längerfristigen Kontrakten mit einer begrenzten und so beherrschbaren Zahl von Spediteuren. „Die Zeiten von Ein- bis Zweijahresverträgen, bei denen es darum ging, noch die letzten fünf Prozent herauszuholen, sind wohl vorbei“, blickt Rehau-Manager Frosch voraus.

Doch ob an die Stelle kurzfristiger Kontrakte wirklich längerfristige Verträge mit einer entsprechenden Bindungswirkung treten, bleibt abzuwarten. „Die Verträge werden eigentlich ohne ein konkretes Enddatum abgeschlossen und enthalten nicht mehr als das Bekenntnis, miteinander arbeiten zu wollen. Wie man dann miteinander arbeitet, wird dann sehr viel mehr vom Tagesgeschäft und den Aufträgen abhängen“, vermutet TimoCom-Manager Gburek. Auch der Dienstleister werde sich darauf einstellen müssen, immer mehr Auftraggeber zu haben. Der selbstfahrende Kleinunternehmer müsse künftig ständig schauen, wo mit seinem Equipment der beste Preis zu erzielen ist und so „wieder wirklich als Unternehmer agieren“. Das funktioniere aber nur, wenn er seine Kunden auch relativ einfach findet und diese ihn auch beauftragen können. Mithilfe der Plattformen könne er nicht nur relativ einfach an Aufträge kommen, sondern auch einfach abrechnen. In Zwischenstufen ist es auch möglich, für den Verlader eine zentrale Abrechnung zu generieren. Dabei ist dieser aber doch in der Lage, einzelne Frachtführer auf den Weg zu bringen. Sicher sei, dass die großen Flotten nicht zurückkommen und Verlader sich darauf einzustellen haben, mit zahlreichen Unternehmen arbeiten zu müssen. Damit sich der Aufwand für die Verlader, mit immer neuen Partnern interagieren und viele Details ständig neu erklären zu müssen, in praktikablen Grenzen hält, könnte das auch im Rahmen von geschlossenen Benutzergruppen ablaufen. Auftraggeber kommen dann vor allem mit den Unternehmen zusammen, mit denen sie gerne arbeiten. Dieses System bietet dem Dienstleister den Vorteil, auch nur dann ein Angebot abzugeben, wenn er es auch wirklich will und nicht im Korsett langfristiger Verträge ungewollte Aufträge übernehmen zu müssen.

Kompetenz des Einkäufers entscheidet

Zentrale Bedeutung hat aber die Marktkompetenz des Einkäufers: „Ich würde nie über eine Plattform einen Auftrag an einen anonymen Unternehmer vergeben, ohne im Vorfeld ein Screening zu machen“, betont Thilo Kunkel, der als Global Category Manager Logistics & Packaging, beim Baumaschinenhersteller Wacker Neuson den Einkauf von Logistikleistungen und Verpackung mit einem Volumen von rund 70 Mio. Euro verantwortet. Die Ausschreibung sollte über eine geschlossene Nutzergruppe erfolgen. Letztendlich sollte nur eine begrenzte Zahl an Vertragspartnern eingesetzt werden, um die Prozesse handelbar zu halten. Dabei könnte auch die Zahl der vertraglich zulässigen Subunternehmer begrenzt werden, um den Informationsfluss jederzeit zu gewährleisten. So ist es für Verlader immer wichtiger zu wissen, wo sich die Ware gerade befindet. Wenn der Frachtführer aber telematisch nur mangelhaft mit dem Spediteur vernetzt ist, besteht die Gefahr ungewollter Kommunikationsbrüche.

Eine echte Chance könnten Plattformen für Anbieter von Schwer- und Sondertransporten sein. Gerade in eine besondere Nische mit monopolartigen Strukturen zu gelangen, in der viele Aufträge zu guten Preisen locken, sollte für einzelne Anbieter das relativ hohe Investment in ein entsprechend spezialisiertes Equipment attraktiver machen.

Losgelöst von der weiteren Etablierung mehr oder weniger neutraler Plattformen dürfte die Notwendigkeit für verladende Unternehmen deutlich zunehmen, wieder eigenes Know-how im Transportsektor aufzubauen und zu investieren. Denn nur mit entsprechenden Marktkenntnissen auf der Habenseite sollte die virulente Angst der Akteure schwinden, in bis dato ungewohnter Kooperation mit Wettbewerbern Synergien zu erzielen, dabei aber langfristige Kontrakte und Auftraggeber verlieren zu können oder zumindest teilen zu müssen. Da es in vollkommener Transparenz kaum mehr möglich sein wird, den Kunden weitgehend vom Wettbewerb abzuschirmen, wird es für die Transporteure darauf ankommen, ihre Auftraggeber mit den eigenen Kapazitäten optimal zu bedienen.


Ich kann nicht einmal im Jahr einen Forecast machen und vorausschauend sagen, das ist jetzt meine Idee von einem Transportablauf und dann nicht mehr reagieren.“
Gunnar Gburek, Company Spokesman & Head of Business Affairs, TimoCom


Ich würde nie über eine Plattform einen Auftrag an einen anonymen Unternehmer vergeben, ohne im Vorfeld ein Screening zu machen.“
Thilo Kunkel, Global Category Manager Logistics & Packaging, Wacker Neuson Group


Axel de Schmidt, Journalist und Logistikexperte bei
Beschaffung aktuell

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