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Big Data in der Rohstoffbeschaffung

Von Predictive zu Prescriptive Analytics
Big Data in der Rohstoffbeschaffung

Durch Big Data können bessere Hedgingentscheidungen in der Rohstoffbeschaffung getroffen werden. Lesen Sie, wie innovative Ansätze aus der Wissenschaft bei der Entscheidungsunterstützung Hilfestellung geben.

Big Data und Predictive Analytics sind im Zeitalter von Industrie 4.0 und Digitalisierung in aller Munde. Auch die Wissenschaft beschäftigt sich an der Schnittstelle von Betriebswirtschaft, Mathematik und Informatik nicht nur mit Fragestellungen, wie große Datenmengen analysiert (Descriptive Analytics) und für Prognosezwecke (Predictive Analytics) genutzt werden können, sondern auch wie man durch Einbeziehung dieser gezielt bessere Entscheidungen treffen kann (Prescriptive Analytics). Gerade in Unternehmensbereichen, deren Planung von großer externer Unsicherheit und hohem Risiko geprägt sind, spielen datengetriebene Methoden zur Entscheidungsunterstützung eine zentrale und – wie aktuelle Forschungsergebnisse zeigen – vielversprechende Rolle mit signifikantem Einsparpotenzial.

Einen dieser Bereiche stellt die Rohstoffbeschaffung dar. Die hohe und steigende Preisvolatilität an den internationalen Rohstoffmärkten erfordert ein robustes Risikomanagement, insbesondere bei risikoaversen Unternehmen, die sich vielmehr gegen Preisschwankungen absichern wollen, als durch Spekulation an den Rohstoffbörsen von ihnen zu profitieren. Konkrete Fragestellungen, vor welchen der operative Rohstoffeinkäufer traditionell steht, sind:
  • Soll man sich gegen Preisschwankungen mit Langzeitverträgen oder Finanzderivaten wie Forwards, Futures, Optionen oder Swaps absichern und falls ja, zu welchem Grad?
  • Was ist der kosten- und risikominimierende Mix aus Preisfixierung mittels Rohstoffhedging und flexibler Spotmarktbeschaffung?
  • Ist der aktuell angebotene Kontraktpreis günstig genug und ist demnach der richtige Kaufzeitpunkt erreicht?
Antworten auf diese Fragen können datengetriebene Ansätze geben. Klassische Verfahren schätzen basierend auf historischen Preisentwicklungen einen stochastischen Preisprozess und prognostizieren die zukünftige Preisentwicklung (Prognose). Auf Basis der Preisprognosen werden anschließend kosten- und risikominimierende Hedgingentscheidungen getroffen (Optimierung). Bei datengetriebenen, präskriptiven Ansätzen hingegen werden Prognose und Optimierung in der Regel nicht sequenziell, sondern integriert durchgeführt. Zudem basieren Preisprognosen nicht ausschließlich auf historischen Preisentwicklungen, sondern auf einer Vielzahl weiterer Kausalfaktoren (Big Data), welche die Rohstoffpreise potenziell beeinflussen. So werden beispielsweise die Preise für Erdgas maßgeblich getrieben von den Faktoren Temperatur, Ölpreis, Verfügbarkeit, Lagerbestände und Wechselkurse, sowie von ökonomischen Wachstumsindikatoren. Metallpreise korrelieren ebenfalls signifikant positiv mit der Ölpreisentwicklung. Dies liegt im Veredelungsprozess von Metallen begründet, welcher durch einen hohen Energiebedarf gekennzeichnet ist.
Durch Prespcriptive Analytics werden diese Zusammenhänge erkannt (Data Mining) und simultan statt sequenziell zur Optimierung des Hedgingportfolios genutzt. Dies kann beispielsweise durch die Lösung eines mathematischen Optimierungsmodells geschehen. Machine Learning Algorithmen, basierend auf künstlicher Intelligenz, können den Optimierungsprozess maßgeblich unterstützen, indem sie die prognoserelevanten Bestandteile von Big Data extrahieren (Smart Data). Somit werden historische Kaufentscheidungen rückwirkend evaluiert und die Performance wiederum als Feedback in der Optimierung und somit für zukünftige Entscheidungen berücksichtigt.
Das Ergebnis des datengetriebenen Optimierungsprozesses können zum Beispiel eingängige Schwellenwertregeln sein, welche dem Rohstoffeinkäufer im Unternehmen als Instrument der Entscheidungsunterstützung zur Verfügung gestellt werden. Liegt der dem Einkäufer angebotene (OTC oder an den einschlägigen Rohstoffbörsen) Kontraktpreis in der jeweiligen Periode unter einem spezifischen, aus der Optimierung resultierenden, Schwellenwert, hedgt man die zu erwartende zukünftige Nachfrage über den entsprechenden Kontrakt, andernfalls nicht. Dies führt zu periodenübergreifend diversifizierten Beschaffungsprofilen, bestehend aus flexiblen Kassageschäften und risikominimierenden Termingeschäften in Form von beispielsweise Forwards, Futures, Swaps oder Optionen. Die Schwellenwertregeln werden fortwährend oder zumindest in bestimmten Zeitintervallen aktualisiert, um etwaige Strukturbrüche in den Zeitreihen zu berücksichtigen.
Potenziale für den operativen Einkauf 4.0
Die Ergebnisse aus einem aktuellen Forschungsprojekt im Bereich Einkauf 4.0 zeigen, dass datengetriebene Optimierungsansätze robuste Beschaffungsstrategien liefern, welche sowohl das operative Risiko durch Preisschwankungen, als auch die Beschaffungskosten signifikant senken.
Auf Basis von analysierten empirischen Daten hätten dadurch im Zeitraum Januar 2014 bis März 2016 acht Prozent (bzw. 11 %) günstigere durchschnittliche Einkaufspreise für Erdgas erzielt werden können, als dies durch reine Kassageschäfte (bzw. reine Termingeschäfte) der Fall war.
Die Ergebnisse zeigen jedoch auch, dass eine unreflektierte Verwendung aller zur Verfügung stehenden Daten (Big Data), denen man mindestens einen partiellen Einfluss auf den Rohstoffpreis unterstellt, zu kontraproduktiven Ergebnissen führen kann (Overfitting). Datengetriebene Optimierung sollte deshalb stets mit feedback-basierten Algorithmen kombiniert werden, um zu vermeiden beziehungsweise das Risiko zu vermindern, dass prognoseirrelevante Daten zu Modellmissspezifikationen und somit suboptimalen Handlungsempfehlungen hinsichtlich des Rohstoffhedgings führen. Das Credo lautet hier: Smart Data statt Big Data.
Hürden für den operativen Einkauf 4.0
Es liegt nun insbesondere an der Praxis, innovative akademische Modelle und Methoden in kommerzielle Softwarelösungen zu übertragen. Diese müssen mit den bestehenden ERP-Systemen und Datenbanken der Unternehmen kompatibel sein. Nur so kann sichergestellt werden, dass die vielerorts mit großem Aufwand gesammelten Datenmengen auch konsequent zur Entscheidungsunterstützung genutzt werden können, anstatt, wie bisher leider oft noch der Fall, sie ausschließlich für deskriptive Zwecke zu verwenden.
Die Zukunft bleibt auch im Zeitalter von Big Data und Prescriptive Analytics unsicher. Dennoch kann durch eine gezielte Nutzung einer Vielzahl von Daten und deren Abhängigkeiten untereinander der Effekt des Risikos volatiler Rohstoffmärkte auf die operativen Beschaffungskosten signifikant reduziert werden. Während Descriptive Analytics und Predictive Analytics im Einkauf 4.0 bereits seit geraumer Zeit ein fester Bestandteil sind, fehlen zur gezielten und optimierungsbasierten Entscheidungsunterstützung im Sinne von Prescriptive Analytics oft noch die entsprechenden Softwarelösungen für die Praxis.

Lehrstuhl Logistik & Supply Chain Management

Technische Universität München

Der seit 2012 bestehende Lehrstuhl für Logistik & Supply Chain Management an der TUM School of Management der Technischen Universität München beschäftigt sich mit strategischen, taktischen und operativen Planungsproblemen in den Bereichen Beschaffung, Lagerhaltung, Transport und Produktion. Der Fokus liegt hierbei auf der Entwicklung und Anwendung von Operations Research Methoden zur gezielten Entscheidungsunterstützung. Einen Kernpunkt stellt die Optimierung unter Unsicherheit und Risiko dar.

40382295

Christian Mandl, M.S, Logistics and Supply Chain Management,
Technische Universität München

40382296

Prof. Dr. Stefan Minner, Lehrstuhl Logistics and Supply Chain Management,
Technische Universität München
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