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Lieferanten unter der Lupe

Operatives Lieferantenmanagement (Teil I)
Lieferanten unter der Lupe

Lieferanten unter der Lupe
In den letzten Jahren hat sich das Lieferantenmanagement zu einer unternehmerischen Kernkompetenz entwickelt. Ein sehr wichtiger Bestandteil des Lieferantenmanagement stellt die operative Ebene in Form der kurzfristigen Bewertung und Förderung der bestehenden Lieferantenbasis dar. Mit diesen Themengebieten beschäftigt sich die nachfolgende dreiteilige Beitragsreihe.

Prof. Dr. Rainer Sibbel, Dipl.-Kfm. Felix Hartmann

In dieser ersten Folge der dreiteiligen Serie führen die Autoren Prof. Dr. Rainer Sibbel und Dipl.-Kfm. Felix Hartmann in die grundlegenden Aspekte des operativen Lieferantenmanagements und der Lieferantenbewertung ein.
Bisher hat sich keine allgemeingültige Definition des Begriffs Lieferantenmanagement durchgesetzt. Als zentraler Gegenstand lässt sich aber die effektive und effiziente Gestaltung, Lenkung und Entwicklung der Lieferantenbasis und der Lieferantenbeziehungen eines Unternehmens ausmachen.
Die daraus resultierenden Kernaufgaben bestehen in der Lieferantenauswahl, der Festlegung der Lieferantenstrategie, der Lieferantenbewertung sowie der Lieferantenförderung. Das operative Lieferantenmanagement befasst sich vor allem mit der Lieferantenbewertung und -förderung, wodurch die Schnittstelle zwischen dem Abnehmer und den strategisch ausgewählten Lieferanten gesteuert wird. Auf Basis einer kontinuierlichen Bewertung der Lieferantenleistung können gezielte Maßnahmen zur Lieferantenförderung erarbeitet werden, um die Lieferanten im Sinne der festgelegten Strategie zu entwickeln.
Grundlagen und Gestaltungsfelder
Zwischen Lieferant und Abnehmer kommt es zum Austausch von Gütern bzw. Dienstleistungen sowie Informationen. Die Ausgestaltung dieser Flüsse ist das zentrale Gestaltungsfeld des Lieferantenmanagements. Als wesentliche Gestaltungsparameter ergeben sich die zwischenbetriebliche Logistik und die Qualitätssicherung. Im Mittelpunkt der zwischenbetrieblichen Logistik steht die Versorgung des Unternehmens mit Beschaffungsobjekten unter der Maßgabe des materialwirtschaftlichen Optimums. Das zentrale Objekt der überbetrieblichen Logistik ist somit der zwischenbetriebliche Materialfluss. Zur Steuerung dieses Materialflusses bedarf es parallel eines entsprechenden Informationsflusses, der zunehmend durch EDV-Systeme unterstützt wird. Die Steuerung des Material- und Informationsflusses kann durch den Lieferanten, den Abnehmer oder durch einen Logistikdienstleister (LDL) übernommen werden. Die dabei in Frage kommenden Anlieferkonzepte bewegen sich auf einem Kontinuum zwischen einer konventionellen Vorratsbeschaffung mit doppelter Lagerhaltung und Warenaus- wie -eingangsprüfungen und einer bestandslosen, produktionssynchronen Beschaffung ohne explizite Qualitätskontrollen. Die Aufgabe der zwischenbetrieblichen Qualitätssicherung (QS) besteht darin, in Kooperation mit den Lieferanten das Erreichen der Qualitätsanforderungen zu sichern. Sie steht in engem Zusammenhang zu den zuvor beschriebenen Anlieferkonzepten. Ist es bei der Vorratsbeschaffung noch möglich, die Lieferteile vor der Fertigung einer Qualitätsprüfung zu unterziehen, ist das im Fall einer fertigungssynchronen Anlieferung nicht mehr realisierbar. In diesem Fall müssen die Zulieferteile stets den Qualitätsanforderungen entsprechen.
Ausgehend von diesen beiden Gestaltungsparametern hat die Lieferantenbewertung zur Aufgabe, die Leistung der Zulieferer regelmäßig zu erfassen und Schwachstellen in den überbetrieblichen Material- und Informationsflüssen sowie in der QS zu identifizieren. Die Logistik zwischen Lieferant und Abnehmer und die überbetriebliche Qualitätssicherung sind dabei hochgradig interdependent. So sind Einführung und Erfolg einer integrativen Logistik maßgeblich abhängig von der Effektivität des überbetrieblichen QS-Systems, gleichzeitig leiten sich die Anforderungen des Qualitätsmanagements aus den logistischen Ansprüchen des Abnehmers ab. Durch Lieferantenförderungsprogramme soll die Lieferanten-Abnehmer-Beziehung zielführend beeinflusst werden.
Die Lieferantenbewertung beinhaltet die regelmäßige Überprüfung der Leistungserstellung im Rahmen des operativen Lieferantenmanagements. Sie grenzt sich damit von der strategischen Lieferantenanalyse ab, die punktuell im Rahmen einer erstmaligen oder erneuten Lieferantenauswahl durchgeführt wird und bei der eher langfristige Leistungsindikatoren der Zulieferer bewertet werden.
Die operative Lieferantenbewertung soll dagegen die Leistung aktueller Lieferanten im Zeitablauf transparent machen, um kurzfristige Korrekturmaßnahmen zu ermöglichen. Besonders bei einer fertigungssynchronen Anlieferung ist die Zuverlässigkeit der Lieferanten von hoher Bedeutung. Ziel der Leistungsbewertung der Zulieferer ist somit die grundlegende Unterstützung der Steuerung der Lieferantenbeziehung. Die Lieferantenbewertung dient dabei vor allem dazu, die lieferbezogenen Risiken und die dadurch verursachten Fehlmengen- und Lagerhaltungskosten zu verringern sowie den Prüfaufwand der Wareneingangs- und Qualitätsprüfung zu optimieren. Die Lieferantenbewertung trägt somit dazu bei, die Versorgungssicherheit bei gleichzeitiger Kosten- und Qualitätsoptimierung zu erreichen.
Lieferantenbewertung ist die Basis
Um diese Nutzenpotenziale realisieren zu können, muss ein Lieferantenbewertungssystem bestimmte Anforderungen erfüllen. Eine Hauptanforderung stellt die interne und externe Akzeptanz dar. Eng verbunden mit der externen Akzeptanz ist auch die Forderung nach einem „gerechten“ Bewertungsverfahren, dessen Ergebnisse auf einer möglichst objektiven Bewertung beruhen sollten und das Unterschiede im Lieferprogramm berücksichtigt. Auf Seiten des Abnehmers wird besonders ein Bewertungssystem gefordert, das eine hohe Aussagekraft besitzt. Bei der Bewertung müssen alle relevanten Kriterien im Sinne eines multifaktoriellen Ansatzes Beachtung finden. Ein Problem dabei ist zum Beispiel die Frage, ob beziehungsweise inwieweit sich gute und schlechte Bewertungen kompensieren können. Eine hohe Bedeutung für die Aussagekraft der Bewertung hat auch die zeitliche Gestaltung der Bewertungsintervalle. Werden die Intervalle beispielsweise zu kurz gewählt, sind die Ergebnisse unter Umständen wenig aussagekräftig, da kurzfristige Schwankungen der Lieferleistung sehr stark ins Gewicht fallen. Eine weitere wichtige Anforderung aus Sicht des Abnehmers ist ein möglichst geringer Aufwand. Neben den Entwicklungs- und Einführungskosten ist es besonders der wiederkehrende Aufwand der kontinuierlichen Bewertung, der gering gehalten werden sollte. Um dies zu gewährleisten, muss das Verfahren automatisierbar sein und durch EDV-Anwendungen unterstützt werden können. Und schließlich stellt auch die Anpassungs- und Erweiterungsmöglichkeit eine wichtige Anforderung dar.
Der Aufwand für ein Bewertungssystem kann durch eine Fokussierung auf ausgewählte Lieferanten begrenzt werden. Aus diesem Grund erfolgt oftmals eine Lieferantensegmentierung. Als gebräuchlichste Verfahren gelten dabei die ABC-Analyse sowie die Portfoliomethode. Bei der ABC-Analyse werden die Lieferanten nach Umsatz klassifiziert. Die Bemühungen des Lieferantenmanagements fokussieren sich dann auf die umsatzstarken A-Lieferanten. Daneben kommt immer wieder auch das Lieferantenportfolio nach Kraljic zum Einsatz, in dem die Lieferanten mit Hilfe der Dimensionen „Liefervolumenanteil“ und „Marktbedeutung“ in vier Gruppen eingeteilt werden. Der Schwerpunkt der Lieferantenaktivitäten liegt dann auf den „Kernlieferanten“. Im Rahmen der Lieferantenbewertung werden die Lieferanten danach beurteilt, inwieweit sie die Ansprüche des Abnehmers erfüllen. Hierzu werden Bewertungskriterien verwendet, in denen sich die Ansprüche des Abnehmers manifestieren. Bewertungskriterien können in operative und strategische Kriterien differenziert werden. Die strategischen Kriterien dienen zur Bewertung der grundsätzlichen Leistungsfähigkeit des Zulieferers. Die operativen Kriterien hingegen erzeugen ein Bild über die tatsächliche Leistung des Lieferanten in einem gegebenen Zeitraum, die sich letztlich in der Qualität der Lieferteile sowie der Termin- und Mengentreue der Lieferungen manifestiert. Bei der Auswahl von Bewertungskriterien ist darauf zu achten, dass diese dem Zweck der operativen objektiven Lieferantenbewertung dienlich sind und die Bewertung mit angemessenem Aufwand erfolgen kann. Zu präferieren sind deshalb quantitativ erfassbare Indikatoren.
Kriterien und Verfahren der Lieferantenbewertung
Zur Bewertung der Qualität kommen vordergründig insbesondere zwei Indikatoren in Betracht: Zum einen die angefallenen Qualitätsereignisse (Qualitätsfehler), die immer dann eintreten, wenn ein Lieferteil die Qualitätsanforderungen nicht erfüllt, also ein Fehler bei teilebezogenen Qualitätsprüfungen erkannt wird. Zum anderen die aufgelaufenen Qualitätskosten, die in Form von Fehlerfolgekosten bei unzureichender Teilequalität auftreten. Qualitätsfehlerfolgekosten sollten nicht in die Bewertung einfließen, da diese mit der Fertigungsstufe, auf der das Zulieferteil eingebaut wird, zusammenhängen. So wird ein qualitativ fehlerhaftes Lieferteil, das auf einer vorgelagerten Produktionsstufe in das Endprodukt eingebaut wird (z. B. ein mechanisches Teil im Geräteinneren), tendenziell höhere Fehlerfolgekosten als ein Lieferteil auf einer nachgelagerten Produktionsstufe (z. B. ein äußeres Abdeckungsteil) aufweisen. Die Bewertung anhand von Qualitätskosten steht somit einer adäquaten Erfassung und Vergleichbarkeit der Leistungen eher entgegen. Diesen entscheidenden Nachteil weisen Qualitätsereignisse nicht auf. Deshalb sollten nur derartige Ereignisse für die Bildung von Qualitätskennzahlen (QKZ) herangezogen werden, durch die letzten Endes die Qualitätsleistung verdichtet dargestellt wird. Für die Abbildung der Lieferqualität werden die Qualitätsereignisse über das Lieferprogramm eines Lieferanten aggregiert. Ist das Lieferprogramm eines Zulieferers diversifiziert, kann es sich als sinnvoll erweisen, die QKZ nach Lieferteilen bzw. Teilgruppen getrennt zu erheben.
Bei der Bewertung der Logistikleistung ist ein Lieferant daran zu messen, inwiefern er den logistischen Anforderungen nachkommt. Die Logistikleistung lässt sich anhand der Termin- und Mengentreue der Anlieferungen bewerten. Unter Termintreue versteht sich eine termingerechte Anlieferung der Beschaffungsgüter. Dagegen bedeutet der Begriff der Mengentreue die Einhaltung der bestellten Liefermengen. Termin- und Mengentreue können auch in einem Indikator, dem Logistikereignis, zusammengefasst werden. Ein Logistikereignis liegt folglich dann vor, wenn eine zeitliche und/oder mengenmäßige Abweichung bei einem Lieferlos festgestellt wird. Dadurch wird die Erfassung der logistischen Leistung der Zulieferer stark vereinfacht. Dies ist vor allem dann sinnvoll, wenn bei einer zeitsynchronen Disposition keine exakten Liefertermine vereinbart sind. Ein Logistikereignis tritt dann auf, wenn beim Fertigungsstart ein Zulieferteil nicht verfügbar ist. Durch den Indikator Logistikereignis werden somit die Termin- und Mengenabweichungen einer Vorratsbeschaffung bzw. Fehlmengen bei zeitsynchroner Disposition erfasst.
Die Einzelbewertungen müssen durch ein Bewertungsverfahren systematisch zu einer Gesamtaussage verdichtet werden. Dazu lassen sich die Kennzahlenmethode, Notensysteme oder Punktbewertungsmodelle heranziehen. Aufgrund der dargestellten Anforderungen an Bewertungssysteme erscheinen dazu vor allem Punktbewertungsverfahren als besonders geeignet. Die Ausführungen im zweiten Teil der Beitragsreihe basieren deshalb auf der Grundlage eines derartigen Ansatzes.
Literatur:
    • Hartmann H., Lieferantenbewertung – Lieferantenentwicklung, Kissing 2001
    • Hartmann H., Pahl H., Spohrer H., Lieferantenbewertung, aber wie?, 2. Aufl., Gernsbach 1997
    • Hoffmann R., Lumbe H., Lieferantenbewertung – ein erster Schritt zum Lieferantenmanagement, in: Hildebrandt H., Koppelmann U. (Hrsg.), Beziehungsmanagement mit Lieferanten, Stuttgart 2000, S. 87–120
    • Wagner, S., Management der Lieferantenbasis, in: Boutellier R., Wagner S., Wehrli H. (Hrsg.), Handbuch Beschaffung, München 2003, S. 691–731

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Prof. Dr. Rainer Sibbel, Leiter Institute for International Health Management, Frankfurt School of Finance & Management; E-Mail: r.sibbel@frankfurt-school.de
Dipl.-Kfm. Felix Hartmann, Lehrstuhl Produktionswirtschaft und Industriebetriebslehre (Prof. Dr. Jörg Schlüchtermann), Universität Bayreuth

Serie: Operatives Lieferantenmanagement
    • Teil I: Grundlagen des Lieferantenmanagements und der -bewertung (11/05)
    • Teil II: Ausgestaltung und Umsetzung der Lieferantenbewertung
    • Teil III: Prinzipien und Maßnahmen der Lieferantenförderung
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