Startseite » Einkauf »

Auf der sicheren Seite: Aktuelle Beschaffungskonzepte im Rechts-Check

Aktuelle Beschaffungskonzepte im Rechts-Check
Beim Strategiewechsel auf der sicheren Seite sein

Beim Strategiewechsel auf der sicheren Seite sein
Reshoring, Multiple Sourcing oder Friendshoring sind für viele Unternehmen ein wichtiges Thema. Doch ganz so einfach ist die Abkehr von einem Zulieferer womöglich nicht. Bild: Cherdchai/stock.adobe.com
Pandemien und globale Konflikte veranlassen viele Unternehmen dazu, ihre Lieferketten umzugestalten und die Beschaffung an anderen Kriterien auszurichten als bislang. Die rechtliche Bewertung von Trends wie Reshoring, Multiple Sourcing und Friendshoring kann bei dieser Neujustierung eine Rolle spielen.

Der Preis ist nicht (mehr) alles. Nachhaltigkeit, Ethik, Digitalisierung und vor allem die Resilienz der Lieferkette spielen eine immer wichtigere Rolle beim Einkauf. Deshalb sind aktuell Beschaffungsstrategien en vogue, die für Stabilität und Risikominimierung sorgen.

Exklusivverpflichtungen prüfen

Allen voran will man weg vom Single Sourcing, also der Abhängigkeit von nur einem Lieferanten. Dual oder Multiple Sourcing sichert die Verfügbarkeit der Waren und Dienstleistungen und kann durch den Wettbewerb zwischen zwei oder mehreren Lieferanten zu niedrigeren Preisen und einer besseren Qualität oder Leistung führen.

Becker,_RA_Dr._Ulrich_CMS.jpg
Rechtsanwalt Dr. Ulrich Becker von CMS Hasche Sigle, Frankfurt/Main.
Bild: CMS

Doch ganz so einfach ist die Abkehr von einem Exklusiv-Zulieferer womöglich nicht. „Ein wesentlicher, oft übersehener, aber vorab zu klärender Punkt ist der, ob man überhaupt weitere Lieferanten einschalten darf“, sagt der Rechtsanwalt Dr. Ulrich Becker von CMS Hasche Sigle, Frankfurt/Main. Er empfiehlt dringend eine gründliche Überprüfung der bestehenden Verträge. „Wenn der Liefervertrag exklusive Vertragsbindungen vorsieht, kann man sich durch den Kauf bei Dritten schnell schadenersatzpflichtig machen“, warnt er. Bestünden derartige Beschränkungen, müsse man – bevor man sich einem zweiten und dritten Lieferanten zuwendet – prüfen, ob man kurzfristig kündigen könne oder ob langfristige Laufzeiten vereinbart worden seien.

Ebenso kritisch gestaltet sich das Einbeziehen weiterer Bezugsquellen, wenn dem bisherigen Zulieferer Mindestabnahmemengen zugesichert wurden. „Gelegentlich kommen solche Pflichten auch versteckt vor, beispielsweise im Rahmen einer Verpflichtung zum Bezug von Ersatzteilen für einen längeren Zeitraum nach Vertragsbeendigung“, erläutert Handelsrechtsexperte Becker. „Oft sind derartige Verpflichtungen mit Vertragsstrafen verbunden.“ Wer sich mit einem ganz wesentlichen Teil seines Beschaffungsgutes vertraglich einem einzigen Lieferanten „versprochen“ habe, habe rein faktisch kaum noch die Möglichkeit, woanders zu attraktiveren Konditionen einzukaufen, so der Jurist. Bezieht man Compliance-Überlegungen mit ein – etwa die Sorgfaltspflichten, die das neue Lieferkettengesetz verlangt –, wird klar: Wer vom Single zum Multiple Sourcing wechselt, holt sich Arbeit ins Haus, denn je mehr Lieferanten, umso mehr Prüfungen sind nötig, um die Redlichkeit jedes einzelnen im Hinblick auf Umwelt-, Menschenrechts- und Arbeitsschutzstandards zu ermitteln.

Pro und Kontra Rückverlagerung

Reshoring, also die Verlagerung von Produktions- und Beschaffungsaktivitäten zurück in die nähere Umgebung, wird angesichts von Lieferengpässen vermehrt betrieben. So lassen sich Transportwege reduzieren, Lagerbestände niedrig halten, Qualitäten besser prüfen, Innovationen schneller umsetzen. Alles erscheint leichter, wenn der Lieferant in der Nähe sitzt und die eigene Sprache spricht.

Dem Reshoring verwandt ist das Insourcing. Es bedeutet das Zurückholen der Produktion oder von Teilen davon ins eigene Unternehmen. Doch auch hier können sich haftungsrechtliche Probleme ergeben, wenn man langfristige Lieferbeziehungen kappen will, um selbst zu produzieren. Und ähnlich wie beim Outsourcing können sich auch beim Insourcing arbeitsrechtliche Fragen von einigem Gewicht ergeben, wenn Personal vom ursprünglichen Produzenten übernommen werden soll, Stichwort „Betriebsübergang“.

Hornstein_Jens_Kerkhoff_Group.jpg
Jens Hornstein, Senior Partner und Mitglied der Geschäftsleitung der Kerkhoff Consulting.
Bild: Kerkhoff

„Reshoring ist in vielen Unternehmen derzeit ein Trend – unabhängig davon, ob die mangelnde Verfügbarkeit ursprünglich qualitative, logistikbezogene oder geopolitische Gründen hatte“, bestätigt Jens Hornstein, Senior Partner und Mitglied der Geschäftsleitung der Unternehmensberatung Kerkhoff Consulting. Aber er warnt vor unüberlegtem Handeln: „Der Mensch neigt dazu, seine zuletzt gemachten Erfahrungen überzukompensieren. Dabei gibt es eine Vielzahl alternativer Vorgehensweisen.“

Gewichtige Gegenargumente gegen Reshoring und Insourcing sind die hohen Lohnkosten hierzulande und der enorme Fachkräftemangel. Aus dem Lieferkettengesetz ergibt sich jedoch ein Pro-Argument: Denn eine Supply Chain lässt sich einfacher kontrollieren, wenn sie nicht die ganze Welt umspannt. Mit Lieferanten, die in der Europäischen Union ansässig sind und die EU-Vorgaben an die Corporate Social Responsibility erfüllen müssen, dürfte man in Sachen „Sorgfaltspflichten“ auf der sicheren Seite sein. Und kann darüber hinaus auch noch mit nachhaltigem Handeln („Made in EU“) punkten.

Auf freundschaftliche Beziehungen setzen

Unter anderem ausgelöst durch das weltpolitische Agieren Russlands, gewinnt das Friendshoring, auch Allyshoring genannt, an Bedeutung. Hier geht es um die Verlagerung von Lieferketten durch westliche Industrieländer hin zu politisch verbündeten Volkswirtschaften. Getragen von ähnlichen Werteordnungen sowie der Hoffnung, dass Freunde einem nicht so schnell im Stich lassen, erhofft man sich eine Minimierung des Risikos von Lieferausfällen durch eine bevorzugte Behandlung bei Engpässen. Solche geopolitischen Aspekte spielen bei Beschaffungsvorgängen seit 2014, der russischen Annexion der Krim, vermehrt eine Rolle.

Rechtliche Fallstricke sind bei einem Friendshoring kaum zu fürchten. Wie sich Freundschaften und Partnerschaften vertraglich festzurren lassen, ist der Kreativität der Vertragsgestalter überlassen. Grundsätzlich sollte man sich immer, wenn man einen Handelspartner im Ausland ins Auge fasst, darüber Gedanken machen, welches Recht bei Störungen der Lieferbeziehung zur Anwendung kommt und vor welchem Gericht eine Streitigkeit ausgetragen werden soll.

„Es ist auch von Interesse, wie im Ernstfall die Rechtsdurchsetzung erfolgt“, sagt Anwalt Becker im Hinblick auf die beschränkten Vollstreckungsmöglichkeiten eines deutschen Urteils im Nicht-EU-Ausland. „Bei Verträgen mit Lieferanten aus bestimmten Ländern sollte man deshalb nicht das staatliche Gericht in Deutschland, sondern ein Schiedsgericht vorsehen, sonst kann es zu einem bösen Erwachen kommen.“ Denn der auf den ersten Blick vorteilhafte Gerichtsstand in Deutschland hat einen Haken: Eventuell muss das Urteil, im Vollstreckungsverfahren „Titel“ genannt, erst noch übersetzt werden und ein spezielles Anerkennungsverfahren („Exequaturverfahren“) im Ausland durchlaufen, damit es dort vollstreckt werden kann. Beispiel: In den USA gibt es kein landesweit einheitliches Verfahren für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile, die Regelungen unterscheiden sich auf Bundes- und Landesebene, was es aus Sicht eines deutschen Titelinhabers aufwendig macht, dort vollstrecken zu lassen. Innerhalb der Europäischen Union geht es schneller und zuverlässiger, hier werden die Titel anerkannt und der Gerichtsvollzieher kann direkt loslegen.

Fazit

Welche Aspekte im konkreten Fall eine Rolle spielen, muss jede Einkaufsabteilung für sich bestimmen. „Alle Beschaffungsstrategien haben ihre Daseinsberechtigung in Abhängigkeit von den unternehmensindividuellen Risiken in der Beschaffung“, bestätigt Consultant Hornstein. „Selbst in einem einzigen Unternehmen können alle Strategien warengruppen- oder einzelteilebasiert vorhanden und in der Anwendung sinnvoll sein.“


Die Autorin: Anja Falkenstein,

Rechtsanwältin, Karlsruhe


Serie Einkaufsrecht

RA Anja Falkenstein stellt aktuelle und einkaufsrelevante Rechtsthemen vor.

Unsere Webinar-Empfehlung
Aktuelles Heft
Titelbild Beschaffung aktuell 4
Ausgabe
4.2024
PRINT
ABO

Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de