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„Einkauf ist und bleibt ein Großteil meiner DNA“

Michael Stietz, Executive Vice President Operations (EVP), Körber Technologies
„Einkauf ist und bleibt ein Großteil meiner DNA“

Seit Juli 2023 leitet Michael Stietz den Bereich Operations der Körber AG im Geschäftsfeld Technologies. Zuvor war der leidenschaftliche Einkäufer CPO des Technologiekonzerns. Über die Anforderungen an eine weltumspannende Produktion, die Topline-Bedeutung des Einkaufs und den Wandel der Beschaffung in ein globales Supply Chain Management hat Annette Mühlberger mit ihm gesprochen.

Das Gespräch führte Annette Mühlberger, Journalistin, Stuttgart.

Beschaffung aktuell: Herr Stietz, seit Juli 2023 sind Sie bei Körber – nach vielen Jahren als CPO und nach 20 Jahren im Einkauf – für den Bereich Operations für das Geschäftsfeld Technologies verantwortlich. Was umfasst Ihre neue Aufgabe?

Michael Stietz: In meiner neuen Funktion bin ich für sämtliche Belange um die Weiterentwicklung und Optimierung unserer globalen Standorte in Deutschland, Ungarn, Malaysia und den USA verantwortlich. Das betrifft Planung, Management, Produktion, Qualität und die Beschaffung. Ich habe den Einkauf also nicht ganz verlassen, es ist ein breiteres Aufgabenfeld und damit eine hochspannende Aufgabe.

Was reizt Sie an der Funktion?

Die Verknüpfung der verschiedenen Bereiche im Unternehmen entspricht schon immer meiner Philosophie. Ich folge seit Jahren dem Grundverständnis, dass sich der Einkauf in die Supply Chain und die Supply Chain in Operations entwickelt. Am Ende geht es für ein Unternehmen immer um das Interagieren zwischen Planung, Beschaffung, Logistik, Produktion und Qualität, die gemeinsam den Wertstrom, den Betrieb, das Umsetzen der Kundenversprechen darstellen. Das kann man nicht mehr länger aus einer singulären Funktion heraus betrachten, das ist ein integriertes Denken und Arbeiten.

Dann ist Operations Ihr Traumjob?

Aus heutiger Sicht auf jeden Fall! Operations war für mich der absolut logische Schritt. Das breite Aufgabenfeld, der globale Kontext, die unterschiedlichen Aufgabenstellungen an unseren Standorten, das zeichnet die Aufgabe aus.

Welche Ziele verfolgen Sie für die Standorte?

Für 2024 ist eine Kernfrage, wie wir unsere globale Organisation erweitern – mit einem klaren Fokus auf Kosten, Cashflow, Produktivität und der Verzahnung unserer weltweiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihrer Expertise. Mittelfristig geht es darum, wie wir Arbeitsweisen, Produktions- und Abwicklungsmethoden standardisieren und harmonisieren, sodass wir zu einer wirklich integrierten globalen Organisation werden.

Wo liegen Ihre Schwerpunkte?

In den Entwicklungen der Standorte. Unseren Standort in Malaysia wollen wir ausbauen, den Standort in Ungarn weiterentwickeln. In Hamburg bauen wir eine komplett neue Fabrik, die wir voraussichtlich 2027 in Betrieb nehmen. Außerdem bin ich mitverantwortlich für die Entwicklung des für uns neuen Geschäfts der Batteriezellfertigung. Da geht es um den Aufbau und die Industrialisierung völlig neuer Geschäftsmodelle.

Als CPO haben Sie bei Körber großen Wert daraufgelegt, dass sich der Einkauf im Unternehmen vernetzt. Wie wichtig ist Ihnen der Austausch aus Sicht von Operations? Was soll der Einkauf in die Organisation spielen?

Da der Einkauf Bestandteil von Operations ist, gibt es ein Grundverständnis, dass wir crossfunktional und global zusammenarbeiten. Es geht um die Fähigkeit Netzwerke auszubauen. Das betrifft die Geschäftsbereiche und die globalen Standorte gleichermaßen. Es geht nicht um 100 Prozent gleich, aber um 100 Prozent Miteinander. Die Zirkel sind etabliert. Sie gewährleisten die Durchlässigkeit und den Austausch.

Sie kamen zum Interview aus einem sechsstündigen „Operations Circle“. Welche Fortschritte haben Sie durch die Zusammenarbeit erreicht?

Zu diesem Meeting kommen alle Segmentleiter und globalen Standortverantwortlichen. Das sind die Katalysatoren und Multiplikatoren. Zwischen ihnen muss eine Einigkeit herrschen, damit wir mit einer Stimme in die Organisation sprechen. Dieses Netzwerk haben wir aufgebaut, eine Strategie für die kommenden Jahre entwickelt und so eine gemeinsame Basis geschaffen.

Worum geht es in der neuen Operations-Strategie?

Um Benchmarks für die Produktion, darum, Abläufe, Methoden und Strukturen immer wieder zu hinterfragen. Es geht um Daten, um Technologien, um Ermöglichen, Befähigen, um kontinuierliche Verbesserung. Und es geht natürlich um die Menschen. Das ist für mich kein ausschließliches HR-Thema, die Anforderungen müssen aus der Organisation kommen. Wie entwickeln wir Mitarbeitende weiter, wie gewinnen wir Fachkräfte? Welche Werte schaffen wir für unsere Mitarbeitenden, für unsere Kunden, für das Unternehmen, für unsere Partner, für die Gesellschaft. Die Strategie gibt der Operations Organisation einen klaren Fokus und ein klares Warum.

Welche Maßnahmen haben Sie bereits angestoßen?

Wir wollen unter anderem ein global integriertes Team zur Produktionssteuerung, zur Auftragsplanung und -erfüllung aufbauen. Der S&OP-Prozess ist aus dem Einkauf und SCM heraus bereits etabliert. Der nächste Schritt ist: Wie bearbeiten und verteilen wir die Auftragseingänge in die Slots, die wir in den verschiedenen Produktionen auf globaler Basis haben. Nicht nur für Körber ist es elementar, die Produktionsplanung auf ein nächstes Niveau zu heben. Ein weiteres Thema ist das Working Capital Management. Hierfür betrachten wir die Lieferantenseite, die Bestände und Kundenseite. Dazu der Bereich Sustainability. Wie also befähigen wir unsere Fabriken für die Reduktion des Scope 1 über Energieeffizienz, Photovoltaik, Wärmepumpen. Wir haben energieintensive Produktionsbereiche, für die wir Prozessgase brauchen. Für die Zukunft geht es also auch um die Frage, welche Produktionsmethoden wir einsetzen und wie wir unseren Footprint damit verringern.

Inwiefern helfen Ihnen Ihre Erfahrungen aus dem Einkauf für die neue Aufgabe? Wann setzen Sie die Einkaufsbrille auf, wann müssen Sie sie absetzen?

Die Einkaufsbrille setze ich höchstwahrscheinlich nie ab (lacht). Und das ist auch gut so, denn die CPO-Rolle ist und war für mich die perfekte Vorbereitung für die weitergehende Verantwortung in Operations. Denn was zeichnet einen COP aus: Man lernt mit Komplexität umzugehen. Man lernt Netzwerke aufzubauen, intern wie extern, weil man mit allen Bedarfsträgern und einer Vielzahl von Opportunitäten vom Markt konfrontiert ist. Besonders die letzten Jahre waren im Einkauf intensiv. Einkauf ist und bleibt ein Großteil meiner DNA.

Sie haben die Herausforderungen der vergangenen Jahre angesprochen. Die Industrie in Deutschland steht unter Druck. Wie begegnen Sie den Anforderungen?

Ein Thema, das uns mit vielen herstellenden Unternehmen eint, ist die Digitalisierung. Und zwar nicht nur in Richtung Kunde, sondern wie wir unsere Arbeitsprozesse gestalten und wie wir mit dem Lieferanten interagieren. Körber ist ein Technologiekonzern, wir leben von Innovationskraft. Und das hört nicht bei unseren eigenen Produkten auf, das setzt sich fort. Zudem haben wir extrem ehrgeizige Klimaziele, wollen unsere Treibhausgasemissionen bis 2040 um 90 Prozent reduzieren, wobei wir in unsere Ziele auch den Scope 3 in Richtung Lieferanten und Kunden einbeziehen. Der Weg wird kein einfacher, aber auch hier werden wir proaktiv sein. Dazu kommt das Thema Fachkräfte. Es ist ein globales Problem qualifizierte Fachkräfte zu finden. Als B2B-Unternehmen müssen wir deshalb unsere Marke weiter stärken und unseren Kern nach außen bringen.

Für den Einkauf und die Produktion spielt auch das Risikomanagement eine große Rolle.

Wir sind auf fast allen Kontinenten aktiv, deshalb gilt es immer einen Schritt voraus zu sein, zu antizipieren und nicht abzuwarten, bis etwas eintritt. Das hat uns in den letzten Jahren sehr erfolgreich durch den Sturm der Beschaffungskrisen gesteuert. Da haben wir die richtigen Instrumente und Denkweise an Bord.

War die Lieferkettenregulatorik hierfür eher hilfreich oder hinderlich?

Regulatorik muss man umsetzen. Für mich stellt sich eher die Frage, brauchen wir die Regulatorik oder sind wir proaktiv. Und hier haben wir etwa im Einkauf schon immer vorausschauend gehandelt und schon vor vielen Jahren das aktive Lieferantenportfoliomanagement gestartet. Natürlich haben wir Vorteile, da wir vielfach in Losgröße eins mit besonderen technischen Spezifikationen unterwegs sind. Nichtsdestotrotz setzen wir seit mehreren Jahren auf eine klare lokale und regionale Versorgung und verfolgen dieses Konzept konsequent weiter. Für Körber ist die Lieferkettenregulatorik also kein Umbruch, sondern eine Weiterentwicklung unter dem Stichwort Lieferantenportfolio.

Im Einkauf haben Sie die Digitalisierung massiv vorangetrieben, wie sehen Ihre Pläne für Operations aus?

Aktuell erstellen wir eine digitale Roadmap, die alle Kernfunktionen und Prozesse umfasst. Die Basis ist auch hier die Strategie: Wohin wollen wir uns entwickeln, wo sehen wir Potenziale? Wenn ich auf 15 Jahre Automatisierungs- und Digitalisierungsprojekte, die ich verantworten durfte, zurückblicke, weiß ich, es ist immer der lange Weg, es ist immer die klare Planung. Die Organisation braucht einen roten Faden, damit alle wissen, warum investieren wir hier und nicht in anderen Opportunitäten. Für mich persönlich ist es das Ziel, die transaktionalen Prozesse weitestgehend zu automatisieren und digitalisieren. Damit ich Zeit bekomme in der Organisation, damit wir uns um werthaltige Prozesse kümmern können, um die Lieferanten, um die Planung, um das Innovationsmanagement, die Dispositions- und Lagerstrategie. Mehr Zeit für werthaltige Arbeit statt Systembefriedigung, das ist aus meiner Sicht das Ziel und die Stoßrichtung von Digitalisierungsprojekten.

Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz?

Wir testen in verschiedenen Feldern, wie man KI nutzbar machen kann, um Vereinfachungen zu schaffen. Unser aller Aufgaben werden immer größer und komplexer. Gleichzeitig greifen wir auf denselben Ressourcenpool zurück, deshalb müssen wir Arbeit effizienter gestalten. Dazu ist die Technologie in der Lage. Wichtig ist, auf den richtigen Pfad zu setzen, die richtige Story und Strategie zu verfolgen. Das machen wir in Operations genauso, wie in den letzten Jahren in Einkauf und Supply Chain.

Gibt es schon Beispiele, Projekte, die Sie umgesetzt haben?

An unserem Standort in Ungarn automatisieren und digitalisieren wir aktuell die gesamte Intralogistik. Wir sehen bereits signifikante Effekte, in der Dispositionsstrategie, in den Kommissionierungsabläufen. Unter anderem haben wir ein neues Kleinteilelager mit 28.000 Boxen, das völlig neue Kommissionierungsabläufe erlaubt. Effizienz, Effektivität und Produktivität, diese Ziele prägen Operations weiterhin. In Ungarn haben wir einen sehr großen Schritt gemacht und übertragen diesen nun auf andere Standorte.

Körber hat im Bereich Automatisierung in seinem Geschäftsfeld Supply Chain einen eigenen Intralogistik-Spezialisten im Firmenverbund. Helfen Sie sich hier aus?

Selbstverständlich nutzen wir unser internes Ökosystem. Die Kollegen und Kolleginnen sind bei diesen Projekten immer dabei. Das sind ja genau die Synergieeffekte, die man sich innerhalb eines Konzerns wünscht, die wir haben und auf die wir stolz sind.

Sie wollen Ihre Bestandsplanung optimieren, was ist hierfür notwendig?

Ein „Sales, Inventory & Operations Planning“ wäre aus meiner Sicht die logische Fortführung des Sales & Operations Planning. Wie ich meine Bestände plane, wirkt sich direkt auf das Working Capital aus. Das erfordert eine erweiterte Transparenz und die ein oder andere Ressource, die beim S&OP heute noch nicht selbstverständlich mit am Tisch sitzt.

Der Einkauf spielt für den Umsatz, für die Top-Line der Bilanz, eine immer größere Rolle. Halten Sie den Bedeutungszuwachs für gerechtfertigt?

Meines Erachtens muss die Bedeutung des Einkaufs in dem Bereich noch weiter zunehmen. Die Frage ist doch, wo kommt Innovation her? Wenn ich dann weiß, dass ich mit Tausenden Lieferanten zusammenarbeite, kann ich nur sagen: Ja, es ist hervorragend, dass ich viele Ingenieure und Ingenieurinnen für die Innovation im Unternehmen habe. Aber die Frage ist doch ebenso, auf welche Partner ich zudem setze und dazu brauche ich die Kraft der Supply Chain. Wir alle wissen, dass wir je nach Geschäftsmodell zwischen 30 und 70 Prozent ausgelagerte Wertschöpfung haben. Keiner kann die 100 Prozent leisten und deshalb ist und bleibt der Lieferant ein Partner, den es genauso professionell zu bespielen gilt wie den Kunden und die Entwicklung im eigenen Unternehmen.


Michael Stietz

… ist Executive Vice President Operations bei Körber für das Geschäftsfeld Technologies. In seiner Verantwortung liegen die Leitung und Entwicklung der globalen Operations-Funktionen. Zuvor war er CPO des Körber-Konzerns. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er in diversen Funktionen im Bereich Operations, Einkauf & Supply Chain Management. Er ist zudem Key Note Speaker, Autor und Initiator und Mitgründer des ersten Procurement Lehrstuhls an der Universität Mannheim sowie Gastdozent an den Universitäten Mannheim und München.

 


Zentrale der Körber AG in Hamburg: Bis 2040 will der Konzern seinen CO2-Fußabdruck um 90 Prozent senken. Das betrifft die eigenen Produktionsstandorte genauso wie die Lieferketten.
Bild: Körber AG

Körber

… ist ein internationaler Technologiekonzern mit mehr als 12.000 Mitarbeitenden an über 100 Standorten. Der Körber-Konzern erzielte im Geschäftsjahr 2022 einen Umsatz von 2,5 Mrd. Euro. Die Körber AG ist eine strategische Management-Holding mit Sitz in Hamburg. Die AG führt den Konzern mit seinen vier Geschäftsfeldern Digital, Pharma, Supply Chain und Technologies. Alleinige Aktionärin der Körber AG ist die Körber-Stiftung.

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