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Wie finde ich das richtige Start-ups im Einkauf

„startup2mittelstand“ – wie finde ich das passende Start-up?
Einkauf meets Start-up

Zur Optimierung ihrer Einkaufs- und Personalprozesse haben SEW-Eurodrive, Festo, Kärcher, Trumpf, Zeiss und Sick einen gemeinsamen Start-up-Pitch veranstaltet. Die Initiative ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Einkauf die Zusammenarbeit mit Start-ups vorantreiben kann. Denn die ist nicht ohne Tücken.

Seit der Digitalisierung haben sich in der Industrie die Verhältnisse zwischen Platzhirschen und Newcomern verschoben und die Zusammenarbeit mit Start-ups gehört zum guten Ton. Was in den Konzernetagen etwa der Automobilindustrie begann, wo die Zeichen durch E-Mobilität, Connectivity und autonomes Fahren sowieso auf Umbruch stehen, ist für den Mittelstand nicht minder interessant.

Mehr als die Hälfte arbeiten mit Start-ups

Zwar will jedes viertes Unternehmen nach wie vor nicht mit Start-ups zusammenarbeiten, wie eine aktuelle Befragung der TU München unter 700 Führungskräften zeigt. Dennoch tut es bereits mehr als die Hälfte. Nicht selten läuft es auf eine klassische Zusammenarbeit im Projekt hinaus. Womit das Thema beim Einkauf landet.

Formen der Zusammenarbeit gibt es viele

In den letzten Jahren schoss die Zahl der Initiativen, die Start-ups fördern, wie Pilze aus dem Boden. Praktisch alle großen Konzerne, Universitäten und zahlreiche öffentliche Einrichtungen betreiben (oft in Kooperation) Inkubatoren und Acceleratoren. Für alle, die bislang noch wenig mit der Szene zu tun haben, eine Begriffsklärung:

  • Start-ups: Als Start-ups gelten Unternehmen jünger als sechs Jahre mit wenigen Mitarbeitern, flexiblen Strukturen und flacher Hierarchie.
  • Inkubatoren: Startup-Brutkästen für die ganz frühe Gründungsphase inklusive Finanzierung und Coaching. Die Förderung läuft über bis zu fünf Jahre. Es besteht für die Förderer die Möglichkeit, Ideen noch zu „lenken“.
  • Acceleratoren: Startup-Beschleuniger für ausgereiftere Konzepte, von kürzerer Dauer (bis zu einem halben Jahr), ebenfalls mit Anschubfinanzierung sowie Hilfe zur Konkretisierung und Umsetzung. Acceleratoren stehen für das Austesten von Ideen und eine intensive Zusammenarbeit mit mehreren Start-ups gleichzeitig.
  • Partnerschaft: Klassische, projektbasierte Zusammenarbeit.
  • Venture Capital: Finanzielle Beteiligung zum Beispiel über eine Minderheitsbeteiligung.

Dennoch, das hat Lucas Trunk, Assistenz der Geschäftsführung Finanzen bei SEW-Eurodrive, der das Thema Start-ups für SEW koordiniert, beobachtet: Viele Startup-Initiativen mit dem Fokus Industrie konzentrieren sich im Autoland Deutschland auf den Automotive-Sektor. Deshalb tut sich der Mittelstand mit dem Sourcing interessanter Newcomer zuweilen schwer. „Wir wollten einen eher Maschinenbau-fokussierten Beschaffungsprozess aufsetzen“, erklärte Trunk, warum er sich auf die Suche nach Partnern mit dem gleichen Interesse machte. Für die Startup-Suche ins Boot geholt hat SEW schließlich Global Player aus der Nachbarschaft: Festo, Kärcher, Trumpf, Zeiss und Sick wurden Teil des Teams.

Scouting durch externes Netzwerk

Die Initiative „startup2mittelstand“ entstand so 2018. Die Abstimmung untereinander kristallisierte die Sourcing-Schwerpunkte Einkauf und Personal heraus. Im Frühjahr 2019 kam es zum Startup-Pitch mit Festo als Gastgeber. Vorbereitet und begleitet hat den Prozess das technologie- und industrieübergreifende Munich Network, eine auf die Vernetzung von Start-ups und Industrie spezialisierte Organisation, die sich um das weltweite Startup-Scouting kümmert.

Beworben haben sich insgesamt 174 Startups, darunter 74, die sich mit digitalen Lösungen für Einkauf und Supply Chain beschäftigen. Zwölf Newcomer mit dem Fokus Beschaffung und Lieferkette (u. a. Prädiktive Bedarfsplanung & Lagerverwaltung, Kollaborationsplattformen und Blockchain-Lösungen für Zusammenarbeit mit Lieferanten) wurden eingeladen. Ein weiteres Dutzend pitchte beim zentralen Event in Esslingen digitale Konzepte zur Optimierung des Personalmanagements (u. a. für intelligentes Recruiting, Personal-Administration und Training).

Für die Kooperationspartner hat sich die Veranstaltung gelohnt: „Das Event und der vorgelagerte Scouting-Prozess waren ein voller Erfolg. Für den Einkauf haben wir vier und für den Personalbereich fünf Start-ups ausgewählt, mit denen wir in die tiefere Evaluation gehen“, freut sich Markus Köpschall, Mitinitiator der Initiative, aus dem Innovation and Technology Management bei Festo. Auch SEW-Eurodrive ist zufrieden: „Wir haben für den Einkauf drei Start-ups identifiziert, mit denen wir tiefer ins Gespräch gegangen sind, mit zwei sind wir im Proof-of-Concept, um das Potenzial für eine mögliche Zusammenarbeit evaluieren zu können“, beschreibt Angelika Bittner, Gruppenleiterin Analytik & Prozesse im Einkauf, das erfreuliche Resultat aus Sicht der Beschaffung.

Wie finde ich das passende Start-up?

Das Scouten in der weltweiten Start-up-Szene ist nicht ganz einfach. Als Verbindungsglied fungierte deshalb der Start-up-Spezialist Munich Network. „Wir unterstützen Unternehmen unter anderem bei der Definition von Suchfeldern, Reifegradanforderungen und der Bestimmung der Kollaborationsmöglichkeiten für Start-ups. Anschließend identifizieren wir die spannendsten und innovativsten Start-ups weltweit und treten unmittelbar in Kontakt mit diesen und unterstützen sie bei der Registrierung für die Events“, erklärt Katharina Hickel, Director Innovation Scouting und Sourcing bei Munich Network. Dem offenen Netzwerk gehören aktuell 2300 Industriemitglieder an. . Zu mehr als 400 weltweit verteilten Start-ups-Hubs bestehen persönliche Kontakte. Festo-Innovationsmanager Markus Köpschall weiß, wie aufwändig es ist, die passenden Partner zu finden. So engagiert sich Festo beispielsweise mit 28 weiteren Industriepartnern (u. a. Daimler, Benteler, Linde, Porsche) in der „Start-up Autobahn“ und der Arena2036 der Universität Stuttgart. Über den VDMA ist man ebenfalls an dem Thema dran. Deshalb setzte man auch dieses Mal auf Kooperation. Der Sourcing-Fokus auf die Themen Einkauf und Personal entstand, „weil wir übergreifende Fachbereiche gesucht haben, in denen die Mitarbeiter offen für Innovationen und neue Formate sind“, erzählt Köpschall.

Start-up – für den Einkauf Neuland

Bei Festo war der Einkauf erstmals von Anfang an in das Startup-Scouting einbezogen. Dr. Damir Budinscak, Head of Global Purchasing Category NPM Business Networks, beschreibt die Situation aus Einkaufssicht so: „Die Bedarfe bezüglich der Zusammenarbeit mit Start-ups sind noch sehr fragmentiert, deshalb ist der Einkauf bislang nicht immer direkt im Boot.“ Da der Einkauf in diesem Fall gleichzeitig Bedarfsträger war, konnte er das Scouting von Beginn an steuern. Festo suchte für den Einkauf vor allem nach Lösungen zur Prozessautomation und Beschaffungsmarktforschung.

Dabei hat die Zusammenarbeit mit Start-ups durchaus ihre Tücken. Das fängt schon bei der Definition an. „Wir mussten zunächst festlegen, mit welchen Unternehmen wir überhaupt sprechen wollen. Mit ganz jungen Start-ups, die erste Konzepte formuliert, mit solchen, die bereits eine Lösung am Markt oder mit reiferen Firmen, die Beispielkunden haben“, erzählt Lucas Trunk.

Für welches Problem eine Lösung?

Die Guideline für „startup2mittelstand“: Je innovativer die Technologie, desto frühphasiger durfte das Startup sein. Der Einkauf bei SEW-Eurodrive suchte unter anderem nach neuen Kollaborations-Plattformen. „Bei der Entwicklung neuer SEW Produkte hat der Einkauf den Anspruch möglichst früh im Entwicklungsprozess eingebunden zu sein und die Kollegen aus R&D mit der Identifikation passender Lieferanten zu unterstützen. Innovative Lieferanten für neue Technologien sollen schnellerauffindbar sein.“, beschreibt Angelika Bittner den Bedarf. Ihre Empfehlung für eine mögliche Zusammenarbeit mit Startup-Unternehmen: „Man muss sich bei Startup-Unternehmen darüber bewusst sein, dass auf der einen Seite ein sehr hoher Grad an Motivation und Servicegedanke vorhanden ist, um Sie als Kunden zu gewinnen. Dadurch besteht die Chance neue Technologien nach eigenen Bedürfnissen ein Stück weit mit zu entwickeln. Auf der anderen Seite besteht aber das Risiko, dass das Unternehmen aufgrund dieser stark fokussierten Kundenakquise den Servicegrad wegen der oftmals noch sehr kleinen Mitarbeiteranzahl nicht aufrechterhalten kann.“

Also doch wieder ein ganz klassischer Spezifikations-, Ausschreibungs- und Vergabeprozess? „Das hängt vom Reifegrad des Start-ups ab“, betont Festo-Einkaufsmanager Damir Budinscak. „Kommerziell ist das Auftreten der Unternehmen sehr unterschiedlich. Sind größere Investoren im Spiel, dann ist die Verhandlung durchaus ähnlich wie die mit etablierten Lieferanten. Bei Start-ups in der Frühphase ist auch von unserer Seite eine anders gelagerte Herangehensweise erforderlich“, beschreibt er den Unterschied.

Braucht der Einkauf einen Startup-KPI?

Hinzu kommt: Je frühphasiger Start-ups in die Zusammenarbeit einsteigen, desto schwieriger ist es für den Einkauf, sein Verhandlungsergebnis zu bewerten. „Das ist auch für uns ein Lernfeld, weil wir den möglichen Cash-out oft noch gar nicht einschätzen können“, erklärt Budinscak. Aus seiner Sicht wären deshalb spezielle Anreizsysteme für den Einkauf interessant. Aktuell managt Festo die vertragliche Seite in der Startup-Kollaboration über den IT-Einkauf.

Wichtig ist Augenhöhe. Für Konzerne und Mittelstand sind Start-ups wichtige Impulsgeber. „Ziel muss immer eine gleichberechtigte Partnerschaft sein“, erklärt Kröpschall. Gelingt das, sind Pitches irgendwann die Lieferantentage der Zukunft, ist auch Kollege Budinscak überzeugt.


Tipps aus der Praxis

Erfolgreich mit Start-ups zusammenarbeiten

Die Herausforderungen

  • Cultur Clash: Zeithorizont, unterschiedliche Arbeitsweisen (kaum Standard-Routinen und Prozesse bei den Start-ups), Erwartungshaltungen
  • Minderheitsbeteiligungen (fehlende Möglichkeit aus Konzernsicht)
  • Mitarbeiterkapazität (fehlende Kapazität/keine Priorität zur Startup-Arbeit auf Konzernseite)
  • Ansprechpartner (diverse Ansprechpartner aus verschiedenen Bereichen, unklare Entscheidungsbefugnis)
  • komplexer Beschaffungsprozess
    (Kosten/Nutzen)

Die Voraussetzungen

  • Management Attention
  • Start-up Champions
  • eine digitale Start-up-Plattform
  • an die Ziele von Konzern und Start-up angepasste Kooperationsformen
    (alle Möglichkeiten – Incubatoren/Acceleratoren/Venture Capital – nutzen!)
  • eine klare Venture-Capital-Strategie für Minderheitsbeteiligungen
  • agile Beschaffungsprozesse 

Quelle: Konferenzbeitrag Prof. Dr. Christoph Bode, Alexander Kinski, Stiftungslehrstuhl für Procurement an der Universität Mannheim: „Die Zusammenarbeit mit Start-ups gestalten“
53. BME-Symposium Einkauf und Logistik. Berlin 2018


First Mover

Die Startup-Initiativen der Automobilindustrie

  • Start-up Autobahn: Gründungspartner Daimler, Plug and Play und Arena2036/Uni Stuttgart.
    28 Industriepartner (u. a. Daimler, ZF, Porsche, BASF, Webasto, Rolls-Royce Power Systems, Benteler, Hella, Linde, TÜV Rheinland), 132 Start-ups.
    Im Februar 2019 fünfter Expo Day mit 1000 Teilnehmern aus 41 Ländern.
    Offene, globale Plattform.
  • Start-up Garage: Jährlicher Austausch von BMW mit über 1500 Start-ups aus rund 30 Ländern. Venture-Client-Modell zur Entwicklung funktionaler Prototypen.
  • Future Mobility: Startup-Incubator von VW für die Dauer von sechs Monaten.

Annette Mühlberger, freie Journalistin, Gärtringen

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