Bereits seit 2019 arbeitet die Europäische Union mit dem „Green Deal“ an einem umfassenden Maßnahmenkatalog, der in den letzten Jahren in zahlreiche ESG-Richtlinien eingeflossen ist, die eine nachhaltige Unternehmensführung zum europäischen Standard machen sollen. Kern dieser Regelungen ist die Schaffung von Transparenz in globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten, die europäische Unternehmen in die Pflicht nimmt, stärker auf Sozial- und Umweltstandards in ihren Lieferketten zu achten, um Risiken für Mensch und Klima umfassender abzuschätzen und zu schützen. Neben der European Deforestation Regulation (EUDR) und der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sind hier vor allem die EU-Taxonomie, der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), die aktuell umstrittene Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) und mittelfristig der Electronic Product Passport (ESPR) zu nennen. All diese Regelungen wurden und werden in den nächsten Jahren sukzessive von den politischen Entscheidungsträgern der europäischen Länder in Gesetze und Verordnungen zur ESG-Berichterstattung umgesetzt.
Auch wenn sich die einzelnen Länder noch nicht auf die erst Mitte Dezember letzten Jahres von Rat und Parlament der EU vorgelegte Fassung der CSDDD einigen konnten, zeigen die Diskussionen, dass ein Regelwerk, das den Rahmen für die Nachhaltigkeitsberichterstattung in Europa effektiv und schlagkräftig vereinheitlicht, mehr als notwendig ist. Größter Streitpunkt: Im Gegensatz zum deutschen Lieferkettengesetz (LkSG) sind die zu erfüllenden Anforderungen deutlich weiter gefasst. So sollen bereits europäische Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem Nettoumsatz von mehr als 150 Millionen Euro von der neuen Richtlinie betroffen sein. Darüber hinaus sollen auch Unternehmen außerhalb der EU in den Anwendungsbereich fallen, sofern sie einen Umsatz von mehr als 150 Millionen Euro erzielen und davon mindestens 40 Millionen Euro in der EU erwirtschaften. Entscheidend ist jedoch, dass die CSDDD im Gegensatz zum LkSG eine Betrachtung der gesamten Lieferkette verlangt, d. h. nicht nur vorgelagerte Geschäftsbeziehungen (z. B. Zulieferer), sondern auch nachgelagerte Aktivitäten eines Unternehmens, wie z. B. Vertrieb oder Recycling, müssen berücksichtigt werden.
Die CSDDD soll zudem über den Sanktionsrahmen des LkSG hinausgehen: Sieht das LkSG bei einem Jahresumsatz von mehr als 400 Millionen Euro Bußgelder in Höhe von zwei Prozent des weltweiten Nettoumsatzes vor, sollen es bei der CSDDD bereits fünf Prozent sein. Darüber hinaus könnten bei grenzüberschreitenden Verstößen sogar zivilrechtliche Sanktionen gegen Unternehmen verhängt werden. In jedem Fall würde die CSDDD erhebliche Auswirkungen auf das deutsche Lieferkettengesetz haben, dessen Anpassung dann ebenfalls zu erwarten ist.
Rund 50.000 europäische Unternehmen in der Pflicht
Nicht weniger umfassend als die geplante CSDDD ist die bereits im Januar 2023 von der EU verabschiedete CSRD, die in Deutschland bis Anfang Juli 2024 in nationales Recht umgesetzt werden muss und die bestehenden Regelungen zur nichtfinanziellen Berichterstattung auch für den deutschen Mittelstand neu definieren wird: Allein in Deutschland werden rund 15.000 Unternehmen von der CSRD betroffen sein und Daten und Informationen erheben müssen, um ihren Berichtspflichten nachzukommen.
Als Nachfolgeregelung der bereits 2016 von der EU verabschiedeten Non-Financial Reporting Directive (NFRD) wird die CSRD für alle Unternehmen in der EU – einschließlich EU-Tochtergesellschaften von Nicht-EU-Muttergesellschaften – relevant, die mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllen: Sie haben mehr als 250 Beschäftigte, einen Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro oder eine Bilanzsumme von mehr als 20 Millionen Euro. Für Unternehmen, die bereits unter die NFRD fallen, gelten die CSRD-Berichtsstandards ab 2025, wenn sie über das Geschäftsjahr 2024 berichten. Alle anderen Unternehmen müssen im ersten Quartal 2026 über das Geschäftsjahr 2025 berichten. Ausgenommen vom Pflichtenkatalog der CSRD sind Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen, die nicht kapitalmarktorientiert sind. Mit der CSRD fordert die EU-Kommission die Unternehmen auf, Informationen über „Risiken und Chancen, die sich aus sozialen und ökologischen Fragen ergeben, sowie über die Auswirkungen ihrer Tätigkeiten auf Mensch und Umwelt“ offen zu legen. Da auch über Fortschritte in diesen Bereichen berichtet werden muss, fördert das Gesetz die allgemeine Umstellung auf CO2-Neutralität und Ressourceneffizienz im Einklang mit dem „Green Deal“ der EU.
Die Auswirkungen der ESG-Richtlinie sind enorm, denn sie macht die Nachhaltigkeitsberichterstattung für rund 50.000 europäische Unternehmen zur Pflicht. Dies entspricht 75 Prozent des Gesamtumsatzes europäischer Unternehmen und großer Nicht-EU-Unternehmen.
Mehr Digitalisierung im Einkauf als logische Konsequenz
Mit Blick auf EUDR, CSRD & Co., die nur den Kern einer kommenden Flut weiterer europäischer ESG-Gesetze darstellen, sind Unternehmen jeder Größe – und hier vor allem die betroffenen Abteilungen wie Einkauf und Logistik – gut beraten, die Übergangsfristen bis zur nationalen Umsetzung sinnvoll zu nutzen. Bereits ein Jahr LkSG hat gezeigt, dass auch kleinere Unternehmen, die als Zulieferer oder Zwischenhändler agieren, von ihren größeren Geschäftspartnern in die Pflicht genommen werden und damit kurz- bis mittelfristig ebenfalls von den Auswirkungen dieses und weiterer ESG-Gesetze betroffen sein werden.
Doch wie können die umfangreichen Sorgfaltspflichten dieser Gesetze schnell, ressourcenschonend, einfach und vor allem mit einem Höchstmaß an Rechtskonformität erfüllt werden? Die Antwort auf diese Frage liegt auch hier in der Digitalisierung der entsprechenden Prozesse. Eine speziell auf die Anforderungen z. B. des LkSG, der EUDR oder der CSRD entwickelte Software, kann die für die Überwachung der Lieferketten notwendigen großen Datenmengen sammeln, aufbereiten und für das vom Gesetzgeber geforderte Reporting zusammenfassen. Denn genau hier muss die von der EU geforderte Transparenz zur Wahrung der Menschenrechte und des Klimaschutzes geschaffen werden.
Dass der Einsatz und die Nutzung einer solchen Software nach einem Jahr LkSG und mit Blick auf kommende ESG-Gesetze keine Option, sondern eine Notwendigkeit ist, zeigen die Erfahrungen der Prospitalia GmbH. Das baden-württembergische Unternehmen gehört zu den größten Einkaufsdienstleistern für Kliniken, Klinikapotheken und Pflegeeinrichtungen in Europa und wickelt für jedes dritte Krankenhaus in Deutschland die Beschaffungsprozesse ab. „Als Dienstleister standen und stehen wir voll in der Erwartungshaltung unserer Krankenhäuser, die in Sachen LkSG nicht nur eine intensive Beratung, sondern auch eine umfassende Unterstützung bei der schnellen, sicheren und rechtskonformen Umsetzung des Gesetzes von uns erwarten“, sagt Jens-Patrick Schulz, Leitung Prospitalia Senior Consulting, der bei dem Ulmer Einkaufsdienstleister die digitale Umsetzung der ESG-Vorgaben für alle Vertragspartner verantwortet und ergänzt: „Die Erfahrungen bei der Umsetzung des LkSG für unsere Kliniken haben bereits gezeigt, dass eine klassische Arbeitsweise aufgrund der zu erhebenden Daten beispielsweise mit Excel nicht funktionieren kann.“
Daher setzt die Prospitalia seit Anfang 2023 auf die Zusammenarbeit mit dem Mannheimer Softwareunternehmen Osapiens, das eine KI-basierte Softwareplattform zur digitalen und automatisierten Umsetzung des LkSG entwickelt hat. Das Leistungsspektrum dieser Softwarelösung orientiert sich eng an den jeweiligen Pflichtenkatalogen der aktuellen EU-Richtlinien und Gesetze und bietet ein hohes Maß an standardisierten und automatisierten Prozessen. Auf der Plattform werden die für die Umsetzung des Risikomanagements notwendigen Daten und Informationen kontinuierlich gesammelt und von der Prospitalia für ihre Vertragspartner genutzt.
Neben der Schaffung von Compliance spielt auch das Thema Effizienz eine entscheidende Rolle. „Die Software bietet uns ein Höchstmaß an Effizienz“, sagt Schulz. „Allein durch die Daten und Informationen, die wir in einem Jahr LkSG für unsere Kunden sammeln und automatisiert auswerten konnten, haben wir bereits heute ein hohes Maß an Transparenz in unseren Einkaufs- und Lieferkettenprozessen geschaffen. Und wir gehen davon aus, dass sich insbesondere mit Blick auf kommende ESG-Gesetze noch weitergehende Einsatzmöglichkeiten und Synergien ergeben werden.“
Unternehmerische Nachhaltigkeit – Chancen erkennen und nutzen
Laut Jens-Patrick Schulz hat der Einsatz der LkSG-Software in vielen Prospitalia-Vertragshäusern zudem einen wichtigen Impuls in Richtung Digitalisierung gegeben – ein wichtiger Punkt, da diese in deutschen Krankenhäusern noch in den Kinderschuhen stecke.
Ohne Digitalisierung in Einkauf und Beschaffung können Unternehmen die neuen gesetzlichen Vorgaben zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt also nur schwer umsetzen. Nachhaltigkeit braucht schnellere, präzisere und sicherere Prozesse, die nur durch Digitalisierung erreicht werden können. Dass dies von vielen, vor allem kleineren Unternehmen, als bürokratische Belastung empfunden wird, ist daher nur allzu verständlich. Dennoch sollten gerade mittelständische Unternehmen in Deutschland diese Gesetze als Chance begreifen, unternehmerische Nachhaltigkeit in der eigenen Organisation zu etablieren, damit nachhaltiges Wachstum entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu schaffen und sich so zukunftssicher aufzustellen. Denn für Unternehmen aller Branchen muss Nachhaltigkeit in der Beschaffung aus ethischer und sozialer Verantwortung ebenso selbstverständlich sein wie exzellente Qualität und Versorgungssicherheit.
Nachhaltige Beschaffungsprozesse als Kernelement einer zukunftsorientierten Unternehmensführung sind in enger Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und spezialisierten Softwareunternehmen durch den Einsatz geeigneter Software bereits heute Realität. Dies gilt nicht nur für das mit knappen Ressourcen kämpfende Gesundheitswesen.