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Zustimmung trotz deutscher Enthaltung

Meinungen zur Zustimmung trotz deutscher Enthaltung
Beschluss steht: EU-Lieferketten-Richtlinie kommt

Beschluss steht: EU-Lieferketten-Richtlinie kommt
Obwohl sich Deutschland auf Hinwirken der FDP enthielt, fand sich eine qualifizierte Mehrheit der ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten für das CSDDD. Bild: kittyfly/stock.adobe.com
Am Freitagvormittag (15.3.2024) nahm eine ausreichende Mehrheit der EU-Staaten die Richtlinien für ein europäische Lieferkettengesetz (CSDDD) an, teilte der belgische EU-Ratspräsident via X mit. Obwohl sich Deutschland auf Hinwirken der FDP enthielt, fand sich eine qualifizierte Mehrheit der ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten für das CSDDD. Erste Meinungen aus der Wirtschaft.

DER MITTELSTANDSVERBUND äußerte kurz nach Bekanntwerden des Beschlusses seine Kritik: „Am heutigen Tag nahm der Rat den Kompromiss gegen den erheblichen Widerstand der Wirtschaftsverbände zur europäischen Lieferketten-Richtlinie an. Trotz einer signifikanten Herabsetzung des Anwendungsbereichs bleibt das Ergebnis eine satte Enttäuschung. Bereits aktuell müssen mittelständische Unternehmen eine Vielzahl an Informationen aus den Bereichen „Nachhaltigkeit“ und „Menschenrechte“ zusammentragen, auswerten und an Geschäftspartner weiterleiten.“

BDI mit scharfer Kritik

Der BDI-Präsident Siegfried Russwurm erklärt die Zustimmung zum EU-Lieferkettengesetz als weiteren Rückschlag für Europas Wettbewerbsfähigkeit. Sie „schafft neue Hindernisse für Versorgungssicherheit und Diversifizierung der europäischen Wirtschaft.“ Die Richtlinie beruhe auf wirklichkeitsfremden Vorstellungen und bürde Unternehmen uneinlösbare Pflichten auf, die einen enormen bürokratischen Aufwand verursachen. Aufgrund rechtsunsicherer Bestimmungen und dadurch drohender Sanktions- und Haftungsrisiken könnten sich Unternehmen aus wichtigen Drittländern zurückziehen. Menschenrechten und Umweltschutz wird durch den Rückzug europäischer Unternehmen kein Dienst erwiesen.

Weiter geht es in der massiven Kritik des BDI: „Das Vorgehen der belgischen Ratspräsidentschaft und der Berichterstatterin im Europaparlament, das Projekt gegen alle Widerstände und um jeden Preis im Hinterzimmer durchzudrücken, ist beispiellos. Das Vertrauen in die europäischen Institutionen und in einen ordentlichen Gesetzgebungsprozess wurde hierdurch massiv geschädigt. Der Eindruck, der in der Wirtschaft dadurch geschaffen wurde, ist mit Blick auf die kommenden Europawahlen fatal. Es ist nicht mehr vermittelbar, dass in einer anhaltenden Wirtschaftskrise und entgegen allen Beteuerungen von „Wettbewerbsfähigkeit“, „Industrial Deal“ und „Bürokratieabbau“ ein nach wie vor hoch problematisches und die Unternehmen massiv belastendes Vorhaben verfolgt wird. Auch eine gute Absicht rechtfertigt kein schlechtes Gesetz.“

Folgen gehen über EU hinaus

Auch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hält sich mit Kritik nicht zurück: „…selbst nach mehreren Nachbesserungen bleibt das Gesetz unausgegoren, seine negativen Folgen dürften weit über die EU hinausgehen. Denn die mit der Umsetzung verbundenen Kosten sind hoch und betreffen einen größeren Kreis von Unternehmen als angedacht. Das zeigen die Erfahrungen mit dem deutschen Lieferkettengesetz, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kürzlich in einer Studie untersucht hat.“

Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V. kritisiert dabei vor allem das Wachstum der Bürokratie: „Im letzten Moment hat nun ein erheblich abgeschwächter Entwurf für eine EU-Lieferkettenrichtlinie in Brüssel eine Mehrheit gefunden. Das Ergebnis ist deutlich besser als der ursprüngliche Entwurf. Das eigentliche Problem, die Weitergabe von Berichtspflichten an kleine und mittelständische Unternehmen, bleibt ungelöst. Die Belastungen des Mittelstands werden damit weiter steigen. Das Ergebnis ist kein Sieg für die Menschenrechte, sondern ein Sieg für die Bürokratie“, so Dr. Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA).

„Eine schlecht gemachte Richtlinie bleibt eine schlecht gemachte Richtlinie, da helfen auch keine Nachbesserungen. Sie hilft den Menschenrechten nicht und erschwert die Diversifizierung der Lieferketten“, so Dr. Dirk Jandura weiter. „Ich appelliere an die Bundesregierung, nun so schnell wie möglich das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zu entschlacken.“

„Wir stecken mitten in einer wirtschaftlichen Krise. Der reduzierte Anwendungsbereich hilft dem Mittelstand bei der Weiterreichung von Berichtspflichten innerhalb der Lieferketten wenig. Eine einheitliche digitale Lösung, die alle Berichtspflichten vereint, ist nicht in Sicht. Auch ist die zivilrechtliche Haftung weiterhin Teil des Paketes. Das ist ganz klar ein politischer Deal auf Kosten der Wirtschaft. Europa hat ganz andere Probleme, die dringend angegangen werden müssen“, so der Außenhandelspräsident weiter.

Mehr Unternehmen betroffen als gedacht

Das deutsche Gesetz richtet sich wie sein EU-Pendant eigentlich nur an Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitern. (Der aktuelle EU-Vorschlag sieht zudem einen Mindestumsatz von 450 Millionen Euro Umsatz vor.) Nach einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft ist inzwischen aber fast jedes zweite deutsche Unternehmen betroffen. Denn auch kleinere Firmen müssen die Berichtspflichten erfüllen, wenn sie ein größeres Unternehmen beliefern. Selbst in der Gruppe der Unternehmen mit bis zu 49 Mitarbeitern gibt die Hälfte der befragten Unternehmen an, direkt oder indirekt vom Gesetz betroffen zu sein. Mit schwerwiegenden Folgen: Der Standort wird teurer und damit weniger wettbewerbsfähig.

Komplexe Vorschriften

Laut Institut der deutschen Wirtschaft, wirkt sich das deutsche Gesetz auch schon negativ auf die Entwicklungsländer aus. Weil insbesondere kleinere Betriebe – sowohl in der EU als auch in den Lieferländern – keine Kapazitäten hätten, um sich mit den komplexen gesetzlichen Vorschriften auseinanderzusetzen, wenn sie Angaben für ihre Kunden machen müssen.

So sanken die Bekleidungsimporte aus Entwicklungsländern wie Bangladesch oder Pakistan im Jahr 2023 um mehr als ein Fünftel. Gleichzeitig kamen immer mehr Textilimporte aus Ländern wie Nordmazedonien, Tunesien oder Marokko. Für die Nachhaltigkeit in den Entwicklungsländern seien das keine guten Nachrichten, in Bangladesch etwa entfallen zwölf Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf die Bekleidungsindustrie. Ziehen sich jetzt nicht nur deutsche, sondern auch europäische Unternehmen zurück, müssen die Staaten mit Ländern handeln, deren Umwelt- und Sozialstandards bei weitem nicht auf dem EU-Niveau sind – beispielsweise China.

Politik lässt Wirtschaft allein

„In der Diskussion um die Ausgestaltung der neuen Regeln zum Kampf gegen Menschenrechte ging es mittelständischen Unternehmen keineswegs um Ausnahmeregelungen. Vielmehr wurden überschaubare und vor allem umsetzbare Regelungen vom kooperierenden Mittelstand gefordert.“ so Ludwig Veltmann, Hauptgeschäftsführer, DER MITTELSTANDSVERBUND – ZGV e.V. „Das heutige Abstimmungsergebnis zeigt: Politische Entscheidungsträger überlassen es der Wirtschaft, für einen ausreichenden Schutz von Menschenrechten zu sorgen – staatliche Unterstützung auf Welthandels-Ebene wird in diesem Zusammenhang nicht mal genannt.“

DER MITTELSTANDSVERBUND erinnert die Bundesregierung an ihre Zusage, Doppel-Berichtspflichten zu vermeiden und maximale staatliche Unterstützung in der Umsetzung zu leisten. Nunmehr gilt es erst recht, diese auch konsequent und zeitnah umzusetzen. Denn die politischen Entscheidungsträger haben sich auf europäischer Ebene mit dem EU-Lieferkettengesetz schlicht über diese Zusage hinweggesetzt. Wo es im weiteren nationalen Gesetzgebungsverfahren noch Ansatzpunkte für mehr Realitätsbezug gibt, wird sich der MITTELSTANDSVERBUND im Sinne seiner Mitglieder einbringen.

Die neue EU-Lieferketten-Richtlinie muss nunmehr noch vom Europäischen Parlament angenommen werden und könnte dann bereits dieses Jahr in Kraft treten. Es ist nun aber nicht mehr damit zu rechnen, dass das Gesetzesvorhaben zurückgezogen wird. (sas)

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