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Globale Lieferketten in der Zerreißprobe

Meinung
Globale Lieferketten in der Zerreißprobe

Globale Lieferketten in der Zerreißprobe
Der Autor: Prof. Dr. Robert Fieten, wissenschaftlicher Berater der BA, Köln

Im goldenen Dezennium der Globalisierung von 2008 bis 2018 blieben Industrie und Handel hierzulande weitestgehend verschont von ernsthaften Versorgungskrisen. Es wurden globale Lieferketten aufgebaut, die unsere Unternehmen aber auch die Verbraucher in die Lage versetzten, von den Kostenvorteilen einer global vernetzten Produktion massiv zu profitieren. So bildete sich eine große Abhängigkeit von Zulieferungen aus Asien heraus. Die Unternehmen nutzten die Chance der langen Schönwetterperiode und entwickelten überoptimierte und auf höchste Effizienz getrimmte globale Lieferketten. Im Global Sourcing ging es um Kostensenkung und Kosteneffizienz, in der Logistik um JIT-Belieferung ohne Vorräte. Im Ergebnis entstanden hocheffiziente aber fragile globale Lieferketten.

Spätestens seit Ausbruch der Pandemie und der damit einhergehenden Lockdowns und Störungen in den Lieferketten ist deutlich geworden, dass es für das globale Lieferkettenmanagement ein „Weiter so“ nicht geben kann. Die jüngste Blockade des Suezkanals und die nun folgenden Staus in den europäischen Häfen sind nur eines von mehreren Menetekeln an den Wandel: Empfindliche Störungen der maritimen Seewege mit einem Rattenschwanz von Folgewirkungen sind jederzeit möglich. Die anhaltende Verknappung an Containern und die damit einhergehenden explodierenden Frachtraten, insbesondere auf dem Weg von Asien nach Europa, sind weitere Schläge in die Magengrube des globalen Lieferkettenmanagements. Lieferausfälle durch extreme Wetterereignisse wie etwa die jüngste Frostperiode in Texas, die die Kunststoffproduktion hart getroffen hat, oder die Dürre in Taiwan, die die dort konzentrierte Halbleiterproduktion schwer beeinträchtigt, dürfen nicht als Ausnahmeereignisse abgetan werden. Diese Unterbrechungen, aber auch die Lieferstörungen, die mit der Corona-Pandemie zusammenhängen, bedeuten eine Zerreißprobe für die globalen Lieferketten und werfen die Fragen auf, ob ihre Architektur noch richtig ist und ob die Risiken richtig gemanagt werden.

Als weiteres großes politisches Risiko kommen Protektionismus und damit einhergehende Handelsblockaden hinzu. Der Globalisierung werden dadurch von der Politik Giftpillen verabreicht.

Wir müssen heute ernüchtert feststellen, dass ein globales Lieferkettenmanagement, das Krisenszenarien ausblendet und primär auf Effizienz und JIT statt auf Resilienz setzt, im Ernstfall nutzlos, ja sogar lebensbedrohend ist. Was ist zu tun? An die Stelle von Klumpenrisiken bei den Lieferquellen muss eine stärkere Diversifizierung treten. Ein Reshoring, etwa der Chip-Produktion nach Europa, ist geboten. Der JIT-Fetisch muss gestutzt werden. Vorräte in der Supply Chain sind nicht per se schlecht. Das Risikomanagement in Beschaffung und Logistik muss professionalisiert werden. Natürlich hat dies alles seinen Preis: Es ist der Preis einer resilienten Versorgung. Diesen Preis werden Industrie, Handel und Verbraucher zahlen müssen.

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