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„Dadurch werden einige Lieferanten rausfliegen!“

Corporate Social Responsibility
„Dadurch werden einige Lieferanten rausfliegen!“

Corporate Social Responsibility wird international zu einem beherrschenden Thema. Davon wird auch der Unternehmensbereich Einkauf beeinflusst werden. Welche Veränderungen und Anpassungen nachhaltiges Einkaufen erfordert, schildert der Einkaufsexperte Leopold Hermann im Interview.

Herr Hermann, 2023 soll das Lieferkettengesetz in Deutschland in Kraft treten. Wer ist davon wie betroffen?

Leopold Hermann: Ab dem 1. Januar 2023 wird das Gesetz zunächst für Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten gelten, ab 2024 dann auch für Mittelständler mit mehr als 1000 Mitarbeitern. Kurz zusammengefasst: Es sieht generell strenge Sorgfalts- und Haftungsregeln für die Unternehmen vor, sie sind auch verantwortlich dafür, dass ihre Lieferanten und Vorlieferanten diese Regeln einhalten, die mit dem Schlagwort Corporate Social Responsibility (CSR) erfasst werden.

Ist das ein deutscher Alleingang?

Hermann: Nein. Bis Ende 2021, so der Plan, soll ein Richtlinienvorschlag erarbeitet werden, der EU-weit nachhaltige Unternehmensführung regeln soll, einschließlich unternehmerischer Sorgfaltspflichten entlang der globalen Lieferketten. Ob das gelingt, ist abzuwarten.

Teilforderungen der CSR wurden in der EU bereits gesetzliche Pflicht: Seit 2017 schreibt in Frankreich das Loi de vigilance, also die Wachsamkeitspflicht, für Unternehmen mit Hauptsitz in Frankreich und mehr als 5.000 Mitarbeitenden im Inland bzw. 10.000 Mitarbeitern weltweit vor. Damit sollen schwerwiegende Verstöße in den Lieferketten gegen Grundrechte, die Gesundheit, die Sicherheit von Personen und die Umwelt verhindert werden.

In den Niederlanden existiert seit 2019 ein Sorgfaltspflichtengesetz speziell gegen Kinderarbeit (Wet Zorgplicht Kinderarbeid): Unternehmen sind danach verpflichtet, zu prüfen, ob Kinderarbeit in ihren Lieferketten stattfindet. Generell aber ist das deutsche Lieferkettengesetz bislang die umfassendste Vorgabe für nachhaltige Unternehmensführung und Beschaffung.

Nachhaltigkeit schafft Business Value

Sind die Unternehmen darauf vorbereitet?

Hermann: Das Bewusstsein dafür ist zumindest da. In der aktuellen, jährlichen Hackett-Key Issue-Studie zum Thema Einkauf haben die untersuchten und befragten Unternehmen zum ersten Mal „nachhaltige Unternehmensführung“ unter die 10 Hauptaufgaben ihrer Agenda aufgenommen. Und etwa 92 Prozent planen Nachhaltigkeitsstrategien für die nahe Zukunft.

Anders sieht es in der Praxis aus: 33 Prozent der Unternehmen haben noch kein Nachhaltigkeitsprogramm entwickelt und erst knapp 40 Prozent passten ihre Beschaffung schon an die Unternehmens-CSR an.

Fühlen sich die Unternehmen überfordert?

Hermann: In den letzten Jahren sind immer mehr Aufgaben auf den Einkauf eingeprasselt: Früher war er vorwiegend der Verhandler, der Kostenvorteile bei den Zulieferern herausgeholt hat. Nach der Kostensenkung wurde Beschaffung mit den aufwendigen Transformationsprozessen für Digitalisierung konfrontiert. Parallel dazu wurde der Beitrag der Beschaffung zur unternehmerischen Wertsteigerung, dem Business Value, immer wichtiger. Und nun die Nachhaltigkeit.

Das Gefühl der Überforderung weicht aber bei vielen Unternehmen der Erkenntnis, dass unternehmerische Nachhaltigkeit und nachhaltige Beschaffung entscheidend zum Business Value beitragen: Risiken werden dadurch minimiert und die positive Wahrnehmung der Brand wird unterstützt. Umgekehrt wird auch ein Schuh draus: Wer Nachhaltigkeit vernachlässigt und das kommt ans Licht, der wird seine Marke ganz schnell ramponieren. Und: Kunden kaufen bei Nachhaltigkeitsverweigerern nicht mehr ein – sowohl im privaten Bereich als auch im Business- und Industriesektor. Damit ist der Unternehmenswert schnell verspielt.

Zurück zum Positiven: In welchen Bereichen sollten die Nachhaltigkeits-Befürworter Programme entwickeln?

Hermann: Drei Bereiche gehören ganz eng zusammen, auch im Bereich Procurement: Economic development, Social well being und Environmental protecting. Die wirtschaftliche Entwicklung betrifft die gesamte interne und externe Supply Chain der Unternehmen, das soziale Klima betrifft die eigenen Mitarbeiter, aber auch die der Zulieferer und der Umweltschutzaspekt befasst sich damit, welche konkreten Auswirkungen das Unternehmensbusiness auf die Umwelt hat.

Beispiele dafür?

Hermann: Dazu gehört, dass man die einzelne Fertigungsstufen nicht über X Länder transferiert, wie beim Krabbenfang: Gefischt wird in der Nordsee, verarbeitet wird dann der Fang 1000 Kilometer entfernt in einem Billiglohnland. Dass in der Textilindustrie keine Kinderarbeit genutzt wird. Dass generell auf menschenwürdige Behandlung Wert gelegt wird. Dass in der Chemie oder dem Maschinenbau möglichst geringe CO2-Werte erzielt werden. Dass keine Korruptionsgelder bezahlt werden entlang der Liefer- und Fertigungskette. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.

Themenwechsel: Nachhaltigkeit verursacht ja Kosten. Wie soll sich da Wertsteigerung einstellen?

Hermann: Klar, es ist sicher zunächst problematisch für den Einkäufer, den teureren Lieferanten zu nehmen, um nachhaltiger zu sein – die Mehrkosten können ja nicht in jedem Fall bei den Endkunden aufgeschlagen werden. Das ist sicher schwierig. Andererseits: Es gibt da eine Reihe von Fördermaßnahmen durch den Staat, etwa für Energieeinsparungen, geringeren CO2-Ausstoß – da heißt es, die Augen offen zu halten und solche Fördermaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Dazu kommen dann auch noch konkrete Kosteneinsparungen durch weniger Energieverbrauch und schließlich der Imagegewinn für die Unternehmens-Brand, der sich auf Dauer auch konkret im Umsatz und Gewinn äußert.

Nachhaltigkeit erfordert Zusammenspiel

Nachhaltige Beschaffung kann aber keinesfalls im Alleingang realisiert werden …

Hermann: …natürlich nicht. Da braucht es ein enges Zusammenspiel mit Finance, HR und IT, um alle Nachhaltigkeitsbereiche abdecken zu können und konsequent zu realisieren. Das nimmt allmählich Fahrt auf: In mehreren Unternehmen ist ein Teil der Vorstandsvergütung auch an die Realisierung der Nachhaltigkeit gekoppelt. Das wird danach runtergebrochen auf andere Hierarchieebenen, auch den Einkauf: Die jeweilige Vergütung wird erhöht oder Bonuszahlungen sorgen für Engagement in Sachen Nachhaltigkeit.

Die IT hat dabei besonderen Stellenwert: Sie sorgt für die nötige Transparenz der Source2Pay-Prozesse und liefert alle Daten für Risiken, Transparenz, Emissionen, Energieverbrauch, Personaleinsatz, Kosten: In diesen Bereich muss investiert werden. Die Unternehmen müssen exakt darstellen können, wie Nachhaltigkeitsmaßnahmen wirken. Zudem wachsen Unternehmen und Lieferanten immer mehr zusammen durch Digitalisierung: Je mehr valide Daten ausgetauscht werden, umso fehlerfreier und schneller funktioniert die Supply Chain, umso leichter werden gemeinsame Innovationen möglich.

Wie muss sich das Beschaffungswesen umstellen, um Nachhaltigkeit zu realisieren?

Hermann: Das gilt vor allem für drei Bereiche:

Sourcing. Hier müssen alle Anforderungen an die Lieferanten angepasst werden. Die Lieferanten müssen durch Zertifikate belegen, dass sie nachhaltig agieren, dass sie CO2 minimieren, dass sie ihre Mitarbeiter gut und fair behandeln etc. Wenn solche Belege nicht beigebracht werden können, gibt das Maluspunkte in der Bewertungsskala oder sogar Ausschluss aus dem Verfahren.

Contracting. Hier muss geprüft werden, ob alle relevanten Dokumente und Zertifikate vorliegen, wie die Bewertungsskalen der unterschiedlichen möglichen Lieferanten aussehen, auch unter Kostenaspekten. Zudem müssen diese Maßnahmen in die Verträge aufgenommen oder geregelt werden.

Onboarding. Der mögliche Lieferant lädt ja seine Dokumente digital im Onboardingprozess hoch. Bei diesen Unterlagen muss er auch auf die Nachhaltigkeitskriterien der Kundenunternehmen eingehen, die entsprechenden Dokumente liefern und aktuell halten, was Risikomanagement, Nachhaltigkeit, Umweltschutz und humane Arbeitsplätze angeht. Wer das nicht erfüllen kann, kommt als Lieferant nicht in Frage. Diese Schritte haben einen enormen Einfluss auf das komplette Bestellwesen: Es werden ausschließlich nur noch die Produkte und Services eingekauft, die den eigenen Anforderungen entsprechen. Da können durchaus Switches im Zuliefernetz entstehen und manche Supplier rausfliegen.

Wie müssen für nachhaltig ausgerichtete Einkauf die Weichen gestellt werden?

Hermann: Bei Governance und Organisation müssen die Rollen und Verantwortlichkeiten klar definiert, Richtlinien installiert oder geändert, KPIs erstellt und implementiert werden. Beim Talent Management gilt es, entsprechend ausgebildete Mitarbeiter zu rekrutieren oder zu schulen. Unter Policies müssen Einkaufsstrategien in einem Code of Conduct verankert und zudem verbindliche Lieferantenrichtlinien erarbeitet werden. Performance Management verlangt die Einführung von Evaluierungsmechanismen, etwa Score Cards, um kontinuierlich zu prüfen, ob die angestrebten Nachhaltigkeitswerte eingehalten werden. Im Category Management der unterschiedlichen Warengruppen, aber auch von direktem und indirektem Material, muss verfolgt werden, welche Risikofaktoren da jeweils gegeben sind und welche Nachhaltigkeitsaspekte im Vordergrund stehen. Das kann bei Stahl der CO2-Wert sein, bei Textilien ein Verbot für Kinderarbeit.

Was müssen Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit generell beherzigen?

Hermann: Nachhaltigkeit wird immer stärker den unternehmerischen Alltag bestimmen. Deshalb ist es wichtig, effektive und kostengünstige Lösungen und Maßnahmen zu realisieren – dabei helfen Anpassungen der Organisation, die Förderung von Talenten und generell digitale Tools und zukunftsorientierte IT – das verursacht zwar Mehrkosten, macht sich aber auf lange Sicht bezahlt. (sas)


Leopold Hermann

… ist seit Mitte 2021 Senior Director Procurement Central Europe bei The Hackett Group. Davor war er als Consultant in verschiedenen Funktionen bei den Beratungsunternehmen KPMG, Kerkhoff und PWC tätig. Von 2017 bis 2020 lehrte er zudem als Dozent an der International School of Management, Dortmund.

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