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Dr. Florian Seidl, Keller & Kalmbach, zu den derzeitigen Herausforderungen, Analyse-Tools, Nachhaltigkeit und Digitalisierung

Dr. Florian Seidl, geschäftsführender Gesellschafter, Keller & Kalmbach, im Interview
Die Analyse wird immer wichtiger

Seit 1979 ist Dr. Florian Seidl Geschäftsführer der Keller & Kalmbach GmbH. Wie er die letzten Jahre erlebt hat und wie moderne Analyse-Tools sowohl dem C-Teile-Spezialisten als auch seinen Kunden dabei helfen, den derzeitigen Herausforderungen zu begegnen, erzählt er im Gespräch mit der Beschaffung aktuell. Dabei standen auch die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung auf der Agenda.

Beschaffung aktuell: Herr Dr. Seidl, Keller & Kalmbach hat neun Standorte in Deutschland und ist international an neun weiteren vertreten. Wie erleben Sie diese volatilen Zeiten?

Dr. Florian Seidl: Gesamtwirtschaftlich befinden wir uns in einer schwierigen Gemengelage. Der Umgang mit enormen Preissteigerungen auf dem Markt für Verbindungs- und Befestigungstechnik sowie die Aufrechterhaltung einer stabilen Lieferkette sind für uns die größten Herausforderungen. Wenn man unsere Kundensegmente in Deutschland näher betrachtet, so kann man sagen, dass die Auftragslage in der Automobilindustrie zwar gut ist, die Teileverfügbarkeit aber hier ein großes Problem darstellt – sei es die Chipkrise, die uns seit Monaten begleitet oder der Ausfall von Bordnetzproduzenten durch den Ukrainekrieg. Das führt zu Produktionsausfällen und das spüren auch die Zulieferer. Zudem ist bei der Weitergabe von unumgänglichen Preisanpassungen an Kunden für uns alle Fingerspitzengefühl in der Kommunikation gefragt. Positiv ist für uns, dass die Auftragslage in einer unserer Fokusbranchen, dem Maschinenbau, bis ins Jahr 2023 sehr gut ist. Unsere Kunden sind hier sehr positiv gestimmt. Auch im Hinblick auf die Bahnindustrie, die wir ebenfalls versorgen, blicken wir mit Zuversicht in die Zukunft.

Inwiefern spüren Sie die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf Ihr Geschäft?

Seidl: Wir haben vor fünf Jahren mit der Versorgung unserer Industriekunden in Russland begonnen und haben für die lokale Betreuung einen Standort in Jekaterinburg eröffnet. Die durch den Ukrainekrieg erlassenen Sanktionen haben dazu geführt, dass wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Russland nicht unterstützen können und sie aktuell auf sich alleine gestellt sind. Zudem sorgt der Krieg einkaufsseitig für steigende Energie- und Rohstoffpreise und führt zum Teil zu weiteren Ressourcenengpässen, z. B. bei Eisenerz, Nickel oder im Rohstahlbereich.

Welche Art von Gütern beschaffen Sie und wo liegen Ihre Einkaufsmärkte?

Seidl: Wir versorgen unsere Industriekunden weltweit mit Verbindungselementen, die wir nicht nur genormt einkaufen, sondern auch für spezifische Anforderungen in Form von Sonder- und Zeichnungsteilen produzieren lassen. So lassen wir Dreh- und Frästeile, Stanz- und Biegeteile sowie Fließpress- und Kunststoffteile in allen Werkstoffen, Güteklassen und mit jeder Oberfläche bzw. Beschichtung herstellen. Daneben beliefern wir unsere Kunden mit Befestigungstechnik, Werkzeugen, Industriebauteilen und einer großen Palette an weiteren C-Teilen wie beispielsweise chemisch-technische Produkte. Unsere Beschaffungsmärkte befinden sich in Europa und Asien. Durch die Lieferengpässe, die mit der Ukrainekrise zusammenhängen, sowie die Einführung der Anti-Dumping-Zölle auf Verbindungselemente aus China haben wir unser Lieferantenportfolio erweitert und Partner in anderen Ländern gefunden, die unsere hohen Qualitätsstandards abbilden können. In Anbetracht der sehr langen Lieferzeiten aus Fernost haben wir auch neue Beschaffungsquellen in Osteuropa aufgebaut. Diese liefern schneller, aber nicht zu den preislich günstigen Konditionen wie Fernost.

Wie sehr waren Sie von Engpässen betroffen? Und welche Auswirkungen hatte das auf Ihre Kunden?

Seidl: Covid-bedingt gibt es noch immer Störungen der weltweiten Lieferketten, die sich durch die Entwicklungen in China weiter verstärkt haben – der Lockdown in Shanghai hat zu einem Frachtschiffstau im größten Hafen der Welt geführt. Wir arbeiten allerdings eng mit unseren Partnern in China zusammen und haben Verschiffungen unserer Ware teilweise auf andere Häfen verlegt. Daneben führen die Anti-Dumping-Zölle auf Stahlschrauben und Stahlscheiben zu einer weiteren Verknappung der für Europäer nutzbaren Produktionskapazitäten, was die Preise noch einmal in die Höhe treibt. Insgesamt stellen wir fest, dass Einschränkungen und Verknappung aber zu neuen Ideen und innovativen Lösungen führen können. So haben wir unsere Strategie hinsichtlich der Bezugsquellen für Produkte tiefgreifend überarbeitet und, wie schon erwähnt, neue Lieferanten aufgebaut. So bleiben wir handlungsfähig und können zielgerichtet in die Supply Chain eingreifen. Zudem haben wir die Digitalisierung in den vergangenen Monaten mit Hochdruck vorangetrieben und setzen auf tiefgreifende datenbasierte Analysemöglichkeiten, um verschiedene Szenarien zu simulieren und Lieferengpässen und -verzögerungen vorzubeugen. So konnten wir unsere Kunden zu jeder Zeit zuverlässig versorgen. In Gesprächen signalisieren sie immer wieder, dass sie den Einsatz unserer Advanced Analytics Tools als sehr hilfreich wahrnehmen, da dadurch frühzeitig eingegriffen wird, wenn absehbare Engpässe auftreten. Zum Beispiel auf Basis von Prognosen, die sich in die falsche Richtung entwickeln.

Wie haben sich die Einkaufspreise für Keller & Kalmbach entwickelt? Inwieweit müssen Sie diese an Ihre Kunden weitergeben?

Seidl: Neben den Auswirkungen der Bezugsquellenanpassungen für einige Artikel und Produktbereiche gibt es noch weitere wichtige Faktoren, die sich preissteigernd auswirken. Da sind vor allem die gestiegenen Preise für das Vormaterial zu nennen. Der Materialpreisindex des DSV für Walzdraht, der für die Produktion von Schrauben benötigt wird, hat sich innerhalb eines Jahres fast verdoppelt, die entsprechenden Produkte sind damit bis jetzt um über 25 Prozent teurer geworden. Bei Edelstahl sieht es ähnlich aus. Dazu kommen die gestiegenen Energiekosten, mit denen wir alle konfrontiert werden, und die Verpackungskosten, die sich seit Beginn der Pandemie um über 60 Prozent verteuert haben. Das betrifft nicht nur Kartonagen, sondern auch Umverpackungen, Europaletten und weitere Materialien. Dazu kommt, dass sich die Preise für Containertransporte aus Asien im Schnitt vervierfacht haben! Was all unsere Standorte eint ist die Herausforderung, mit den enormen Preissteigerungen umzugehen. Wir müssen natürlich die Preiserhöhungen bei unseren Kunden durchsetzen, um die Existenz der Firma zu sichern und nicht in eine gefährliche Schieflage zu geraten. Gleichzeitig stehen wir unseren Kunden beratend zur Seite, um Einsparpotenziale aufzudecken. Zum einen bieten wir gemeinsame Produktionsbegehungen, die sogenannten Linewalks, zum anderen implementieren wir C-Teile-Management-Lösungen zur ganzheitlichen Supply-Chain-Optimierung, mit denen hohe Prozesskosteneinsparungen einhergehen.

Walk the Line

Haben Sie etwas unternommen, um den Einkauf bzw. die Logistik resilienter aufzustellen?

Seidl: Wie schon erwähnt, haben wir den Digitalisierungsgrad in unserem Unternehmen maßgeblich erhöht, um entsprechend effizient zu agieren. Vor allem aber auch, um valide Forecasts für die Zukunft erheben zu können. Im Einkauf haben wir die Märkte intensiv im Blick und können durch den engen Austausch mit Partnern schnell einschreiten, wenn sich Marktgegebenheiten verändern. Selbstverständlich führen wir darüber hinaus Risikoanalysen durch und agieren aktiv, wenn sich Parameter verändern, wie das beispielsweise bei der Anpassung unserer Beschaffungsquellen notwendig wurde. Sehr viele Produkte haben wir auch auf einen Dual- oder Multi-Source-Ansatz umgestellt. Als großen Meilenstein ordnen wir die Entwicklung und den Einsatz unserer Advanced Analytics Tools ein, mit denen wir z. B. Forecastzahlen, die uns unsere Kunden mitteilen, prüfen und analysieren können. Falls wir einen Fehler identifizieren, muss dieser behoben werden, sonst ist ein Einspielen der Daten in unser System nicht möglich. Ein anderes Tool simuliert die Bestandsverläufe mittels Szenarioplanung, um kritische Bestandsverläufe im Voraus zu identifizieren. Wir haben mittlerweile eine Fülle an Werkzeugen im Einsatz, die verschiedene Bereiche fokussieren. Sie sind intuitiv und modular aufgebaut und geben uns in Echtzeit einen Einblick in unsere Datenwelt. Aus unserer Sicht lohnt es sich, Kompetenzen in diesem Bereich aufzubauen, denn die Erkenntnisse, die uns die Datenanalysen liefern, sind unbezahlbar. Letztlich geht es immer um die Versorgungssicherheit unserer Kunden.

Wie geht Keller & Kalmbach das Thema Nachhaltigkeit an? Wie unterstützen Sie Kunden hierbei?

Seidl: Wir verfolgen ein striktes Nachhaltigkeitskonzept, indem wir unseren CO2-Ausstoß in vier Jahren um 25 Prozent gesenkt haben und daran arbeiten, bis 2030 CO2-neutral zu werden. Unser größter Energieverbraucher ist das Zentrallager Hilpoltstein. Dies wurde schon 2008 bewusst ohne fossile Brennstoffe für Heizung etc. geplant. Vielmehr wird mit Wärmepumpentechnik Energie in unserem eine Million Liter umfassenden Sprinklertank gespeichert, die im Winter zum Heizen und im Sommer zur Kühlung der Büroräume verwendet wird. Die Regalbediengeräte, die teilweise bis zu 40 Meter hoch sind und viele Tonnen bewegen, gewinnen auf ihren Abwärtsbewegungen Energie zurück. Für 2022 haben wir die Erweiterung unserer vorhandenen Photovoltaik-Anlage (50 kWp) an unserem Logistikstandort Hilpoltstein auf 800 kWp beauftragt. Wir setzen an zahlreichen Stellen an, um unseren Teil dazu beizutragen, verantwortungsvoll mit Ressourcen umzugehen. Uns ist es aber wichtig, dass wir diesen Aktionsplan auch um soziale Rechte ergänzen, das heißt den Umgang mit Mitarbeitern und die Achtung der Menschenrechte einschließlich der Kriterien der Arbeitnehmerrechte und der sozialen Verantwortung von Unternehmen in den Wertschöpfungsketten unserer Vorlieferanten. Wir haben jüngst einen Nachhaltigkeitsreport veröffentlicht, in dem wir Einblicke in unsere Aktivitäten ermöglichen. Unser Geschäftsmodell ist zudem gelebte Nachhaltigkeit, denn C-Teile-Logistik reduziert die Transportkosten dramatisch.

Wie genau kann C-Teile-Logistik nachhaltig die Transportkosten reduzieren?

Seidl: Die Emissionen der Lieferkette eines Unternehmens sind laut SAP-Vorstand Saueressig im Durchschnitt mehr als fünfmal so hoch wie dessen direkte Emissionen. Das Geschäftsmodell von Keller & Kalmbach leistet eine wesentliche Optimierung der Lieferkette unserer Kunden. Es reduziert Komplexität, vermeidet eine große Zahl von Transaktionen und hilft, Verwaltungs- und Transportvorgänge durch die Bündelung im C-Teile-Management drastisch zu reduzieren. Das Ziel einer C-Teile-Logistik – wie z. B. einer Kanban-Belieferung – ist, diese Kosten der Beschaffung erheblich zu reduzieren. Das bedeutet, dass nicht nur die internen Prozesse und die Kapitalbindungskosten sinken, sondern vor allem auch die Anzahl der Transporte reduziert wird. Die Bündelung der Produkte erfolgt beim C-Teile-Logistiker, der diese lagert und in festgelegten Intervallen in oder an die Produktion liefert. D. h. wenn ein Kunde für 100 Artikel 10 Lieferanten hat, die im Schnitt jede Woche einen oder mehrere Artikel liefern, fallen im Zeitraum von 12 Wochen 120 Transportvorgänge, Wareneingänge etc. an. Wenn ein C-Teile-Logistiker wöchentlich gebündelt liefert, fallen für den Kunden genau 50 Liefervorgänge an und aufgrund der größeren Lagerhaltung des C-Teile-Logistikers bei viermaliger Lieferung durch die Lieferanten 30 Vorgänge. Insgesamt sind es also 80 Liefervorgänge anstelle von 120.

Sie sprachen den Einsatz von Advanced Analytics an. Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz für Sie jetzt und in Zukunft?

Seidl: Die digitale Transformation schreitet voran. Es gilt, Daten zu sammeln und mit Kunden und Lieferanten regelmäßig auszutauschen, auszuwerten und gezielte Aktivitäten abzuleiten. In unserem Fall sieht das konkret so aus: Wir haben über 200.000 aktive Teile. Ungefähr 50 Disponenten disponieren diese Teile und lösen jährlich ca. 160.000 Bestellpositionen aus. Die Teile beschaffen wir von über 3000 Lieferanten und überwachen diese Bestellungen, bis sie in unserem Zentrallager eintreffen. Um Entscheidungen auf einer validen Datenbasis treffen zu können, haben wir mit dem Einsatz von Advanced Analytics begonnen. Damit sind wir in der Lage, die Dispositionsparameter, Lieferzeiten und Bedarfsprognosen automatisch an die aktuelle Situation anzupassen – und das i. d. R. völlig automatisch. Unsere Analysetools sind aus dem Tagesgeschäft nicht mehr wegzudenken und unterstützen auch unsere Mitarbeiter im Kundenkontakt maßgeblich. Industriekunden versorgen wir mit C-Teile-Logistiklösungen und erkennen sofort, wenn Anpassungen bei den Bedarfen notwendig sind – meist bevor uns das aktiv kommuniziert wird. Um unseren Kunden den Zugang zu Forecasts zu ermöglichen, planen wir die Integration in unsere neue Plattform Logtopus. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig, so können auch Drittlieferanten eingebunden werden oder interne logistische Prozesse. Ziel ist die automatisierte Supply Chain, die auch Sondereinflüssen und Schwankungen standhält.

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