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Nachbessern oder neu liefern

Rechtsfragen im Beschaffungsprozess: die Nacherfüllung
Nachbessern oder neu liefern

Nachbessern oder neu liefern
Regelrecht kompliziert wird es bei der Nacherfüllung, wenn beispielsweise eine bereits verbaute Pumpe merkwürdige Geräusche von sich gibt. Werden Mängel erst nach dem Einbau sichtbar, verlängern sich die Rügezeiten. Bild: Alex Stemmer/stock.adobe.com
Das Recht auf Nacherfüllung wurde vom Gesetzgeber in den letzten 20 Jahren mehrfach neu ausgerichtet. Deshalb sind heute noch teilweise veraltete Rechtsauffassungen im Umlauf. Hier folgt der aktuelle Stand der Rechtsdinge.

Vor der grundlegenden Reform des Schuldrechtes im Jahr 2002 stand das Recht zuerst einmal aufseiten des Verkäufers. Hatte dieser eine Bestellung abgeliefert, so waren damit trotz eventueller Mängel alle Pflichten aus dem Kaufvertrag erfüllt. Der Käufer dagegen konnte bei erheblichen Mängeln nur eine Wandelung des Kaufvertrags oder alternativ eine Minderung des Kaufpreises verlangen. Sprich: Er konnte eine objektiv mangelhafte Lieferung ablehnen und den Kaufvertrag rückgängig machen, aber nicht die eigentlichen Vertragsleistungen einfordern. Schadenersatz konnte der Käufer nur bei Nichterfüllung, beim Fehlen einer konkret zugesicherten Eigenschaft oder bei arglistiger Täuschung verlangen. Den Ausgleich eventueller Folgeschäden einer mangelhaften Lieferung wurde vor der Reform nicht durch das Gesetz geregelt, sondern war Aufgabe nachfolgender individueller Schadenersatzprozesse.

Bis der Vertrag uns scheidet

Mit der Reform von 2002 hat der Gesetzgeber die Vertragspartner in guten wie in schlechten Tagen aneinandergekettet – der Kaufvertrag besteht seither trotz auftretender Mängel weiter und verpflichtet den Verkäufer zur mängelfreien Lieferung des Kaufgegenstandes. Als Mangel zählt dabei alles, was im Kaufvertrag vorher festgelegt wurde. Darunter fallen nicht nur die eigentlichen Leistungsdaten des Vertragsgegenstandes, sondern auch dessen Abmessungen, Materialien, die Optik und gegebenenfalls auch das Baujahr. Weicht die Soll-Beschaffenheit vom Istzustand ab, hat der Käufer gemäß § 439 BGB das Recht auf Nacherfüllung.

Dazu müssen allerdings zwei Dinge gegeben sein. Erstens muss zwischen den beiden Kaufleuten ein gültiger Vertrag bestehen. Zweitens greift im B2B-Bereich darüber hinaus auch noch das Handelsgesetzbuch HGB, genauer gesagt der § 377 HGB. Dieser sieht ein doppeltes Eilgebot vor: eine unverzügliche Untersuchung sowie eine unverzügliche Mängelrüge unmittelbar nach Entdeckung eventueller Mängel. Unverzüglich ist allerdings relativ: Bei Just-in-time-Lieferungen, bei verderblicher Ware und/oder bei offensichtlichen Fehlern muss die Rüge im besten Fall bei der Warenannahme oder zumindest innerhalb weniger Stunden erfolgen, spätestens aber innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Feststellung des Mangels. Entscheidend ist der jeweilige Einzelfall. Gerichte haben bei der Lieferung von komplizierten technischen Anlagen auch schon einen Zeitraum von zwei Wochen als „noch unverzüglich“ beurteilt. Versäumt der Käufer eine fristgerechte Mängelrüge, „gilt die Ware auch in Ansehung eines Mangels als genehmigt“. In diesem Fall erlöschen alle Gewährleistungsansprüche des Käufers. Mit einer Ausnahme: Wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat, wenn er also vom Mangel bei der Auslieferung wusste, bleibt er in der Haftung.

Unverzüglich und verhältnismäßig

Nach einer fristgerechten und berechtigten Mängelrüge hat der Käufer prinzipiell das Wahlrecht zwischen Mängelbeseitigung und Neulieferung. Dabei gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; sprich der gesunde Menschenverstand. Der Verkäufer muss sich der Entscheidung des Käufers beugen – sofern es ihm zumutbar ist. In der Praxis kann er die Wahl des Käufers nur dann verweigern, wenn sie nur mit „unverhältnismäßigen Kosten“ möglich wäre. Was die Frage erhebt, was „unverhältnismäßig“ in der Praxis bedeutet. Je nach Vertragsobjekt haben die Gerichte hier eine Kostensteigerung zwischen 25 und maximal 50 Prozent angesetzt. Bei der Entscheidungsfindung sind nicht nur die eigentlichen Nachbesserungskosten zu berücksichtigen, sondern auch die Bedeutung des Mangels, der Wert der Sache im mangelfreien Zustand sowie die Nachteile des Käufers bei der alternativen Art der Nacherfüllung. Die Beweislast trägt der Verkäufer.

Aus der Praxis

Der Kratzer in einer frisch ausgelieferten Maschine ist sicherlich kein Grund für eine Neulieferung, andererseits kann der Käufer aber auch nicht die Nachbesserung einer fehlerhaften Lieferung von Unterlegscheiben verlangen – allerdings deren umgehende Neulieferung. Der Käufer muss eine Nachbesserung nicht hinnehmen, wenn dadurch der Wert des Kaufobjektes gemindert wird – das kann beispielsweise bei der Lieferung eines Fahrzeuges der Fall sein.

Regelrecht kompliziert wird es, wenn beispielsweise eine bereits verbaute Pumpe merkwürdige Geräusche von sich gibt. In einer weiteren Novellierung hat der Gesetzgeber 2018 für solche Fälle die Rechte des Käufers weiter gestärkt. Demnach ist der Verkäufer inzwischen verpflichtet, auch die notwendigen Aufwendungen für Ein- und Ausbau einer mangelhaften Sache zu erstatten. Dazu zählen nicht nur die reinen Montagekosten, sondern auch alle Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten. Ersatzfähig sind allerdings nur Aufwendungen, die vernünftig und notwendig für die Mängelbeseitigung sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob dem Ausbau ein Austausch oder eine Reparatur folgt. Zur möglichen Anzahl von Nachbesserungsversuchen sagt § 440 BGB: „Eine Nachbesserung gilt nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen, wenn sich nicht insbesondere aus der Art der Sache oder des Mangels oder den sonstigen Umständen etwas anderes ergibt.“

Dominoeffekte

Seit Anfang 2018 regelt das BGB auch die Rechte eines Käufers am Ende einer Wertschöpfungskette. Vor 2018 war ein Rückgriff in der Lieferkette nur in Form eines individuellen Schadenersatzprozesses möglich. Deshalb blieben z. B. Werkunternehmer wie Handwerker häufig auf ihren Kosten sitzen. Nach dem neuen § 445a BGB kann jetzt der Verkäufer einer mangelhaften Sache wiederum bei seinem Lieferanten Ersatz aller Aufwendungen verlangen, die sein Käufer bei ihm geltend macht. Voraussetzung ist, dass der Mangel bereits vorhanden war. Dies gilt für die gesamte B2B-Lieferkette. Beim Rückgriff innerhalb der Kette muss jeder Wiederverkäufer gegenüber seinem Lieferanten nachweisen, dass der von seinem Käufer geltend gemachte Mangel bereits beim Gefahrübergang auf ihn selber bestand. Was nicht immer leicht fallen wird.

Auf sicherem EU-Boden

Grundsätzlich sind die Vertragsparteien frei, sich individuell vertraglich zu binden. Widersprechen sich die AGB oder verletzen diese den juristisch eingeräumten Gestaltungsfreiheitsraum, gelten die gesetzlichen Standardregelungen des Staates, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Gerade bei C-Teile-Lieferanten ist es deshalb ratsam, das europäische oder deutsche Handelsrecht als gemeinsame Basis zu nutzen.

Der Autor:

Michael Grupp, Journalist, Stuttgart


Recht im Einkauf

Die Serie „Rechtsprechung für die Beschaffung“ behandelt juristische Probleme rund um den Einkauf. Sie schafft ein Verständnis für den aktuellen Stand der Rechtsprechung, ersetzt aber nicht die anwaltliche Beratung im Einzelfall.


Bild: N. Theiss/stock.adobe.com

Das Gesetz

Die Nacherfüllung wird in Deutschland durch BGB und HGB geregelt.

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