Um eine Antwort auf die Frage zu finden, warum sich die Beschaffung gerade grundlegend verändert, müssen wir zunächst in der Fragestellung etwas herauszoomen und das Gesamtbild in den Blick nehmen: ProcureTech-Startups per se sind nicht die Ursache dafür, dass sich die Beschaffung derzeit verändert, sondern vielmehr zwei fundamentale Entwicklungen.
Der Autor: Felix Plapperer, Paua Ventures
Zuerst einmal verändern sich gerade die makroökonomischen und geo-politischen Rahmenbedingungen rund um den Einkauf und Lieferketten fundamental: Schockereignisse wie die Corona-Krise, die tagelange Blockade des Suez-Kanals, das Desaster in der Ukraine, Geopolitische Spannungen, beispielsweise mit China, oder auch die zunehmende Relevanz des Themas Nachhaltigkeit auf Einkaufsentscheidungen stehen hier in ihrer Wirkungsmacht im Vordergrund und sind die Treiber der Entwicklung.
Warum wandelt sich die Beschaffung?
Außerdem verändern sich gerade die technologischen Möglichkeiten der Branche mit einer nie dagewesenen Schnelligkeit: Die großen Softwareanbieter in der Beschaffung wie z. B. Coupa, Jaggaer und SAP Ariba wurden vor 10 bis 20 Jahren gegründet oder entwickelt. Seitdem gab es jedoch eine Reihe an großen technologischen Umbrüchen, welche es erlauben, Software um ein vielfaches günstiger zu entwickeln, flexibler aufzubauen und insbesondere Daten viel intelligenter einzusetzen.
Die altbewährten Systeme bieten in erster Linie „Prozess-Stützen“ in Form von „Workflow-Software“. Allerdings gibt es, wenn überhaupt, nur sehr wenige Funktionen, die das Potenzial der heute verfügbaren Daten nutzen, um Informationen intelligent zu transportieren oder gar um Entscheidungen zu automatisieren.
Wie verändern Startups die Beschaffung?
Startups sind also nicht die Ursache für die Veränderung in der Beschaffung. Sie sind als organisatorische Schnellboote allerdings ein außergewöhnlich gut geeignetes Vehikel, um den immensen Innovationsdruck, der sich in der Beschaffung aufgrund der angesprochenen Entwicklungen aufgebaut hat, in zukunftsgewandte Wertschöpfung umzuwandeln. Startups sind der Katalysator für Innovation in der Beschaffung.
Datengetriebene ProcureTech-Startups könnten in den kommenden Monaten und Jahren vor allem in drei Bereichen die Branche transformieren und Mehrwert für Unternehmen generieren:
1. Intelligente Automatisierung
Viele Unternehmer sehnen sich danach, repetitive operative Prozesse im Betrieb zu automatisieren und somit effizienter arbeiten zu können. Der Einsatz von RPA-Software wird derzeit von vielen in der Beschaffung als Wundermittel gesehen. Allerdings ist die Wirkung des Einsatzes dieser Software Roboter nur Oberflächlich und in ihrer Wirkung begrenzt, da diese Systeme nicht in der Lage sind, komplexe Abläufe intelligent zu lösen.
Hoffnung auf einen wirklichen Schritt nach vorne machen aber Startups wie Keelvar oder Pactum mit ihrer intelligenten Automatisierungstechnologie, die es Unternehmen ermöglicht, (halb-)autonom mehrstufige Beschaffungsvorgänge in Gang zu bringen, zu verwalten und abzuschließen.
2. Prädiktive Analytik
Ähnlich wie bei der intelligenten Automatisierung ziehen prädiktive Analyselösungen ihre Erkenntnisse aus einer Vielzahl von internen und externen Daten, um Entscheidungen in Bezug auf beschaffungsbezogene Fragen zu treffen. Zur Frage „Was soll ich von wem kaufen?“ bieten Startups wie Lhotse, Globality oder Fairmarkit mit ihrer Software sehr gute Antworten. Sie unterstützen Beschaffungsteams dabei, sich mit ihren Geschäftspartnern über den jeweiligen Bedarf an Produkten oder Dienstleistungen abzustimmen – und anschließend die richtigen Lieferanten zu identifizieren, um diesen Bedarf zu decken.
Auch bei der Kalkulation der Preise und der Frage „Wie viel soll ich bezahlen?“ sind Analytik-Tools mittlerweile eine sehr große Hilfe für Unternehmen. Lösungen wie Makersite oder Costforce helfen ihren Beschaffungskunden bei der Einschätzung, welchen Preis sie zahlen sollten. Die Grundlage für diese Einschätzungen sind Bottom-up-Kostenschätzungen und aktuelle Benchmark-Werte.
Auch auf die elementare Frage „Wie viel und wann sollte ich kaufen?“ können ProcureTech-Startups mittlerweile datenbasierte Antworten liefern. Eine Beschaffungsexpertin, die mit dem Einkauf von Chemikalien betraut ist, steht beispielsweise konstant vor der Herausforderung, zu entscheiden, wann sie welche Menge am besten einkauft. Sie muss ihre Entscheidungen auf der Grundlage von Faktoren wie Lagerbeständen, Produkthaltbarkeit, Produktionsplänen und Spotmarktpreisen punktgenau abwägen. Unternehmen wie GenLots oder Datapred ermöglichen ihr, genau dies zu tun.
3. Nachhaltigkeitsmanagement in der Lieferkette
Ich bin der festen Überzeugung, dass das Beschaffungswesen schon sehr bald neben den Einsparungen bei den Ausgaben eine zweite, entscheidende KPI haben wird – und zwar eine nachhaltige Dimension im Blick auf die Einsparung umweltschädlicher Emissionen. Es entstehen immer mehr ProcureTech-Unternehmen, die genau das ermöglichen – Unternehmen wie IntegrityNext, CarbMee oder Responsibly gehören in diesem Bereich derzeit zu den Vorreitern.
ProcureTech-Startups werden wachsen
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass aktuell im großen Maßstab ein „unbundling“ von Einkaufs-Software entlang der Wertschöpfungskette stattfindet. Derzeit gibt es in diesem Bereich nur eine Handvoll wirklich große Unternehmen: Coupa, Jaggaer und SAP Ariba. Diese versuchen sämtliche Prozess-Schritte entlang der Value-Chain abzubilden. Mit Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahre und die heutigen technologischen Möglichkeiten, kratzen diese Lösungen jedoch nur an der Oberfläche, da sie Defizite in der Datenverarbeitung haben und keine wirklich intelligenten Tools sind.
Schon bald werden sich aus diesem Grund eine Reihe neuer großer Unternehmen im Markt etablieren, die sich auf einzelne wichtige Schritte in der Wertschöpfungskette konzentrieren und dafür intelligente Software entwickeln. Paua Ventures hat es sich zum Ziel gesetzt, eines oder idealerweise sogar mehrere dieser künftigen Vorreiterunternehmen in der frühen Entstehungsphase zu entdecken und mit entsprechender finanzieller Unterstützung weiter voranzubringen.
Der Autor:
Felix Plapperer, Paua Ventures