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Beschaffungslogistik 4.0: Ganzheitliches Management der Lieferketten

Inbound-Prozesse auf ein stabiles Fundament stellen
Beschaffungslogistik 4.0

Beschaffungslogistik 4.0
Eine widerstands- und anpassungsfähige Beschaffungslogistik erfordert ein ganzheitliches Management des Supply-Chain-Netzwerks. Bild: zaie/stock.adobe.com

Lieferkette erstrecken sich über viele Kontinente, nutzen eng getaktete Transport- und Lieferzeitfenster und reduzieren Warenbestände, Transportkosten und Durchlaufzeiten. Sie sind jedoch anfällig gegen disruptive Störungen von außen. Schwer einschätzbare Eintrittswahrscheinlichkeiten und Schadenshöhen haben im Vergleich zu operativen Risiken wie Nachfrage- und Preisschwankungen meist deutlich gravierendere Folgen.

Globale Lieferketten unterliegen generell einem hohen Ausfall- bzw. Beeinträchtigungs-Risiko. Importeure, die Vorprodukte aus Fernost beziehen, kämpfen seit vielen Monaten mit Frachtraumknappheit und leiden massiv unter explosionsartigen Kostensteigerungen. Die Auswirkungen betreffen jedoch nicht nur die unmittelbar beteiligten Wirtschaftsakteure. Auch nachgelagerte Glieder der Wertschöpfungskette, wie Lkw-Transporteure, müssen einen Spagat schaffen zwischen der Warenabfuhr aus den Häfen, und ihren anderen Transportaufträgen im Stückgut, LTL- und FTL-Bereich. Der Ukraine-Krieg und das drohende Katastrophenszenario im Konflikt zwischen China und Taiwan verschärfen die Situation zunehmend.

Ein probates Mittel gegen diese Krisensituation ist die Anwendung des „PPRR-Modells“. Durch Prevention (Vorbeugung durch Aufbau Lagerbestände, Multiple Sourcing, SC Riskmanagement), Preparedness (Vorbereitung mit reaktiven Maßnahmenplänen und Backup-Szenarien), Response (Reaktionsfähigkeit zur Ausführung vorhandener Notfallpläne) und einem Recovery-Plan (Rückkehr zum normalen Geschäftsbetrieb) lassen sich die schlimmsten Auswirkungen angemessen bewältigen.

Learnings aus der Pandemie

Covid-19 ist der Wachmacher und die Folgen betreffen jeden, ob im privaten oder im geschäftlichen Umfeld.  Zahlreiche Seefracht-Häfen, primär in China, wurden temporär geschlossen. Massive Schiffs-Staus, Lieferverzögerungen und fehlende Rohstoffe für Produktionsunternehmen waren die Folge. Regierungen weltweit verhängten Kontakteinschränkungen und temporäre Lockdowns, die ganze Wirtschaftszweige in massive finanzielle Schwierigkeiten brachten. Lieferketten wurden unterbrochen, vorhandene Transportkapazitäten wurden obsolet, und in der Folge abgebaut.

Nachdem die weltweite Konjunktur ab dem Frühjahr 2021 wieder in Schwung gekommen war, explodierten die Transportkosten wegen unzureichend vorhandener Transportkapazitäten (Seecontainer, Lkw) der sogenannte „Bullwhip-Effekt“ trat ein und dauert bis heute an. Die deutsche Wirtschaft verlor in der Folge weit über 350 Mrd. € an Wertschöpfung.

Die Abkehr von der Globalisierung hin zu einer kompletten De-Globalisierung ist für die deutsche Wirtschaft keine Option, denn die wirtschaftliche Abhängigkeit der weltweiten Geschäftsbeziehungen ist viel zu hoch. Vielmehr sollte diese immense Verflechtung sinnvoll entwirrt werden, und mit einer Mischung aus Re-Regionalisierung und einer deutlich breiteren Lieferantendiversifizierung über weitere Weltregionen, wie Afrika und Südamerika, kombiniert werden.

Typische Fallstricke umgehen

Um die bestehenden Beschaffungssysteme neu aufzustellen, zu flexibilisieren und widerstandsfähig zu gestalten, ist es wichtig, typische Fehler zu vermeiden. Hier seien vier Fallstricke genannt, die tunlichst umgangen werden sollten.

Die fehlende Aussagefähigkeit zum Lieferstatus der bestellten Ware verhindert eine korrekte Produktionsplanung, und ist die Ursache signifikanter Folgeschäden wie Produktionsstaus oder -ausfälle, und Lieferschwierigkeiten an die Endkunden. Mit cloudbasierten Software-Tools und einer lückenlosen „end-to-end“-Überwachung der gesamten Lieferkette, inklusive Frühwarnsystem, ist dieses Problem leicht lösbar.

Der weitaus größte Teil der Lieferkonditionen lautet „frei Haus“. Damit legen Unternehmen die Transportorganisation und auch Auswahl der Transportdienstleister in die Hände ihrer Lieferanten. Ihre Handlungsmöglichkeiten bei mangelhafter Transportzuverlässigkeit oder Störungen im Transportablauf sind gleich null. Eine Veränderung der Frankatur gibt den Verantwortlichen die Hoheit zurück, und kann die Transportleistung schlagartig verbessern.

Als dritter Fallstrick zeigt sich das Fehlen von Notfall- und Backup-Plänen. Bei Störungen im Transportablauf ist das Vorhalten erprobter und aktivierbarer Transportalternativen, die aus der Schublade gezogen werden können, oftmals die Rettung vor dem Liefer-GAU.

Der vierte Fallstrick ist meist ein hausgemachtes Problem. Die Logistikabwicklung fristet in vielen Unternehmen nach wie vor oft ein Schattendasein. Es fehlt ein professionelles Prozessmanagement bei der Warenanlieferung. Hier gilt es, ein vernünftiges Zeitmanagementsystem zu etablieren, um Chaos-Situationen bei der Lkw-Entladung und Warenvereinnahmung ins Lager zu vermeiden. Nicht selten müssen Lagerarbeiter als Streitschlichter zwischen Lkw-Fahrern agieren, die sich um den vordersten Platz an der Rampe streiten.

Supply Chain Riskmanagement

Globale Supply Chains entwickeln sich zunehmend unvorhersehbar. Zahlreiche Bedrohungsrisiken aus verschiedenen Richtungen müssen berücksichtigt werden. Um den Gefahren der Lieferketten-Instabilität zu begegnen, ist die Einführung und Nutzung eines „Supply Chain Risk Management“ sinnvoll. Für das erfolgreiche Aufsetzen eines SCRM-Systems müssen die vier zentralen Handlungsfelder Transparenz, Risikobewusstsein, Flexibilität und Kooperation berücksichtigt werden.

Ein umfassendes SCRM-System besteht aus den vier Teilbereichen Identifikation, Bewertung, Steuerung und Überwachung von Lieferkettenprozessen. Im Rahmen der Identifikation möglicher Alltags- und Ausnahmerisiken entlang der Lieferkette helfen „Big Data“ und „Künstliche Intelligenz“ mit der Analyse von Wirkzusammenhängen und Szenarien-Prognosen dabei, Entscheidungen fundiert zu unterstützen. Ebenso hilft diese Technologie, zusammen mit Internet-Crawlern, bei der Bewertung der Eintrittswahrscheinlichkeit disruptiver Störungen. Die Steuerung ist das Herzstück im Riskmanagement durch die Vernetzung der Planungs- und Kommunikationsprozesse, und bei der Initiierung vorbereiteter Notfallpläne.

Die Grundlage für eine schnelle Reaktionsfähigkeit bei Störfällen ist die Überwachung durch Monitoring-Plattformen wie z. B. „DHL Resilience 360“ oder „Risk Radar“ und „resilinc“. Diese visualisieren Informationen und stellen über eine Dashboard-Ansicht einen zentralen Überblick zur Verfügung. Ergänzend sei hier auch die Nutzung von Echtzeit-Trackern über Technologien wie RFID, IoT und 5G empfohlen. Ausschlaggebend für die wirkmächtige Nutzung eines SC Riskmanagements sind ausreichende personelle Ressourcen im Supply-Chain-Team, und die Investition in die notwendige IT-Technologie.

Krisenfest

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Weg zu einer stabil funktionierenden, widerstands- und anpassungsfähigen Beschaffungslogistik 4.0 ein ganzheitliches Management des Supply Chain Networks ist. Dies umfasst die Transparenz über alle Schnittstellen, Prozesse und Beteiligten, sowie ein integratives Zusammenspiel der maßgeblichen Instanzen Management, Planung, Operations und IT.

Durch die Prüfung bestehender Einkaufskonditionen und Handelsvereinbarungen lassen sich finanziell und operativ nachteilige Bedingungen feststellen und verändern. Kosten- und Prozesstransparenz sind der Schlüssel für ein aktives Interventionsmanagement, operative Handlungskompetenz der Garant für stabile Inbound-Prozesse zu einer modernen, dynamischen Beschaffungslogistik 4.0.

 

Rainer Oszcipok, Eloxess Experts
Bild: Eloxess Experts

Der Autor:

Rainer Oszcipok,
Gründer und Inhaber,
Eloxess Experts e. K.

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