Nach einer Untersuchung des Carbon Disclosure Projects (CDP) haben sich 2023 die Hälfte der europäischen Konzerne bereits Klimaziele gesetzt. Allerdings konnten weniger als fünf Prozent nachweisen, wie sie diese konkret umsetzen wollen. Vor allem gab es keine ernsthaften Überlegungen zu Klimaschutzmaßnahmen in der Lieferkette, wo der Großteil der Emissionen als Scope 3 entsteht. Die Ziele der meisten Unternehmen fokussieren sich auf den Scope 1 und 2. Transportdienstleister und die Grundstoffindustrie haben dort tatsächlich ihren größten CO2-Fußabdruck. Alle anderen Branchen müssen sich um den Einkauf kümmern, wenn sie ihre Klimaziele erreichen wollen.
Mittelstand steht noch am Anfang
Das jüngste Webinar der Zukunftswerkstatt Einkauf & Supply Chain zur Dekarbonisierung machte deutlich, wo der Einkauf beim Klimaschutz aktuell steht: in mittelständischen Unternehmen noch ziemlich am Anfang. Deshalb sei an dieser Stelle zunächst auf zwei grundlegende Berichte in Beschaffung aktuell verwiesen, die sehr gut darlegen, wie sich die Ziele zur CO2-Reduktion systematisch in das Lieferantenmanagement und Warengruppenmanagement integrieren lassen.
Druck durch Banken, Gesetzgeber und OEM
Der Druck auch Emissionsdaten und Ziele zum Scope 3 zu liefern nimmt zu. Von Seiten der Banken, die bei Kreditvergaben auf die Einhaltung der Klimaziele achten, von Seiten des Gesetzgebers (über die EU-Taxonomie und die ab 2025 erweiterte Pflicht zur nachhaltigen Berichterstattung), aber auch von Seiten der OEM. Unter anderem hat sich die Automobilindustrie ambitionierte Klimaziele gesetzt und gibt diese als Anforderung in Vergabeprojekten bereits an ihre Zulieferer weiter. Nicht selten werden für Ausschreibungen bereits produktbezogene Emissionsdaten verlangt, für deren Berechnung CO2-Daten aus der Lieferkette vorliegen müssen.
Einkauf muss liefern
Der Einkauf muss also liefern: Im ersten Schritt lassen sich die Emissionen auf Basis des Einkaufsvolumens und Emissionsdatenbanken überschlagen (ausgabenbasierte Ermittlung). Mit diesen Sekundärdaten lässt sich auf Warengruppenbasis schon recht gut arbeiten. Über material- und länderspezifische Daten lassen sich damit die Emissionen verschiedener Lieferquellen vergleichen. Eine Alternative ist die Berechnung der Emissionen auf Basis betrieblicher Tätigkeiten (aktivitätenbasiert). Für den lieferantenspezifischen Ansatz braucht der Einkauf die Primärdaten der Lieferpartner. Die verschiedenen Berechnungsmethoden zeigt die Grafik.
Die Königsklasse: Product Carbon Footprint
Durch die Klimaziele kommt auf den Einkauf eine neue Rolle und weitere Verantwortung zu. Produktbezogene Daten (Product Carbon Footprint, PCF) für Zukaufteile und ihren Transport zu ermitteln ist ein hoher Aufwand, der nur in Zusammenarbeit mit den Lieferanten und im engen Austausch mit Entwicklung und Logistik gelingt. PCF- und Lebenszyklusbetrachtungen brauchen Fertigungsknowhow, ein tiefes Verständnis für die Emissions- und Kostenstrukturen in verschiedenen Supply Chains.
Lieferanten unterstützen
Je nach Reifegrad der Lieferanten helfen diese bei der Datensammlung mit. Viele Firmen sind aktuell damit beschäftigt eine erste rudimentäre CO2-Bilanz zu erstellen. Oder sie können – denkt man an kleine Lohnfertiger oder regionale Zulieferer – noch gar keine Zahlen liefern. Auch das Stimmungsbild im Webinar der Zukunftswerkstatt bestätigt, dass sich die meisten Firmen und ihre Lieferanten eher noch am Anfang der Reise einordnen. Der CO2-Fußabdruck in der Lieferkette lässt sich außerdem nicht von heute auf morgen komplett verändern. Beim Rohstoffeinkauf hängt er am Infrastrukturausbau, der Verfügbarkeit regenerativer Energien und grünem Wasserstoff in den Beschaffungsmärkten. Um Verbesserungen messen zu können, sind Primärdaten aus der Lieferkette unumgänglich.
Transformation braucht Zusammenarbeit
Die Umsetzung der Klimaziele in den Lieferketten erfordert vom Einkauf ein sehr systematisches Lieferantenmanagement – auch mit bislang unauffälligen Partnern. Je nach Warengruppe gehören Incentivierungen (etwa über eine an nachhaltige Kriterien gebundene Lieferkettenfinanzierung), Schulungen, Kooperationen/gemeinsame Investitionen und langfristige Verträge mit Schlüssellieferanten zum CO2-neutralen Umbau der Lieferketten dazu.
Hinzu kommt das Datenmanagement. Die Kennzahlen fließen in das CSR-Reporting und sind Basis für Beschaffungs- und Designentscheidungen. Die Informationen müssen in den Dashboards des Einkaufs verfügbar sein, im ERP-System erfasst werden und in die Materialstämme einfließen.
Nicht immer lassen sich Lieferquellen ersetzen, auch wenn deren CO2-Fußadruck so gar nicht stimmt. Eine intensive Lieferantenentwicklung wird für bestimmte Schlüsselmaterialien unumgänglich. Hierfür braucht der Einkauf Klarheit über die Lieferantenstruktur und ihren Reifegrad. Abschätzen lässt sich der Reifegrad über Abfragen zum Energiemix, nach Klimazielen, nach erfolgten Maßnahmen, Zertifikaten wie der ISO 500001 oder ISO 14600 und PCF-Daten. Aus dem Reifegrad kann der Einkauf die Lieferantenstrategie ableiten.
Plattformen und Tools nutzen
Plattformen wie The Climate Choice analysieren solche Daten automatisch (etwa aus Nachhaltigkeitsberichten und anderen öffentlich zugänglichen Firmeninformationen) und erledigen die notwendigen Abfragen zentral. Wichtig ist es, die Lieferanten mit den Anforderungen nicht zu überfordern und in den Prozess einzubinden. Die Transformation ist für alle anspruchsvoll, sie kostet Geld und sie gelingt nur gemeinsam. Das Fazit aus dem Webinar der Zukunftswerkstatt Einkauf & Supply Chain lautet deshalb: Das Lieferantenmanagement ist das führende Werkzeug in der Dekarbonisierung.
Zukunftswerkstatt Summit 2024: Diskutieren Sie mit
Das Zukunftswerkstatt Summit am 13. März 2024 in Bonn setzt den Diskurs um die Dekarbonisierung der Lieferketten in interaktiven Vortrags- und Workshopformaten fort und begleitet Einkauf & SCM bei der Transformation. Veranstaltet wird das Summit von der amc Group. Medienpartner ist Beschaffung aktuell.
Der Autor:
Maximilian Droste
Senior Project Manager, amc Group