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Interview mit der Hoffmann Group zur Versorgungssicherheit, nachhaltigem Werkzeugeinsatz und der AMB 2022

Beschaffungskosten senken und nachhaltigen Werkzeugeinsatz fördern
Gut versorgt durch die Krisen

Gut versorgt durch die Krisen
Markus Decker (l.), Berater Digitalisierung, Einkauf und Materialmanagement, und Borries Schüler, Vorstand Product Management and Engineering, von der Hoffmann Group. Bild: Hoffmann Group
Gestörte Lieferketten und steigende Kosten machen dem Einkauf zu schaffen. Durch den Ukraine-Krieg sind darüber hinaus Beschaffungsmärkte für Rohstoffe und Vorprodukte weggebrochen. Borries Schüler, Vorstand Product Management & Engineering, und Markus Decker, Berater für Digitalisierung, Einkauf und Materialmanagement, von der Hoffmann Group erklären, wie sich Einkäufer notwendigen Spielraum verschaffen, um die Versorgung mit kritischen Produkten zu sichern.

Das Interview führte Yannick Schwab, Redakteur Beschaffung aktuell

Beschaffung aktuell: Wie erlebt die Hoffmann Group die aktuell sehr volatilen Zeiten?

Borries Schüler: Als herausfordernd. In der Vergangenheit gab es gelegentlich bei einem Rohstoff einen Engpass oder ein Preis geriet außer Kontrolle. Dass alle Rohstoffgruppen zum gleichen Zeitpunkt eklatant aus dem Ruder laufen, das hatten wir noch nicht. Dazu kommen die Nachwirkungen von Corona und die schwierige Lage in China. Zusätzlich hat die Ukraine-Krise verdeutlicht, wie viele Teile und Vorprodukte von dort und aus Russland kommen. Dabei geht es gar nicht nur um Stahl, sondern auch um weiterverarbeitete Materialien wie Blech oder Guss.

Wie können Einkäufer in diesen Zeiten ihre Versorgung sicherstellen?

Markus Decker: Meine Empfehlung ist, die Beschaffung von C-Artikeln zu automatisieren, um Ressourcen für das Sourcing kritischer Assets freizusetzen. Das ist allerdings nur mit wenigen Lieferanten möglich. Ein mittelständischer Betrieb hat für C-Artikel oft bis zu 2000 Lieferanten gelistet. Hier müssen im ersten Schritt die Lieferantenbeziehungen konsolidiert werden. Erstes Kriterium ist die Lieferperformance: Wie gut ist der Lieferant? Zweitens der Service: Was wird über das Produkt hinaus geboten? Und drittens die Digitalisierungsangebote und die Bereitstellung von Lieferantendaten. Der strategische Einkauf sollte sich die unterschiedlichen Warengruppen ansehen, performante Lieferanten auswählen und so den Stamm auf maximal 40 Systempartner reduzieren.

Schüler: Wichtig ist zudem ein Verständnis dafür, was in der Fertigung kritisch ist. Seien es Rohstoffe oder auch Werkzeuge. Wir haben eine Zeit, in der Produkte nicht immer in den gewünschten Mengen verfügbar sind. Einkäufer müssen also wissen, welches die kritischen Produkte sind und wie sie deren Verfügbarkeit langfristig absichern können.

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Bei dem Ausgabesystem Garant Tool24 lassen sich Spind, Schubladen- und Einzelausgabeschränke vernetzen und zentral verwalten.
Bild: Hoffmann Group

Decker: Weil sich Einkäufer auf diese Aufgaben fokussieren müssen, sehe ich in fünf bis acht Jahren in jedem Unternehmen Warenausgabesysteme für C-Artikel stehen. Damit kann man den Bestellprozess und auch die Ausgabe der Artikel an die Mitarbeiter komplett automatisieren. Das Einsparpotenzial ist enorm: Ein Kunde von uns hat errechnet, dass eine Entnahme aus der Materialausgabe mit allen Folgeprozessen unter einer Vollkostenbetrachtung zwischen 20 und 25 Euro kostet. Der Kunde hatte rund 1000 Buchungen am Tag. Man kann sich ausmalen was für eine Summe dabei zusammenkommt.

Gibt es weitere Lösungen, um Einkäufer zu unterstützen?

Decker: Für den akuten Bedarf bei einer Kostenstelle oder einem Auftrag bekommt der Kunde einen elektronischen Katalog, über den er zu seinen Konditionen auf das komplette Sortiment zugreifen kann. Für bestandsgeführte Artikel gibt es, wie bereits erwähnt, die Warenausgabesysteme.

Schüler: Eine zusätzliche Lösung ist die digitale Werkzeugverwaltung. Dort werden Werkzeuge auftragsbezogen und systematisch abgebildet. Das macht den künftigen Bedarf planbarer und birgt Potenzial für eine vorausschauende Beschaffung. Wir sprechen heute häufig über die Beschaffung von Rohstoffen für einen Fertigungsauftrag. Aber oft sieht der Einkäufer nicht, welche Werkzeuge im Detail benötigt werden und welche kritisch sind. Dazu kommt die Konsolidierung der Werkzeugbestände. Bei den Zerspanungswerkzeugen gibt es zwei Arten: spezielle und universelle. In der Massenfertigung kann es sinnvoll sein, mit einem spezialisierten Werkzeug zu arbeiten, obwohl ich dann mehr Werkzeuge vorhalten muss. Für Lohnfertiger, die kleine Losgrößen produzieren, lohnt sich das häufig aber nicht. Hier sind performante, universelle Werkzeuge interessant. Es gibt zwar ein gewisses Leistungs-Gap zum Spezialisten, aber man muss nicht für jede Anwendung ein separates Werkzeug kaufen. Dadurch wird weniger Kapital gebunden und man hat mehr Platz im Lager beziehungsweise Ausgabeschrank. Klassischerweise deckt ein Universalwerkzeug Stahl- und Edelstahlvarianten sowie gegebenenfalls gewisse Aluminiumlegierungen ab.

Lassen sich darüber hinaus Einsparpotenziale definieren?

Decker: Der Skontierbetrag sollte nicht vernachlässigt werden. Bei 2000 Lieferanten habe ich schlechtere Vereinbarungen und lasse einen Skonto auch mal verfallen. Das summiert sich. Durch die Reduktion der Lieferantenbeziehungen hat der Einkauf hingegen ein stärkeres Verhandlungsmandat gegenüber seinen Lieferanten und kann bessere Konditionen und Zahlungsbedingungen erwirken. Wenn dann die Nachbestellungen über den Ausgabeautomaten automatisiert werden und bis zur Rechnungsstellung durchdigitalisiert wird, können Skonti problemlos mitgenommen werden.

Was macht die Hoffmann Group, um die Versorgungssicherheit für den Kunden sicherzustellen?

Schüler: Wir haben vor geraumer Zeit die Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten intensiviert und unsere Bevorratung erhöht. Wesentliche Anteile unseres Sortiments beziehen wir aus der EU, was uns bei der Wiederbeschaffung hilft. Dazu kommt: Hoffmann hat in hochmoderne Logistik investiert und mit der LogisticCity die Kapazitäten drastisch erhöht. Wir haben in Nürnberg eine automatisierte Logistik mit modernsten Prozessen, einem Shuttle-Lager mit 500.000 Behälterplätzen und einem Hochregallager mit 30.000 Europaletten aufgebaut. Dazu gibt es Services für die Wiederaufbereitung von Werkzeugen und die Kalibrierung von Messmitteln. Damit haben wir eine solide Grundlage geschaffen.

Decker: Ein zentraler Punkt bei der Versorgungssicherheit sind außerdem definitiv unsere Garant-Tool24-Ausgabesysteme. Das spricht sich auch bei den Kunden herum. Die Initialzündung kommt oft von der Fertigungsleitung. Diese hat das Problem, dass die Mitarbeiter Schwarzläger betreiben, um ihren Bedarf zu sichern, und bei offen Schränken werden Entnahmen nicht immer verbucht. Somit kommt es zu Fehlbeständen. Schlimmstenfalls sinkt der Bestand dadurch auf null. Das ändert sich drastisch, wenn ein zentrales Ausgabesystem zur Verfügung steht, wo rund um die Uhr Werkzeug bereitliegt. Wenn ein Meldebestand erreicht ist, schickt das System eine Nachricht an den Einkäufer oder bestellt automatisiert nach. So können die Umlaufbestände runtergefahren und die Lagerfläche reduziert werden. Wir empfehlen, maximal einen Zwei- bis Dreiwochenbedarf zu bevorraten.

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Zwei Spezialisten für Werkzeuge und Digitalisierung, Borries Schüler und Markus Decker, im Interview.
Bild: Hoffmann Group

Wie lange dauert die Implementierung einer Beschaffungslösung inklusive Ausgabesystem?

Decker: Wir beraten intensiv und schauen uns vor Ort die Lage an. Meistens geht es dabei nicht nur um Verbrauchswerkzeuge, sondern auch um Leihartikel, Mess- und Prüfmittel oder um das Fuhrparkmanagement. All das kann man in einem Warenausgabesystem abbilden. Manche Kunden können bereits nach 14 Tagen starten. Bei einer ERP-Integration dauert es auch einmal mehrere Monate.

Wann hat sich das System amortisiert?

Decker: Je nachdem wie die internen Abläufe und Prozesse organisiert sind, kann eine Amortisierung in wenigen Monaten stattfinden. Wenn ich nochmals das Beispiel nehme: 1000 Entnahmen pro Tag und Kosten pro Entnahmevorgang von 25 Euro. Das war eines der größten Projekte, und es hat sich in vier Monaten amortisiert.

Welche Rolle spielt das Thema Kreislaufwirtschaft bei Werkzeugen?

Schüler: Nachhaltigkeit wird künftig das beherrschende Thema sein. Die Werkzeugindustrie steht da, wie viele andere Industriebereiche, noch am Anfang. Bei höherpreisigen Werkzeugen ist die Wiederaufbereitung aus wirtschaftlicher Sicht sehr sinnvoll. Mit einem klassischen Vollhartmetallbohrer geht das im Schnitt bis zu viermal. Danach besteht die Möglichkeit, das Werkzeug zu recyceln und das Hartmetall wieder zu Rohhartmetall zu verarbeiten.

Was bietet die Hoffmann Group hier an?

Schüler: Wir haben einen Nachschleifservice. Die Kunden merken beim aufbereiteten Werkzeug keinen wesentlichen Leistungsunterschied, lediglich ein paar Prozent. Die Kosten liegen bei rund 30 Euro pro Werkzeug und sollten maximal 50 Prozent vom Neuwerkzeug ausmachen. Wenn der Kunde ein Werkzeug, drei- oder viermal verwendet, spart er zwei- bis dreimal den gesamten Rohstoffeinsatz. Beim Recycling sind wir gerade in der Analyse.

Decker: Wir unterstützen zudem die Ausgabe nachgeschliffener Werkzeuge an die Mitarbeiter über die Warenausgabesysteme. Hat ein Mitarbeiter die Wahl, nimmt er meistens das Neuwerkzeug. Über die Warenausgabesysteme kann die Fertigungsleitung steuern, dass für bestimmte Mitarbeiter oder Fertigungsaufgaben, die nicht zwingend Neuwerkzeuge erfordern, gebrauchte oder nachgeschärfte Werkzeuge ausgegeben werden. Erfahrungsgemäß sinken dadurch die Verbräuche dauerhaft um bis zu 25 Prozent.

Schüler: Für ein gezieltes Management nachgeschliffener Werkzeuge muss man allerdings wissen, wie viel Standweg ein Werkzeug hinter sich hat. Nur so kann man abschätzen, ob es für den nächsten Auftrag geeignet ist. Digitale Werkzeugverwaltungssysteme sind in der Lage, diese Informationen nachzuhalten. Ein Nebeneffekt für den Einkäufer ist, dass er ein Gefühl dafür bekommt, welche Leistung mit einem Werkzeug erzielt wird.

Abschließend eine Frage zur AMB: Was darf man von Hoffmann Group in Stuttgart erwarten?

Schüler: Wir werden neue Werkzeuge aus unserer Garant-Master-Produktfamilie für die Hochleistungszerspanung präsentieren. Ein Highlight ist der Garant Master Inox TPC Fräser für automatisierte Umgebungen. Dazu kommen Lösungen für die Digitalisierung und Automatisierung der Fertigung von kleinen und mittleren Unternehmen. Mit unserem Garant Automation Beladesystem Basic Plus lassen sich zum Beispiel Werkzeugmaschinen ohne Automatisierungsschnittstelle mannlos be- und entladen und mit unserer digitalen Werkzeugverwaltung Connected Manufacturing können nun auch manuelle Tätigkeiten und externe Arbeiten verwaltet werden. Dazu kommen die Lösung Connected Metrology für die Messmittelverwaltung und die Weltpremiere unserer Hoffmann Group Connected Tools (HCT) Windows App. Damit können Messdaten von Drehmomentschlüsseln HCT direkt in ein computerunterstütztes Qualitätsmanagementsystem übernommen und ein Bezug zwischen Werkzeug, Messdaten und Werkstück hergestellt werden. Und wir werden natürlich auch das Ausgabesystem Tool24 ausstellen.


Bild: Hoffmann Group

Markus Decker

… ist seit 1997 bei der Hoffmann Group und berät seit 2000 Kunden zu Fragestellungen rund um die Digitalisierung des Einkaufs, das Materialmanagement und die Materialversorgung. Neben Projekten zur Lieferantenanbindung via EDI umfasst sein Beratungsprogramm die Automatisierung des kompletten Beschaffungsprozesses – von der automatisierten Bestandsüberwachung und der Nachbestellung über die Integration mit ERP-Systemen und Marktplätzen bis hin zur elektronischen Rechnungsstellung.


Bild: Hoffmann Group

Borries Schüler

… ist als Vorstandsmitglied der Hoffmann SE verantwortlich für die strategische Sortimentsgestaltung, die Ausrichtung der Marken Garant und Holex sowie das digitale Produkt- und Serviceportfolio. Schüler kam 2002 zur Hoffmann Group, um die internationale Beschaffung von Zerspanungswerkzeugen und Spanntechnik zu übernehmen. Ab Sommer 2009 verantwortete er den Produktbereich „Modulare Zerspanung“ und ab 2014 den Gesamtbereich „Zerspanung“. Im Jahr 2018 wurde er in den Vorstand berufen.

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