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Kunden- und Wertorientierung durch „Design Thinking“ & Co.

Agilität im Einkauf, Teil 2 – Innovationsimpulse
Kunden- und Wertorientierung durch „Design Thinking“ & Co.

Dass der Einkauf in Innovationsprozesse eingebunden werden kann, ist immer wieder Thema, etwa beim „Early Supplier Involvement“. Doch wirklich gelungen ist das auf breiter Basis kaum. Hier bieten agile Methoden neue Impulse. Im zweiten Teil der Serie „Agilität im Einkauf“ werden hierfür konkrete Ansätze herausgearbeitet, mit einem Fokus auf der Innovationsmethode „Design Thinking“.

Dabei ist selbst EinkäuferInnen oft nicht klar, welche Rolle der Einkauf in Innovationsprozessen spielen könnte. Diese liegt im Kern in zwei (kombinierbaren) Perspektiven: Zunächst obliegt dem Einkauf als Schnittstelle zu den Beschaffungsmärkten die zielgerichtete Integration von Lieferanteninnovationen – nicht nur bei Produkten, sondern auch in deren Dienstleistungsangeboten und Prozessen. Dies kann genutzt werden, um interne, aber auch kundenseitige Prozesse zu optimieren, bis hin zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Zudem wird die Versorgung interner Bedarfsträger, die nach modernem Verständnis als „Kunden“ bezeichnet werden können, als Kernaufgabe des Einkaufs verstanden.

Gerade in der letzteren Sichtweise liegt auch die Kernidee des „Design Thinking“ (dt. etwa „Gestaltungsdenken“): Produkte und Dienstleistungen (sowie Prozesse) seien aus der Perspektive des Nutzers bzw. Kunden zu betrachten und zu gestalten. Leitgedanke ist hierbei das (gewünschte) Ergebnis, dessen Erreichen im Zentrum der Überlegungen funktionsübergreifender Teams steht, wenn nötig durch völlig neue Ideen. Dies steht im klaren Gegensatz zu klassischen Innovationsmethoden, die sich allzu schnell an Gewohn- und Gegebenheiten orientieren – und somit teilweise auch begrenzen.

Im bzw. für den Einkauf bedeutet dies, sowohl den internen Bedarfsträger als auch den Abnehmer des eigenen Unternehmens als „Kunden“ mit einem bestimmten Bedürfnis zu verstehen. Hierfür sind – innerhalb eines multidisziplinären Teams – Umsetzungsideen zu entwickeln. Dem Einkauf kommt hier die Aufgabe zu, auch die Lieferanten adäquat in die kundenorientierte Lösungsentwicklung einzubinden. Im Vordergrund stehen initial aber nicht vollumfängliche Lösungen. Vielmehr sollen Ideen schnellstmöglich als „Prototyp“ konzipiert sowie auf dieser Basis am Kunden getestet und nach Bedarf optimiert oder verworfen werden. Zunächst vage Anforderungen sind so schnell zu konkretisieren und schrittweise in passgenaue Lösungen überführbar.

Ein denkbares Einsatzfeld im Einkauf ist z. B. die Ausarbeitung von Spezifikationen, die durch die Einbindung des Einkaufs (sowie der Lieferanten) markt- und zieladäquat erfolgt. Das sonst oft spät im Beschaffungsprozess versuchte, kostenorientierte „Zusammenstreichen“ von Bedarfsanforderungen lässt sich somit durch „Design Thinking“ ersetzen. Im Vordergrund steht die gemeinsame Lösungsgestaltung, die sich an gesamtheitlichen Zielen bzw. Rahmenfaktoren wie technischer oder wirtschaftlicher Machbarkeit orientiert. Die häufig vorherrschende Zurückhaltung bei der Einbindung des Einkaufs, weil dieser als „Kostenkontroll-Polizei“ wahrgenommen wird, verschiebt sich durch das neue, bedarfs- bzw. kundenorientierte Einkaufs-Rollenverständnis hin zum „Innovationspartner“.

Während die vorhergehenden Ausführungen vor allem in der Neuproduktentwicklung Anwendung finden sollten, liegt auch in der Kernaufgabe des Einkaufs eine Umsetzungschance. Nämlich, indem der Einkauf die bestehenden Bedarfserfüllungs- bzw. Beschaffungsprozesse aus Sicht seiner internen Kunden überprüft und optimiert. Allzu oft fehlt Bedarfsträgern und Lieferanten als direkten Stakeholdern der Blick für die (vermeintlichen) Notwendigkeiten bei Compliance, Wirtschaftlichkeit und Prozessgestaltung. Umgekehrt sollte sich auch der Einkauf fragen, inwieweit er tatsächlich die Perspektive jener eingenommen hat, als Abläufe zu Bedarfsanforderungen, Freigaben oder Bestellabwicklung definiert wurden. Die im Marketing völlig gängige „Customer Journey“ einmal für die Hauptschnittstellen des Einkaufs – interne Kunden und externe Lieferanten – durchzuführen, kann sicher helfen, so manche Fehlerquelle zu identifizieren und gemeinsam zu korrigieren.

In der Folge können neben besseren Produkten bzw. Dienstleistungen (auch auf der Absatzseite) und effizienteren Prozessen auch Kostensenkungen erzielt werden, die durch die frühzeitige Einbindung verschiedener Sichtweisen und Expertisen möglich sind. Darüber hinaus ergeben sich Synergien mit weiteren innovationsorientierten agilen Methoden.

Business Model Canvas

Gerade in der Strukturierung und Analyse von Stakeholdern und deren Lösungen, z. B. Produkten oder Geschäftsmodellen, hilft die „Business Model Canvas“ (siehe beispielhaft nebenstehende Tabelle). Zum späteren „Verproben“ von Design-Thinking-Ideen bieten sich Ansätze des „Lean Startup“ an, wo schnell erstellte Konzeptlösungen auf ihre effiziente Umsetzbarkeit untersucht werden. Die Basis hierfür bilden wiederum etablierte Innovationstechniken wie Brainstorming, Interviews oder Workshops – soweit möglich immer gemeinsam mit den betroffenen Stakeholdern.

Bereitschaft vorausgesetzt

Doch all das setzt natürlich einige Veränderungen im Einkaufsumfeld voraus. Grundlegende Voraussetzung ist die Bereitschaft und Fähigkeit des Einkaufs (bzw. dessen MitarbeiterInnen), sich in die neue Rolle einzufinden. Empathie (als Kundenorientierung), Kreativität und Kooperation ersetzen ein Stück weit „traditionelle Tugenden“ wie Durchsetzungs- oder Konfliktfähigkeit. Auch eine grundlegende Methodenkompetenz im Innovationsmanagement wird wichtig sein, um ggf. kritische Stakeholder zur Einbindung des Einkaufs zu bewegen. Zusätzlich wird für Design Thinking oft empfohlen, kreativitätsfördernde Arbeitsmittel und Ressourcen bereitzustellen: offene Räume, beschreibbare Wände – zur Not auch in der digitalen Variante – erleichtern Austausch und Ideenqualifizierung nachweislich.

Kleinere Maßnahmen wie der Ausbruch aus Routinen bei der Arbeit mit Bedarfsträgern, Buchung eines „Innovation Room“ für den nächsten Lieferantenworkshop oder zunächst eine rein abteilungsinterne Anwendung von Design Thinking können hier als erste Schritte wichtiger sein als der „zwanghafte“ Versuch, Design Thinking einer dazu (noch) nicht bereiten Einkaufsorganisation „überzustülpen“. Die größte Umsetzungshürde liegt in der kulturellen Veränderung – im Einkauf wie bei dessen Stakeholdern. Hier wiederum können organisationsbezogene agile Ansätze wie das „New Work“-Konzept helfen. Dieses Themenfeld wird im nächsten Beitrag der Artikelreihe „Agilität im Einkauf“ behandelt.


Prof. Dr. Florian C. Kleemann

lehrt an der Hochschule München Einkauf & Beschaffung und koordiniert das Studienprogramm „Digital Procurement & Supply Management“. Sein Kompaktbuch „Agiler Einkauf“ erschien 2020.


Tizian Vock

ist Master-Student für
„Digital Procurement & Supply Management“ an der Hochschule München.


Prof. Dr. Elmar Holschbach

lehrt Organisation und Beschaffung an der Fachhochschule Südwestfalen. 2020 hat er in Zusammenarbeit mit dem BMÖ die Studie „Agilität im Einkauf“ veröffentlicht.

 

Hier finden sie die komplette Beschaffung-aktuell-Reihe: Agilität im Einkauf.

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