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Logistik 2023: Vor-Pandemie-Niveau in den Lieferketten laut Flexport noch nicht in Sicht

Logistik trotz Entspannung vor herausforderndem Logistikjahr 2023
Vor-Pandemie-Niveau in den Lieferketten noch nicht in Sicht

Vor-Pandemie-Niveau in den Lieferketten noch nicht in Sicht
Wie anfällig die globalen Logistiknetze sind, haben die vergangenen zwei Jahre gezeigt. Auch 2023 trüben Unsicherheitsfaktoren die Aussichten. Bild: Formfrom.design/stock.adobe.com
Krieg in der Ukraine, die seit über drei Jahrzehnten höchste Inflation im Euroraum und weitere Krisenherde sind Unsicherheitsfaktoren, die auch die weltweiten Lieferketten nicht zur Ruhe kommen lassen. Auch wenn es Anzeichen dafür gibt, dass sich die Situation weiter entspannt, wird uns dieses Jahr keine schnelle Rückkehr zu verlässlichen Mustern bringen.

Florian Braun, Head of Ocean EMEA, Flexport

Zuerst ein kurzer Rückblick auf das logistische Geschehen im vergangenen Jahr: Die Pünktlichkeit des Seeverkehrs hat sich auf den Routen Trans Pacific East Bound (TPEB) und Far East Westbound (FEWB) kontinuierlich verbessert – allerdings mit unterschiedlichen Erholungsraten. Noch im Herbst zeigte sich das Logistiknetz in Europa als sehr viel anfälliger als in den USA. Hafen- und Bahnstreiks in Großbritannien und Deutschland verzögerten vor allem die letzte Etappe des Versandprozesses. In den USA gelang es mit dem Transport über die Ostküste, die Überlastung der US-Logistik bei der Verschiffung von Konsumgütern an die Westküste abzufangen. Europa verlor dagegen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine einige Streckenoptionen. Auch das Klima mit extremer Hitze und geringen Niederschlägen störte im Sommer die europäischen Logistiknetze, einschließlich und insbesondere die Binnenschifffahrt. Verzögerungen in den Häfen waren die Folge. Trotzdem sinken die Zeiten für die TPEB- und FEWB-Routen seit dem Höchststand im April letzten Jahres kontinuierlich.

Lagen Mitte August die Werte für die Transitzeit vom Cargo Ready Date bis zum Ankunftsdatum am Empfangshafen auf beiden Verkehrswegen noch bei 90 Tagen, fiel der TPEB-Wert von Oktober (82 Tage) bis November auf 79 Tage – das ist die kürzeste Transportzeit auf dieser Route seit Februar 2021.

Die FEWB-Zeiten sanken unterdessen von 85 auf 83 Tage und entsprechen damit dem Durchschnittswert seit Ende Juni 2021. Noch im Oktober hatte sich der FEWB-Wert bei 93 Tagen stabilisiert – dem Durchschnitt seit Mitte Juni 2022.

Noch keine Rückkehr zur Normalität in der Seefracht

Die aktuellen Zahlen zeigen, dass die schlimmen Staus von Ende 2021 überwunden sind. Trotzdem liegen die Werte für die Zeitspanne zwischen der Verschiffung von Fracht durch den Exporteur bis zur Abholung am Bestimmungshafen immer noch deutlich über dem Vor-Pandemie-Niveau. Zum Vergleich: Im Oktober 2019 bewegten sich die Zeiten auf diesen Routen durchschnittlich zwischen 50 und 60 Tagen. Da zurzeit die Lager vieler Händler gut gefüllt sind und keine Notwendigkeit zu erhöhtem Nachschub besteht, wird sich die Verlagerung von der Luft- auf die Seefracht im kommenden Jahr fortsetzen. In der ersten Jahreshälfte könnten die Preise in der Seefracht trotz hoher Volatilität weiterhin niedrig bleiben und den Seeweg für alle nicht-eiligen Güter attraktiv machen.

Eine Rückkehr zur Normalität ist daher auch weiterhin nicht in Sicht – durch die aktuelle Frachtratensituation kann eher davon ausgegangen werden, dass sich die hohe Volatilität bei Kapazitäten, Raten und Verfügbarkeiten noch weit ins neue Jahr hinziehen wird. In der zweiten Jahreshälfte werden sich vermutlich die Auswirkungen der dann gesunkenen Lagerbestände bemerkbar machen. In Kombination mit einem voraussichtlich wieder etwas normalisierten Konsumklima könnte die Kapazitätsauslastung zur See in diesem Zeitraum dann erneut ansteigen oder sich nahezu an die Nachfrage anpassen.

Keine Wunderpreise in der Luftfracht zu erwarten

Der Luftfrachtmarkt entwickelte sich zuletzt rückläufig. Für 2023 wird beim Verhältnis von Luftfrachtkapazität zu Nachfrage wieder eine Rückkehr auf das Vor-Pandemie-Niveau erwartet. Das seit Beginn der Pandemie um 18 Prozent erhöhte Angebot an Frachtflugzeugen und die jährlich um neun Prozent gestiegene Zahl der Umrüstungen von Passagier- auf Frachtflugzeuge bedeutete für die verfügbare Kapazität einen Zuwachs: Mit sechs Prozent in den letzten drei Jahren hat sich diese gegenüber der Vor-Pandemie-Zeit verdoppelt. Aktuell steht damit eine Luftfrachtkapazität auf Rekordniveau zur Verfügung, die bei einer weiteren Normalisierung des Frachtaufkommens nicht mehr rentabel sein könnte.

Auf den Routen zwischen den USA und Europa gibt es bereits eine Überkapazität. Die Routen zwischen Europa und Asien werden aber auch weiterhin stärker ausgelastet sein, weil die Verbindungen über den Mittleren Osten den Ausfall der Strecken über Osteuropa nur zum Teil kompensieren können. Zudem bewegen sich die Treibstoffkosten weiterhin auf einem hohen Niveau und die Fluglinien werden sich wieder verstärkt auf ihre Profitabilität konzentrieren. Eine wunderhafte Preisentwicklung bei den Tarifen auf neue Tiefstände darf daher nicht erwartet werden, selbst wenn im ersten Halbjahr die Kapazitäten wahrscheinlich ausreichen werden.

Neue Regulierung wirft ihren Schatten voraus

Mit dem 1. Januar 2023 ist das neue Regelwerk der International Maritime Organization (IMO) in Kraft getreten. Dadurch sollen die Kohlendioxidemissionen des weltweiten Seeverkehrs gegenüber dem Stand von 2008 bis 2050 stufenweise gesenkt werden. Reedereien müssen, um der IMO 2023-Regulierung zu entsprechen, bis 2024 für 20 Prozent des CO2-Ausstoßes ihrer Containerschiffe Emissionszertifikate vorweisen, bis 2024 für 45 Prozent, bis 2025 für 70 Prozent und ab 2026 für sämtliche CO2-Emissionen ihrer Schiffe. Die Investition in effizientere Schiffe wäre ein Ausweg, aber diese stehen kurzfristig nur in sehr begrenztem Maße zur Verfügung. Reedereien werden daher vor allem die Geschwindigkeit ihrer Containerschiffe verringern müssen, um ihre Transporte treibstoffsparender ans Ziel zu bringen.

Für die Logistikbranche bedeutet das höhere Vorlaufzeiten. Einige Experten rechnen damit, dass die Drosselung der Fahrtgeschwindigkeit dadurch voraussichtlich vor allem die Produktivität im Flottensegment von 1000 und 5000 TEU erheblich beeinträchtigen könnte, weil hier der Anteil älterer Schiffe am höchsten ist. Wie stark die Auswirkungen der IMO 2023 den Markt beeinflussen werden, ist momentan nicht wirklich absehbar. Vieles wird auch davon abhängen, wie das Regelwerk durchgesetzt wird und wann Strafmaßnahmen greifen. Zumindest am Anfang des Jahres ist noch nicht mit strikten Sanktionen zu rechnen.

Unsicherheitsfaktoren begleiten das neue Jahr

Es ist verständlich, dass die Logistikbranche nach den zurückliegenden Pandemiejahren auf bessere Zeiten hofft. Viele Zeichen sprechen auch dafür, dass sich die Situation weiter entspannt. Trotzdem trüben noch zu viele Unsicherheitsfaktoren das Bild, sodass sich für 2023 keine direkte Rückkehr zur Normalisierung ausrufen lässt. Unternehmen sind daher in der Pflicht, ihre Bemühungen um eine flexible Lieferkette kontinuierlich fortzuführen. Nur dann bleiben sie bei neuen Entwicklungen weiterhin reaktionsfähig.

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