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Neuer Rechtsrahmen für Whistleblowing in Unternehmen betrifft auch das Beschaffungswesen

Neuer Rechtsrahmen für Whistleblowing in Unternehmen
Gesetz will Hinweisgeber schützen

Gesetz will Hinweisgeber schützen
Kira Uebachs-Lohn, Partnerin bei der Wirtschaftsprüfungs-gesellschaft Ernst & Young GmbH und Expertin für Compliance-Fragen. Bild: Ernst & Young
Zukünftig unterfallen Personen, die Missstände und Rechtsverstöße innerhalb eines Unternehmens melden wollen, dem Schutz des Gesetzgebers. Die Compliance-Anforderungen steigen dadurch erneut, auch im Beschaffungswesen.

Der bekannteste Whistleblower der Welt ist wohl Edward Snowden. 2013 spielte er den Medien Erkenntnisse aus seiner Tätigkeit als Systemadministrator für den US-Geheimdienst zu, die dessen weltweite rechtswidrige Überwachungspraxis offenlegten. In den USA ergingen daraufhin Strafanzeige und Haftbefehl, weshalb Snowden flüchtete und heute in Moskau lebt.

Zehn Jahre später hat ein Whistleblower bessere Karten, zumindest hierzulande. Denn voraussichtlich noch im ersten Halbjahr 2023 wird das Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen, kurz Hinweisgeberschutzgesetz, in Kraft treten.

Interne Meldestelle erforderlich

Zentrales Element der neuen Regelung ist eine unternehmensinterne Meldestelle, die Hinweise auf Verstöße gegen geltendes Recht im beruflichen Umfeld entgegennimmt. In allen Unternehmen mit mehr als 249 Beschäftigten muss eine solche Stelle gleich nach Inkrafttreten des Gesetzes geschaffen werden, bei einer Mitarbeitendenzahl ab 50 bis 249 ist Zeit bis Dezember 2023.

Die Form ist frei wählbar. Ob Beschwerde-Briefkasten, Telefon-Hotline, interne E-Mail-Adresse – wichtig ist nur, dass alle Kanäle Vertraulichkeit, Datenschutz und den raschen Zugang der Meldungen sicherstellen. Zugriff auf die Hinweise dürfen nur diejenigen Personen haben, die auch mit der Bearbeitung betraut und darin geschult sind; nicht etwa zusätzlich die IT-Abteilung oder das Sekretariat. „Man muss von Anfang an dafür Sorge tragen, dass mit den Hinweisen sorgfältig und vertrauensvoll umgegangen wird“, sagt Kira Uebachs-Lohn, Partnerin bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young GmbH und Expertin für Compliance-Fragen. „Idealerweise ist die beauftragte Stelle nicht nur fachlich befähigt, den Hinweisen nachzugehen und diese zu plausibilisieren, sondern auch gewillt, den Hinweisgeber ernst zu nehmen und mit ihm ins Gespräch zu kommen.“ Gerade dieser Austausch könne zu wertvollen Erkenntnissen führen.

Die Meldung kann auch durch eine externe Stelle entgegengenommen werden, etwa eine Ombudsperson oder ein Dienstleister, der ein IT-gestütztes Hinweisgebersystem installiert; derartige softwarebasierte Angebote gibt es jetzt zuhauf. Aber Achtung, es bleibt die ureigene Aufgabe des Arbeitgebers, den Hinweisen nachzugehen, Nachforschungen anzustellen, Behörden zu informieren, Folgemaßnahmen zu ergreifen, Fehlerquellen abzustellen. Dies kann nicht outgesourct werden.

Nicht Fluch, sondern Chance

Das Hinweisgeberschutzgesetz nicht als Belastung, sondern als Chance begreifen, das empfiehlt Beraterin Uebachs-Lohn. „Denn es ist im Interesse jedes Unternehmens, wenn offengelegt wird, wo Missstände, Schwachstellen, Einfallstore für schädliches oder strafbares Handeln existieren“, sagt sie. „Die beste Quelle dafür sind die eigenen Leute, die ganz nah an den Prozessen sind und den entsprechenden Einblick haben.“ Um die neue Rechtspflicht für sich nutzbar zu machen, bietet sich eine Kombination von mehreren, möglichst niedrigschwelligen Meldekanälen an, die Hinweisgebern angeboten werden können.

Parallel wird eine zentrale externe Stelle beim Bundesamt der Justiz eingerichtet, sodass Hinweisgeber selbst wählen können, an wen sie sich wenden. Schon die Möglichkeit, dass die Meldungen direkt bei einer Bundesbehörde landen könnten, sollte dazu führen, dass alle adressierten Unternehmen ihrer Pflicht nachkommen und eigene Meldekanäle schaffen. Tun sie es dennoch nicht, droht ein Bußgeld. „Es ist allemal besser, intern von Missständen zu erfahren als von außen. Denn wenn erst einmal die Presse berichtet oder die Staatsanwaltschaft ermittelt, rächt es sich, wenn man sich nicht frühzeitig gekümmert hat oder Hinweisen nicht nachgegangen ist“, gibt Compliance-Expertin Uebachs-Lohn zu bedenken.

Ohnehin verlangt auch das gerade in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz das Einrichten eines Meldekanals. Da viele Anforderungen nach dem Hinweisgeberschutzgesetz ähnlich sind, empfiehlt es sich laut Uebachs-Lohn, beides zu koppeln und „zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen“. Wichtig sei eine gute Kommunikation der Maßnahmen, um den Mitarbeitenden zu vermitteln, dass sie gebraucht werden beim Aufdecken von Missständen, dass sie gehört werden mit ihren Hinweisen und Anliegen und dass man sie vor negativen Folgen schützt.

Gefährdungen im Einkauf

Hinweisgeber sind laut Gesetz Personen, die Informationen über Verstöße melden oder offenlegen. Erfasst sind also nicht nur die Beschäftigten selbst (inklusive Leiharbeiter, Praktikanten, Bewerber), sondern auch Dienstleister, externe Auftragnehmer und – wichtig für die Beschaffungsseite – Lieferanten, die aufgrund ihrer Geschäftsbeziehungen entsprechende Informationen erlangen.

Delikte im Bereich Wirtschaftskriminalität sind in Deutschland nicht selten, etwa jedes dritte Unternehmen ist betroffen. Für den Einkauf mit seinen weltweiten Lieferbeziehungen ergeben sich regelmäßig besondere Gefährdungen. Korruption, also Bestechung oder Bestechlichkeit, kann hier eine Rolle spielen, ebenso Betrug, Untreue, Unterschlagung, Urkundenfälschung, Manipulation von Ausschreibungen, illegale Preisabsprachen, womöglich Geldwäsche. Erfuhr ein redlicher Einkäufer bislang von solchen Unregelmäßigkeiten, war er in einem gewissen Dilemma: anzeigen und den Job riskieren oder schweigen.

Der Schutz des Whistleblowers

Nun wird ein Hinweisgeber durch das Gesetz geschützt. Alle Arten von Repressalien gegen seine Person sind verboten, etwa Nötigung, Einschüchterung, Rufschädigung, Mobbing. Arbeitsrechtliche Maßnahmen wie Kündigung, Suspendierung, negative Beurteilung, nachteilige Versetzung oder Nichtverlängerung eines befristeten Arbeitsvertrags infolge des Hinweises sind ausgeschlossen. Zugunsten des Hinweisgebers gibt es eine prozessuale Beweislastumkehr sowie die Möglichkeit, Schadensersatz zu erlangen, wenn das Repressalienverbot verletzt wird.

Dies gilt natürlich nur für zutreffende Hinweise. Vor absichtlich unwahren Beschuldigungen ist das Unternehmen wiederum durch einen eigenen Schadensersatzanspruch gegen den Whistleblower geschützt. Doch was ist mit Denunzianten, die nur unliebsame Kollegen anschwärzen wollen, oder gar mit Wettbewerbern, die die Kanäle nutzen, um Gerüchte zu streuen? Expertin Uebachs-Lohn kann sich vorstellen, „dass über die Meldekanäle anfänglich einige Nebelkerzen gezündet werden, die sich bei genauerem Hinschauen aber schnell auflösen – weil keine weiteren Details genannt werden, es keine Nachweise, Unterlagen oder Zeugen gibt, die das Behauptete stützen könnten.“ Das Verfahren kann dann laut Gesetz „aus Mangel an Beweisen“ abgeschlossen werden.

Compliance nimmt an Bedeutung zu

Die Gesetzgebung verlangt immer mehr Transparenz, verantwortungsvolles Unternehmerhandeln und die Wahrung globaler Rechtsprinzipien in unternehmerischer Eigenregie. „Wer bisher noch keine Compliance-Maßnahmen ergriffen hat, sollte spätestens anlässlich der beiden neuen Gesetze damit anfangen“, so der Tipp von Kira Uebachs-Lohn. Lieferkettensorgfalt und Hinweisgeberschutz könne man als erste Bausteine eines gesamtheitlichen Compliance-Management-Systems nutzen. „Zukunftsfähig ist, wer in seinem Betrieb das kulturelle Umdenken schafft, dass Compliance keine zusätzliche Hürde, sondern eine wichtige Institution und Chance ist.“


Die Autorin:
Anja Falkenstein,
Rechtsanwältin, Karlsruhe

 

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