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Mit Wasserstoff Intralogistik neu denken

Brennstoffzellen für Flurförderzeuge im BMW-Werk Leipzig
Mit Wasserstoff Intralogistik neu denken

Im BMW-Werk Leipzig fahren 81 Schlepper und Stapler des Herstellers Linde Material Handling mit Brennstoffzellen. Diese Technologie hat Potenziale, mit denen Batteriesysteme wie Bleisäure und Lithium-Ionen nicht mithalten können: kurze Tankzeiten, kaum Flächenanspruch und niedrige Energiekosten. Das Projekt verspricht Erfolg.

Wer das Hauptgebäude des BMW-Werks Leipzig betritt, der hat sofort das Gefühl, in der Zukunft gelandet zu sein. Grauer Beton rahmt eine grandiose, mehrere Stockwerke hohe Haupthalle ein. Abgehende Treppenaufgänge und Flure, ja alles im Gebäude ist geschwungen oder steht in verschiedenen Winkeln zueinander, als ob es miteinander ins Gespräch kommen wollte. Einen rechten Winkel sucht man vergeblich. Entlang der Wände verteilen sich leicht erhöht mehrere offene Großraum-Büroflächen. Wer das Fernglas dabei hat, kann den Mitarbeitern ganz wortwörtlich über die Schulter spicken. Den Gang hinunter gehts zur offenen Kantine, die zur Zeit des Besuchs, noch vor dem Corona-Lockdown, gut besucht war. Den Werksleiter Hans-Peter Kemser kann man hier öfter beim Kaffeeholen beobachten. Wer den Blick nach oben richtet, der kann während des Essens das Herzstück des Unternehmens betrachten: die Autos. Sie werden nämlich auf einem hoch gelegenen Förderband in einer immerwährenden Kolonne von der Lackiererei durch das Hauptgebäude in die Produktion gefahren.

Die offene und innovative Gestaltung des Hauptgebäudes stammt aus der Feder von Zara Hadid, einer Londoner Architektin. 2005, ein Jahr nach Fertigstellung des Gebäudes, erhielt sie dafür den Deutschen Architekturpreis.

Doch die Ausrichtung auf die Zukunft spiegelt sich bei Weitem nicht nur in der Architektur des Werkes wider. Täglich laufen im Werk neben 1000 Verbrennern 120 elektrische BMW i3 vom Band. Auch in der Intralogistik denkt man weiter. Ein Beispiel dafür ist die Projektserie rund um die Brennstoffzelle, welche herausfinden will, ob und wie sich Wasserstoff als Kraftstoff für Intralogistik-Fahrzeuge einsetzen lässt.

Brennstoffzellen-Projekt bei BMW

Schon vor sieben Jahren stieg BMW als Anwender in das Projekt „H2IntraDrive“ ein. Die Projektergebnisse sind in einer Studie der TU München zusammengefasst (www.hier.pro/H2Studie [PDF]).

In diesem Rahmen wurden elf Fahrzeuge des Herstellers Linde Material Handling mit einer Brennstoffzelle, welche eine kleine Lithium-Ionen-Batterie als Puffer hat, ausgestattet. Die Batterie wird durch die Brennstoffzelle aufgeladen und wird beim Anfahren oder Anheben, also in Momenten mit hohen Energiebedarfen, zugeschaltet. Beim Bremsen wird sie durch den rekuperierten Strom des Fahrzeugs wieder geladen. „Ab einer gewissen Größe braucht man Batterie und Brennstoffzelle zusammen“, erklärt Thomas Stiede, Logistikplaner bei BMW in Leipzig. In diesem ersten Projektschritt statteten die Partner sechs Schlepper vom Typ Linde P30C sowie fünf Gegengewichtsstapler mit 3,5 Tonnen mit einer Brennstoffzelle aus. Dafür mussten die Flurförderzeuge umgebaut werden, wie Markus Weinberger, Produktmanager bei Linde Material Handling, erklärt: „Bei Gegengewichtsstaplern oder Schubmaststaplern müssen wir den gesamten Rahmen überarbeiten, weil Kühlungsschlitze eingebaut werden müssen.“ Auch Zusatzgewichte werden eingebaut. Trotz der Umbaumaßnahmen kann Linde 80 Prozent des Portfolios mit Brennstoffzellenantrieb liefern.

Weitere 70 Schlepper (Routenzüge) sind im zweiten Projektabschnitt, „FFZ-70“, bei BMW 2019 dazugekommen. Nun geht es vor allem darum, die Wirtschaftlichkeit des neuen Antriebs zu untersuchen. Die eingebauten Brennstoffzellen stammen wieder von der amerikanischen Firma PlugPower.

Ein dritter Projektschritt, der weitere 89 Fahrzeuge mit einem Wasserstoffantrieb in die Flotte bei BMW integriert, war für 2020 geplant. Dieser Schritt wird von der NOW GmbH, der Nationalen Organisation für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie, mit Fördergeldern des Bundesministeriums für Verkehr und Digitale Infrastruktur unterstützt. Natürlich ist das Werk zusammen mit den anderen Projektpartnern ein Vorreiter. „Wir mussten zusammen mit der TU München ganz viel Grundlagenarbeit betreiben“, sagt Stiede, „und Fragen beantworten wie: Welche Sicherheitsanforderungen muss man erfüllen? Das war bei Wasserstoff teilweise noch unbekannt. Dabei ist Wasserstoff in der chemischen Industrie nichts Neues, sondern der Grundstoff für fast alles. Die wundern sich, warum wir den Wasserstoff noch nicht einsetzen.“

Im Werk Leipzig sind vier Wasserstofftankstellen verfügbar, und zwar an den Logistik-Hotspots. Damit hat das Werk mehr Wasserstoff-Tankstellen als der Rest von Sachsen. „Die Tankstellen kann man auch relativ leicht umbauen, anders als bei einer Batterieladestation. Da reicht ein Wochenende aus. Das bringt eine große Flexibilität mit sich“, so Stiede. Eine Trankstelle kostet zwischen 40.000 und 100.000 Euro. Teuer, ja, aber eine Batterieladestation läge laut dem Experten im sechsstelligen Bereich.

Die Sicherheit der Tankstellen spielt eine große Rolle. Die Gasleitungen sind auf den Dächern der Halle verlegt und dort durch ein Ventil gesichert. Nur wenn ein Tankvorgang im Gang ist, wird dieses geöffnet. „Die Gefahrenstoffmenge, die sich in der Halle befindet, ist also stark begrenzt“, erklärt Stiede. Wasserstoff steigt senkrecht in die Höhe, wenn er freigesetzt wird, weshalb die Rohre auf den Dächern am sichersten verlegt sind. „Das ist alles keine Raketenwissenschaft, sondern sehr überschaubare Technik“, so Stiede.

Vorteile des Wasserstoffs

Die neue Antreibsart bringt dabei klare Vorteile mit sich, und zwar bei größeren Flotten mit 50 Fahrzeugen und mehr. Ein Vorteil ist die platzsparende Tankinfrastruktur. Die üblichen Bleisäure-Batterien brauchen einen mit Brandschutztor abgetrennten Laderaum, der sich oft weit entfernt von den Logistikrouten befindet. Laderäume brauchen Platz, sie brauchen einen Kran, um Batterien aus- und einzubauen, was wiederum geschulte Mitarbeiter erfordert. Eine Wasserstofftankstelle dagegen nimmt einen Quadratmeter Platz ein und kann so überall im Werk gebaut werden. Das spart Wegzeiten. „Der Vorteil des Wasserstoffs: Ich kann da tanken, wo ich Energie brauche“, sagt Stiede.

Auch die Skalierbarkeit ist bei Wasserstoff einfacher. Wenn 100 Geräte mehr zum Einsatz kommen, können das die vier im Werk eingebauten Wasserstofftanksäulen einfach händeln. Bei Batteriesystemen dagegen muss mehr Platz für Laderäume gefunden werden. Auch bei der Erweiterung von Schichten kommen die Batterien mit ihren langen Ladezeiten an ihre Grenzen. „Wenn man einen Drei-Schicht-Betrieb hat, gibt es wenig Alternativen zu Brennstoffzellen“, so Stiede.

Ein weiterer Vorteil ist die Tankzeit, welche beim Wasserstoff – mit Anfahrt und Abfahrt – nicht mehr als anderthalb Minuten in Anspruch nimmt. Dagegen müssen Bleisäure-Batterien stundenlang geladen werden, was Wechselbatterien nötig macht. „Je mehr Schichten wir fahren, umso größer wird das Problem“, so Stiede. Und der Wechsel einer Batterie nimmt ebenfalls Zeit in Anspruch. Danach muss das Warenwirtschaftssystem neu gestartet werden, was bei BMW zehn Minuten brauchen kann. „Die Grundthemen sind also klar: Prozesskosten durch Wegzeiten, Wechselzeiten am Fahrzeug und lange Batterieladezeiten“, fasst Stiede zusammen.

Der Preis für eine Brennstoffzelle ist dabei mit der eines Lithium-Ionen-Akkus vergleichbar, die Infrastruktur drumherum ist aber nicht billig. „Bleisäure ist in den Anschaffungskosten die günstigste Variante. Wenn man aber die Total Cost of Ownership berechnet, dann sieht das anders aus“, sagt Weinberger.

Ein weiteres Thema, welches für BMW Wasserstoff interessant machte, sind die Energiekosten. „Unsere interne Abschätzung ist, dass Energiekosten in Zukunft steigen werden“, so Stiede. Denn zu den Kosten für den Strom selbst kommen für Großkunden noch die Gebühr für die Bereitstellung der Anschlussleistung sowie weitere Abgaben hinzu. Große Mengen Strom über das Netz vorrätig zu halten, wie es für Elektroflotten nötig ist, ist teuer.

Wasserstoff unterstützt Energiewende

Im Moment bezieht das Werk aus Biomasse gewonnenen, zertifiziert grünen Wasserstoff, welcher einmal die Woche per Lkw aus Leuna geliefert und in Zylindern gelagert wird. „Gas per se hat aber einen weniger großen Gebührenrucksack auf als Strom in Deutschland“, gibt Stiede zu bedenken.

Auch im Hinblick auf die Energiewende könnte Wasserstoff gewinnbringend eingesetzt werden. Bei den erneuerbaren Energiequellen besteht das Problem, dass sie nicht immer den gleichen Energieoutput haben und sogenannte „Stromspitzen“ erzeugen, welche irgendwie gespeichert werden müssen. Andernfalls wird der überflüssige Strom billig ins Ausland verkauft. In Zukunft könnte man diese Spitzen zur Elektrolyse von Wasserstoff nutzen, sodass die Energie im Wasserstoff gespeichert wird.

Zukunft des Wasserstoffantriebs

Die Wasserstofftechnologie ist in Deutschland noch nicht weit verbreitet, obwohl sie in den USA schon häufig genutzt wird. Hauptgrund ist die Finanzierung. „Derzeit sind es noch reine Projektgeschäfte, weil die Anforderungen für die Wasserstoffinfrastruktur sehr kostenintensiv sind“, sagt Weinberger. Zusätzlich ist Wasserstoff nur teuer einzukaufen. Im Moment hat außerdem der amerikanische Hersteller PlugPower ein Monopol auf Brennstoffzellen, die in der Intralogistik eingesetzt werden. „Wenn sich mehr Hersteller finden, wird der Preis extrem sinken“, weiß Stiede.

Ein weiterer Grund ist, dass Fördermittel in Deutschland bis jetzt nur schwer zu bekommen waren. Das wird sich mit dem Beschluss zur nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, welche im Juni 2019 verabschiedet wurde, nun ändern. Denn der Trend geht zum Wasserstoff: „Man sieht, dass die Nachfrage nach Wasserstoff in den letzten zwei Jahren in die Höhe geschnellt ist. Inzwischen kommen fast wöchentlich Projektanfragen herein“, so Weinberger.


Hintergrund

Woher kommt der Wasserstoff?

Wasserstoff (H2) ist ein Gas und das Element,

das am häufigsten im Universum vorkommt. Es hat einen höheren Energiegehalt als z. B. Benzin. Allerdings tritt es in der Natur immer in Verbindung mit anderen Elementen auf, weshalb es vor der Verwendung als Kraftstoff erst gewonnen werden muss. Wasserstoff kann auf drei verschiedene Arten hergestellt werden:

  • Thermochemische Herstellung: Hierbei benutzt man fossile Energieträger wie Erdgas zur Umwandlung bei hohen Temperaturen. Dies ist auch mithilfe von Biomasse möglich. Diese Variante wird auch für den Wasserstoff im BMW-Werk Leipzig verwendet.
  • Wasserstoff kann auch durch Elektrolyse hergestellt werden. Dabei wird Strom durch Wasser geleitet, um es in seine Bestandteile zu zerlegen. Hier kann zum Beispiel überschüssiger Strom von Wind- und Solaranlagen eingesetzt werden, um die Energie so speicherbar zu machen (siehe Text).
  • Wasserstoff fällt ebenfalls als Nebenprodukt

bei chemischen Prozessen an.

Wasserstoff ist einfach zu lagern und zu transportieren und eignet sich deshalb gut als Energiespeicher. In der Verwendung als Kraftstoff wird Wasserstoff in einer Brennstoffzelle mit Sauerstoff zusammengeführt. Die beiden Stoffe reagieren zu Wasser, wobei Energie zur Stromerzeugung freigesetzt wird. Diese treibt dann den Elektromotor an. Bei der Umwandlung entstehen keine Schadstoffe, sondern nur Wasser.


Das Projekt

Partner im Überblick

  • BMW Group: Anwender im Werk Leipzig
  • PlugPower: Hersteller von Brennstoffzellen-Systemen
  • Linde Material Handling: Hersteller von Flurförderzeugen
  • Günsel Fördertechnik: Linde-MH-Netzwerkpartner, zuständig für Vertrieb und Service
  • TU München: Wissenschaftliche Begleitforschung
  • Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur
  • NOW GmbH: Programmgesellschaft des Bundesministeriums (BMVI)

Die Autorin

Sanja Döttling, Redakteurin Beschaffung aktuell

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