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Sarah Carpenter, Director of Corporate Responsibility, Assent, über die Rolle des Einkaufs beim Schutz der Menschenrechte

Sarah Carpenter, Director of Corporate Responsibility bei Assent, im Interview
Die Rolle des Einkaufs beim Schutz der Menschenrechte

Die Rolle des Einkaufs beim Schutz der Menschenrechte
Die deutsche Industrie verwendet zahlreiche Mineralien, die in Konflikt- und Hochrisikogebieten abgebaut werden. Bild: Assent

Zwangsarbeit, Kinderarbeit sowie arbeitsbedingte Todesfälle und Verletzungen sind Menschenrechtsverletzungen, die unter anderem mit dem Abbau von Konfliktmaterialien verbunden sind. Sarah Carpenter, Director of Corporate Responsibility bei Assent, zeigt im Gespräch mit Beschaffung aktuell auf, wie der Einkauf die Einhaltung von Standards gewährleisten kann und welche Mittel hierzu eingesetzt werden.

Beschaffung aktuell: Frau Carpenter, wie kann der Einkauf die Einhaltung von Menschenrechtsstandards in seinen Lieferketten überprüfen und sicherstellen?

Als Expertin für Menschenrechte und ESG berät Sarah Carpenter Fortune-500-Unternehmen in Fragen der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht und ESG-Strategien mit Schwerpunkt auf den Auswirkungen auf die Lieferkette. Sie leitet das B-Corp-zertifizierte Corporate Sustainability-Programm von Assent. Bild: Assent

Sarah Carpenter: Der Einkauf spielt beim Schutz der Menschenrechte in der gesamten Lieferkette eine zentrale Rolle. Glücklicherweise gibt es dafür international anerkannte Due-Diligence-Standards, die dem Einkauf dabei helfen, die Menschenrechte zu achten.

Dieser Due-Diligence-Prozess versetzen sie in die Lage, Menschenrechtsrisiken und -verletzungen zu erkennen, um sie in Folge abmildern, verhindern oder beheben zu können. Dies geht weit über einen reinen Verhaltenskodex oder einen prüfungsintensiven Ansatz hinaus und soll auf diese Weise sicherstellen, dass Teams Risiken verstehen und effektive Gegenmaßnahmen ergreifen können. Außerdem stellt dieser Prozess sicher, dass Beschaffungsteams verstehen, wie ihre eigenen Praktiken – wie etwa ungenaue Prognosen, Änderungen in letzter Minute oder aggressive Preisverhandlungen – die Bemühungen ihres Unternehmens um mehr verantwortungsvolles Handeln untergraben können. Das Bewusstsein dafür ist von zentraler Bedeutung, um sicherzustellen, dass der Einkauf seinen Beitrag zu verantwortungsvollen und nachhaltigen Geschäftspraktiken leisten kann.

Mit welchen Mitteln können Unternehmen die digitale Kompetenz und das Bewusstsein für ESG-Themen bei ihren Lieferanten erhöhen?

Carpenter: Eine kürzlich von Assent durchgeführte Studie zeigt, dass 80 Prozent der Hersteller in gewissem bis sehr starkem Maße von ihren Lieferanten abhängig sind, wenn es darum geht, ihre Nachhaltigkeits- und ESG-Ziele in der Lieferkette zu erreichen. Aber nur 25 Prozent geben an, dass sie großes Vertrauen in die Fähigkeit ihrer Lieferanten haben, dies in ausreichendem Maße zu tun.

Daran sehen wir, dass Unternehmen sicherstellen müssen, dass ihre ESG-Programme proaktiv und effektiv zum Aufbau von ESG-Kompetenzen ihrer Lieferanten beitragen. Das kann beispielsweise durch den Zugang zu Online-Ressourcen und -Schulungen geschehen. Außerdem sollte sichergestellt werden, dass bei Fragen der Zulieferer kompetente Experten als Ansprechpartner per Chat, Telefon oder E-Mail zur Verfügung stehen. Unternehmen sollten auch dafür sorgen, dass die Lieferanten nach Abschluss einer Bewertung zugeschnittene Anleitungen und empfohlene nächste Schritte erhalten, damit sie eine klare Roadmap für die Verbesserung ihrer ESG-Praktiken haben.

Wie kann der Einkauf innovative Technologien wie künstliche Intelligenz und Blockchain nutzen, um ESG-Pflichten in den Lieferketten erfolgreich umzusetzen?

Carpenter: Das Sammeln von Daten ist einer der größten Kostenfaktoren für Unternehmen, wenn es um die Umsetzung eines ESG-Programms geht. Technologie kann dazu beitragen, diese Kosten erheblich zu senken. Viele Unternehmen verlassen sich jedoch immer noch auf manuelle Methoden. Für komplexe Lieferketten bedeutet dies Hunderte, wenn nicht Tausende von Arbeitsstunden, die für Aktivitäten verwendet werden könnten, die größeren Mehrwert für das Unternehmen schaffen.

Ohne Zweifel können innovative Technologien, insbesondere KI, dazu beitragen, das Sammeln und Analysieren von ESG-Daten zu vereinheitlichen, zu strukturieren und zu standardisieren. Dabei dürfen wir aber nicht die bereits bestehenden Technologien übersehen, die zwar nachweislich einen Mehrwert für das Unternehmen bringen, aber noch nicht ausreichend genutzt werden.

Welche Vorteile hat eine menschenrechtsbasierte ESG-Strategie für Unternehmen und Ihre Stakeholder?

Carpenter: Bis vor kurzem hatten die meisten Unternehmen – wenn überhaupt – nur wenige Konsequenzen zu befürchten, wenn sie die Menschenrechte in ihren Lieferketten nicht einhielten. Dies hat sich nun geändert. Die Unternehmen müssen sich auf ein neues Umfeld einstellen, in der die Einhaltung der Menschenrechte zu einer Voraussetzung geschäftlicher Aktivitäten geworden ist.

Allein in den letzten zehn Monaten hat der US-Zoll Waren im Wert von über einer Milliarde Dollar beschlagnahmt, weil sie im Verdacht standen, mit Zwangsarbeit in Verbindung zu stehen. Davon wurden Waren im Wert von mehreren hundert Millionen Dollar der Zugang zum US-Markt verwehrt, weil die Importeure keine ausreichenden Sorgfaltspflichtdaten und -unterlagen vorlegen konnten, um ihre Waren wieder auszulösen. Dies bringt die Lieferketten durcheinander und führt zu einem Mangel an Bauteilen sowie nicht erfüllten Verträgen.

Wie sehen die Herausforderungen und Hindernisse bei der Umsetzung von ESG-Pflichten in den globalen Wertschöpfungsketten aus?

Carpenter: Die erste Hürde besteht häufig darin, dass die Unternehmen verstehen müssen, wie sich ihre ESG-Risiken und -Verpflichtungen verändert haben und wie dies eine Weiterentwicklung ihrer derzeitigen Praktiken erfordert, um den neuen rechtlichen Verpflichtungen und Markterwartungen zu entsprechen. Für viele Unternehmen bedeutet das eine Transformation, da sie neben Standard-Einkaufskriterien zum ersten Mal auch ESG-Kriterien in ihre Lieferantenauswahl- und Managementprozesse einbeziehen.

An diesem Punkt gibt es oft Schwierigkeiten, die jeweiligen ESG-Entscheidungen auch auf qualitativ hochwertige und genaue Daten aus der Lieferkette zu stützen. Außerdem wissen Unternehmen oft nicht, wie sie eine gesetzliche Verpflichtung in ein effizientes und effektives Programm umsetzen können, das den Bedürfnissen ihrer Stakeholder gerecht wird.

Greenwashing in der Lieferkette vermeiden

Welche Konfliktmaterialien sind für die deutsche Industrie relevant und welche Menschenrechtsrisiken sind mit deren Förderung verbunden?

Carpenter: Die deutsche Industrie verwendet zahlreiche Mineralien, die in Konflikt- und Hochrisikogebieten abgebaut werden. Dazu gehören die 3TGs – Zinn, Tantal, Wolfram und Gold -, die aufgrund der damit verbundenen gesetzlichen Verpflichtungen seit langem in den Geltungsbereich von Corporate Compliance-Programmen fallen. Aber auch andere risikoreiche Mineralien wie Kobalt, Kupfer und Nickel sind weit verbreitet.

Zu den systematischen Menschenrechtsverletzungen, die mit ihrem Abbau verbunden sind, gehören Zwangsarbeit, Kinderarbeit und eine hohe Zahl von arbeitsbedingten Todesfällen und Verletzungen. Darüber hinaus werden durch den Abbau dieser Rohstoffe häufig bewaffnete Gruppen in Konfliktgebieten finanziert.

Zwangsarbeit, Kinderarbeit sowie arbeitsbedingte Todesfälle und Verletzungen sind Menschenrechtsverletzungen, die unter anderem mit dem Abbau von Konfliktmaterialien verbunden sind. Bild: Assent

Auf welche Weise können global agierende Unternehmen die Menschenrechte und Umwelt in den Rohstoffabbauländern schützen und fördern?

Carpenter: Auch hier heißt das Hauptwerkzeug Due Diligence. Die tatsächliche Praxis kann dann je nach Mineral und Position des Unternehmens in der Lieferkette unterschiedlich aussehen. Sie umfasst jedoch immer die Identifizierung und Bewertung von Risiken in der Lieferkette sowie die Entwicklung und Umsetzung einer Strategie zur Reaktion auf das Risiko.

Wie ordnen Sie das neue PFAS-Verbot ein? Welche Herausforderungen ergeben sich hieraus zusätzlich insbesondere für Einkaufsorganisationen in produzierenden Unternehmen?

Carpenter: Die Unternehmen der verarbeitenden Industrie sind besorgt über PFAS und das aus gutem Grund. Obwohl behördliche Strafen aufgrund der Nichteinhaltung von Vorschriften ein echtes Risiko für Unternehmen darstellen, gibt es andere Risikobereiche, die sich abzeichnen und noch größere Probleme bedeuten könnten. Hierzu zählt die Obsoleszenz von Teilen, wenn große Hersteller die Herstellung und Verwendung von PFAS einstellen. Ein weiterer Aspekt ist die Unmöglichkeit, Versicherungsschutz für PFAS-bezogene Ansprüche zu erhalten, da die Versicherer Ausschlüsse einführen und die Deckung verweigern, während sich die Klagen häufen.

Die Hersteller müssen aktiv daran arbeiten, herauszufinden, wo sich PFAS in ihrer Lieferkette befinden – sowohl in Produkten als auch in Prozessen -, um Unterbrechungen im Betrieb zu vermeiden. Es gibt Tausende von PFAS-Chemikalien, die weltweit verwendet werden, so dass Unternehmen ein belastbares Programm für das Nachhaltigkeitsmanagement in der Lieferkette benötigen, um ihre Risiken aufzudecken und anzugehen. Die Lernkurve wird steil sein, deshalb müssen sie noch heute damit beginnen.

Wo können Einkäuferinnen und Einkäufer von den Erfahrungen und Best Practices anderer Branchen oder Organisationen lernen?

Carpenter: Als Anlaufstellen gibt es hier beispielsweise Multi-Stakeholder-Initiativen wie die Responsible Minerals Initiative oder die Social Responsibility Alliance. Auch spezialisierte Dienstleister wie Assent können eine wertvolle Quelle für Informationen darstellen, denn sie verfügen über einen breiten Schatz an Erfahrungen, Einsichten und Best Practices.

Das Interview führte Yannick Schwab, Redaktion Beschaffung aktuell

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